Newsletter 05/2007 – Einfach ist besser

„Simplicity Is Highly Overrated“ (Einfachheit ist deutlich überbewertet) – mit dem so betitelten Artikel hat der angesehene Usability-Experte Don Norman eine hitzige Debatte entfacht. Norman schreibt, dass Experten genau wie Käufer sagen, dass sie „einfache“ Produkte wollen – aber sie verlangen hoch komplexe. Sie wollen Geräte mit nur einem Knopf – aber unendlich vielen Funktionen.
Jeder Besuch in einem Elektromarkt zeigt: fast alle Geräte haben viele, viele Knöpfe, Schalter und Anzeigenelemente. Gleich ob man sich Waschmaschinen, Fotoapparate oder Videorecorder ansieht. Manchmal sind die Knöpfe hinter Klappen versteckt, manchmal unauffällig gestaltet, so dass man sie nicht sofort sieht. Aber alle Geräte vermitteln den Eindruck, komplex zu sein, viele verschiedene Funktionen zu bieten.

Liegt das daran, dass sich die Hersteller keine guten Produkt-Designer oder keine Usability-Experten leisten können? Nein, es liegt daran, dass wir alle gleichermaßen Produkte kaufen, die eben nicht einfach sind. Auch wenn wir uns noch so ärgern über „die vielen Funktionen, die keiner braucht“ – wenn wir im Laden stehen, nehmen wir schließlich doch das Gerät mit, von dem wir glauben, dass es alle Funktionen hat, die wir jemals brauchen könnten.

Das gleiche Phänomen ist bei Computerprogrammen zu beobachten: Dass „Word“ die Textverarbeitung ist, die fast jeder benutzt, liegt nicht nur an Marketing und Marktmacht von Microsoft. Es gab viele Textverarbeitungen, die leichter zu bedienen waren. Diese verzichteten auf die Funktionen, „die niemand braucht“. Aber keines dieser Programme konnte sich durchsetzen. Man könnte ja mal eine dieser Funktionen dringend brauchen – und so geht man lieber auf Nummer sicher und kauft das Programm, das alles bietet.
Norman hat für seinen Artikel viel unberechtigte Kritik einstecken müssen. Natürlich schlägt er nicht vor, Produkte möglichst komplex aussehen zu lassen oder sie kompliziert zu bedienen zu machen. Er stellt nur fest, dass wer verkaufen will, teilweise Abstriche bei der Benutzerfreundlichkeit von Produkten machen muss. Was kein Widerspruch zu ästhetischer Gestaltung ist – es ist nur etwas schwieriger, viele Funktionen so unterzubringen. Es ist schwieriger zu erreichen, dass das Produkt gut aussieht und gleichzeitig den Eindruck vermittelt, alles zu können, von dem der Benutzer nur träumen kann. Die Benutzerfreundlichkeit von komplexen Produkten kann gut sein – wenn man genügend Aufwand dafür treibt.

Scot Berkun brachte das schönste Gegenargument: Der große Erfolg von Burger King heißt nicht, dass die Leute keine gepflegten Restaurants wollen. Es heißt nur, wie so oft: es kommt darauf an. Auf die Zielgruppe und auf die Situation, in der sie sich gerade befindet. Nicht alles muss immer komplex und vollgestopft mit Funktionen sein.

Die breiteste Zielgruppe spricht an, wer es schafft, den Eindruck zu vermitteln, dass das Produkt alles kann und einfach zu bedienen ist. Das klingt einfach und selbstverständlich, ist aber die eigentliche Herausforderung.

Im Web ist es einfacher

Heißt diese Erkenntnis, dass wir unseren Websites mehr Funktionen spendieren müssen? Sollten wir sie möglichst komplex machen?
Zum Glück nicht. Gerry McGovern bringt es in seiner Antwort auf Normans Artikel wie immer gut auf den Punkt: „Wir bezahlen unseren Besuch auf einer Website nicht mit Geld – wir bezahlen mit unserer Zeit.“ Außerdem sind wir im Web ganz im Hier und Jetzt: Wir denken nicht darüber nach, welche Funktionen wir in Zukunft brauchen könnten, wir wollen eine konkrete Aufgabe lösen. Uns interessiert keine der Funktionen, die nicht direkt mit dieser unserer Aufgabe zusammenhängt.

Das heißt, Einfachheit und Benutzerfreundlichkeit stehen im Web an erster Stelle. Wir nutzen Google als Suchmaschine, weil wir damit am leichtesten zurecht kommen. Auch wenn es andere Suchmaschinen gibt, die mehr und bessere Funktionen haben. Wir kaufen bei Amazon, weil wir dort am schnellsten finden, was wir suchen. Auch wenn es viele Shops gibt, die eine komfortablere Produktsuche, 3D-Ansichten und Produktvideos anbieten.

Hinzu kommt in beiden Fällen natürlich zum einen die Gewohnheit (wir nutzen diese beiden Sites schon seit Jahren) und zum anderen der große Umfang der beiden Sites (wir finden hier fast immer, was wir suchen, weil „alles drin ist“). Aber dennoch: diese beiden Paradebeispiele für erfolgreiche Websites konnten nur so bekannt und erfolgreich werden, weil sie einfach waren.
Die erste Regel für erfolgreiche Websites lautet also nach wie vor: Einfach ist besser.
————————————————————————-
(c) Jens Jacobsen 2007

Bei Weiterleitung oder Zitat bitte Quellenangabe („Quelle:
benutzerfreun.de-Newsletter Mai 2007“).

————————————————————————-

Schreibe einen Kommentar