Customer Experience & User Experience – dasselbe? – Newsletter 6/2020

An Modewörtern ist kein Mangel in der Branche. Einem begegnet man in letzter Zeit immer häufiger: Customer Experience (CX). Mehr und mehr hört man von CX, weniger von UX (User Experience). Auch UX wurde einmal als Modewort empfunden:

Eine verschwurbelte Worthülse, hinter der sich Manager und Werbung verstecken können.

Das meinte zumindest ein geschätzter Leser meines Blogs, als ich hier vor genau 10 Jahren den Begriff UX beschrieben habe. Den Eindruck konnte ich nachvollziehen, denn viele neuen Begriffe nutzen Berater und Agenturen oft, um vermeintlich etwas Neues zu verkaufen. Und doch finde ich, ist UX ein guter Begriff, denn er umfasst mehr als nur die Usability und lenkt den Blick auf das Drumherum. Daher nutzen die meisten heute den breiteren Begriff User Experience, nicht mehr Usability – die einen (entscheidenden) Teil der UX bildet.

Und wie ist das jetzt mit CX? Ist das nur ein Modewort, das wieder in der Versenkung verschwindet, wenn das nächste en vogue ist? Oder bleibt der Begriff?

Ob Wörter sich dauerhaft durchsetzen, hängt davon ab, ob sie etwas bezeichnen, für das es kein besseres Wort gibt. Daher stellt sich die Frage, ob CX und UX das Gleiche sind. Auf diese einfache Frage geben Ihnen Experten 3 Antworten:

  • Ja
  • Nein
  • Ja und nein

Was ist nun richtig?

Meine eigene Meinung halte ich noch etwas zurück, sehen wir uns erstmal an, wie Usability und UX zusammenhängen, und wie sie definiert werden, denn das ist die entscheidende Grundlage, wenn wir die Begriffe entwirren wollen: 

Definition CX auf Wikipedia
Die Definition von CX ist seit Jahren unklar – das zeigt der aktuelle Wikipedia-Eintrag, abgerufen im Juni 2020. „Gobbledegook“ heißt übrigens so viel wie Worthülse, Geschwafel.

User Experience – die amtliche Definition

Die Norm ISO 9241-210 definiert die UX so:

Wahrnehmungen und Reaktionen einer Person, die aus der tatsächlichen und/oder der erwarteten Benutzung eines Produkts, eines Systems oder einer Dienstleistung resultieren.

Nach der weiteren Definition der Norm gehören zur UX die Emotionen, Überzeugungen, Vorlieben, Wahrnehmungen der Person sowie ihre physischen und psychischen Reaktionen, ihre Verhaltensweisen vor, während und nach der Nutzung.

Das ist ganz schön umfassend, es bleibt nicht mehr viel. Ist da noch Platz für CX? Oder ist diese einfach nur eine andere Sichtweise auf dasselbe?

Illustration Sicht auf Mensch als Nutzer oder Kunde
Marketing-Experten sprechen eher von CX, IT-nahe Teams eher von UX.

Don Norman, einer der Gründer der Nielsen Norman Group, hat den Begriff „UX“ in den 1990ern bekannt gemacht. Seine Agentur sagt:

UX umfasst alle Aspekte der Interaktion einer Person mit einem Unternehmen, seinen Dienstleistungen und Produkten.

Diese Definition ist noch breiter, und interessanterweise tauchen hier die Unternehmen auf. Manche sagen, UX würde nur einzelne Produkte betrachten, CX dagegen das ganze Unternehmen mit allen seinen Produkten. Das scheint den Kollegen der Nielsen Norman Group zu kurz gegriffen, und ich schließe mich dem an.

Und auch die Tatsache, dass bei CX der Consumer, also Kunde, im Namen steht und bei UX der User, also Nutzer, heißt noch nichts. Auch der Besucher einer Regierungs-Website z.B. kann als „Kunde“ bezeichnet werden, das ist nicht der Punkt. Die Normen vermeiden die Trennung in Nutzer und Kunde und sprechen vom „human centered design“, deutsch von „menschzentrierter Gestaltung“.

Wo also liegen jetzt die Unterschiede? Sehen wir weiter:

Definition der Customer Experience

Von den vielen, vielen Definitionen der CX gefällt mir persönlich die von Erna Andajani am besten:

Customer Experience ist die Stimulation, welche ein Unternehmen für die Sinne der Kunden schafft.

Auch das ist sehr breit und es macht klar, dass man die CX nicht leicht fassen kann. Es geht um Gefühle, um den Eindruck der Kunden. Und es geht um weitaus mehr als um Produkte. Hier liegt nach meinem Eindruck ein wichtiger Unterschied zwischen UX und CX:

Die UX bezieht sich auf ein konkretes Produkt. Wir betrachten die UX einer App oder einer Website. Oder eines Dienstes. Manchmal im weiteren Sinne auch die UX eines Geschäfts. Bei der CX dagegen geht es um noch mehr, um die von Werbern gern beschworene Marke. Um das, was ein Kunde mit einem Unternehmen als Ganzes empfindet. Diese Empfindung prägen natürlich ganz entscheidend die Produkte – und damit die UX. Hinzu kommen aber noch Dinge wie Werbung, das Bild des Unternehmens und seiner Produkte in den (Sozialen) Medien oder die Dinge, die Freunde und Bekannte des Kunden/Nutzers über das Unternehmen sagen.

Definition von UX und CX
Klar ist: Bei UX und CX steht der Mensch im Mittelpunkt. Bei der CX sehe ich mir noch mehr Dinge an, die nichts mit dem Produkt zu tun haben.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Bei der UX arbeiten wir oft mit der sogenannten Customer Journey. Verwirrenderweise taucht hier im Namen der Customer/Kunde auf, und doch geht es um die UX. Denn eine Customer Journey beschreibt zunächst „nur“, wie die gesamte Erfahrung des Kunden/Nutzers mit einem Produkt ist. Das ist deutlich mehr als bei der reinen Betrachtung der Usability. Aber es ist eben nur eine Kundenreise. Bei der Customer Experience dagegen betrachten wir alle Customer Journeys des Kunden über die gesamte Kundenbeziehung hinweg. Es kommt also die zeitliche Komponente hinzu.

Umfang Usability
Bei der Usability geht es um die konkrete Nutzung eines Produkts.
Umfang UX
Bei der User Experience betrachten wir auch das Vorher und Nachher.

Am deutlichsten wird die Abgrenzung der Begriffe durch ein Beispiel:

  1. Ich gehe auf Adidas.de, suche dort nach neuen Laufschuhen, vergleiche verschiedene Modelle und kaufe schließlich eines – hierbei spielt die Usability der Website die entscheidende Rolle.
  2. Sehe ich mir die User Experience an, dann betrachte ich zusätzlich den Weg zu meinem Schuhkauf – also z.B. meine Recherche zu Laufschuhen im Web. Und alles, was danach passiert, also die Bestellbestätigung per Mail, die Ankündigung des Pakets und die Lieferung. Das Auspacken und Anziehen der Schuhe. Und vielleicht noch den ersten Lauf mit ihnen. (Getrennt davon kann ich die UX der Schuhe selbst untersuchen. Da gehört die Website dann am Rande mit dazu, im Zentrum stehen dann aber die Schuhe.)
  3. Geht es um die Customer Experience, dann gehört das alles dazu. Und außerdem auch der Kauf einer Jogginghose der gleichen Marke, den ich ein paar Monate später im Laden mache. Und die Tatsache, dass die Schuhe nach einem Jahr durchgelaufen sind und ich neue kaufe. Und das, was ich Freunden über meine Erfahrungen mit den Produkten, dem Service, der Website, den Mitarbeitern und allem darum herum erzähle. Wie ich das Unternehmen generell wahrnehme und auch, wie ich die Preise seiner Produkte empfinde.
Customer Journey Map
Eine Customer Journey Map zeigt die UX einer Kundenreise auf. Bei der CX betrachte ich nicht nur eine solche „Journey“, sondern alle „Reisen“ eines Kunden. Ich bräuchte also mehrere solche Journey Maps, um die CX abzubilden.

Zentral: Ganzheitliches Denken, abteilungsübergreifend

Entscheidend bei CX wie bei UX ist, dass ich keine klar definierten Grenzen annehme. Klar ist nur, dass der Mensch immer im Mittelpunkt steht. Das macht die Abgrenzung manchmal schwierig, aber auf die kommt es eigentlich nicht an. Ziel ist ja, dass ich dem Menschen (Nutzer/Kunden) etwas biete (eine Experience/Erfahrung), die ihm zusagt, ihn weiterbringt.

Das gelingt mir nur, wenn ich abteilungsübergreifend und umfassend denke, wenn ich versuche, das Große Ganze zu sehen. Und das ist das eigentlich Entscheidende. Ob ich das dann CX oder UX nenne, spielt eigentlich keine Rolle. Bei einzelnen Aufgaben kann man nie alles betrachten, was in der Beziehung von Mensch und Unternehmen eine Rolle spielt. Aber man sollte alles betrachten, was in dem Fall einen wesentlichen Einfluss hat.

Fazit: CX & UX sind nicht das Gleiche, aber verdammt ähnlich

Ich persönlich spreche von UX und sehe mich als UX-Experte, weil das zu meiner persönlichen Arbeitseinstellung passt. Ich möchte dem Nutzer weiterhelfen, seine Erfahrung besser machen. Dadurch wird automatisch die Erfahrung für denselben Menschen als Kunden besser. Diese persönliche Vorliebe liegt aber vermutlich daran, dass ich aus der Konzeption komme. Die meisten, die sich als UXler sehen, kommen aus den Bereichen Design, Psychologie oder IT/Entwicklung.

Die meisten, die sich als CXler sehen, kommen dagegen aus Marketing, BWL oder aus dem Bereich Werbung/Branding.

Viele CXler befassen sich vor allem damit, wie man den Menschen zum Produkt bringt, viele UXler befassen sich vor allem damit, was der Mensch mit dem Produkt macht.

UXler messen eher die Erfolgsrate (TCR – Task Completion Rate), Fehlerquote, oder Bearbeitungszeit (TCT – Task Completion Time) – in den meisten Fällen erheben sie aber vor allem qualitative Daten.

CXler dagegen erheben häufiger quantitative Daten und messen eher Zufriedenheit, Zustimmungswerte zu verschiedenen Aussagen oder Weiterempfehlungs-Wahrscheinlichkeit (NPS – Net Promoter Score).

Aber wie gesagt, das sind nur Tendenzen und letztlich entscheidend ist, dass wir den Menschen in den Mittelpunkt stellen und seine gesamte Erfahrung betrachten.

Wenn wir diskutieren, ob wir jetzt von CX oder von UX sprechen sollten, verlieren wir wertvolle Zeit. Zeit, die wir nutzen können, uns mit den Menschen zu befassen, mit dem, was sie wollen, was sie brauchen und wie wir ihre Erfahrung verbessern können.

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