Gamification & User Delight umsetzen – Newsletter 5/2023

Wie wir mit Gamification unsere Anwendungen noch attraktiver machen und die Nutzenden dabei unterstützen, ihre Ziele zu erreichen, darum ging es im letzten Newsletter. Doch ist es wirklich Gamification, was wir dazu brauchen?

Schon erwähnt habe ich, dass man Gamification durchaus kritisch sehen kann. Wichtigste Frage: Was ist ethisch vertretbar, was ist schon Manipulation? Nehmen wir die Menschen ernst, wenn wir meinen, sie nur durch Spielereien dazu bringen zu können, Dinge zu erreichen? Fühlen sie sich ernst genommen, wenn wir ihnen die Karotte von albernen Trophäen und nutzlosen Punkten vor die Nase halten, um ein wirklich wichtiges Ziel zu erreichen?

Gamification ist Marketing-Quatsch, erfunden von Beratern als Mittel, um das Anarchische von Computerspielen zu zähmen und in die graue, hoffnungslose Wüste von Big Business zu überführen, wo Quatsch sowieso schon allgegenwärtig ist.

Ian Bogost, Technikjournalist beim Atlantic, https://www.theatlantic.com/technology/archive/2011/08/gamification-is-bullshit/243338/

Deshalb im Folgenden heute ein paar Tipps für alle, die ihre Anwendungen attraktiver machen wollen und überlegen, Gamification-Ansätze dazu einzusetzen.

Das sogenannte Gameful Design lasse ich dabei außen vor – mir konnte noch niemand erklären, was genau der Unterschied zu gut gemachter, ethisch abgesicherter Gamification sein soll – freue mich aber hier sehr über Hinweise.

Was dagegen im Zentrum steht, ist User Delight, also (Be-)Nutzerfreude oder Nutzungsfreude.

Das ist im Deutschen ein so wenig eingängiger Begriff, dass man meist von „Delight“ liest. Aber der englische Begriff macht es auch nicht viel leichter, herauszufinden, was dahinter steckt. Mit ihm ergeht es uns dabei ganz ähnlich wie mit „Ästhetik“ oder „Eleganz“.

Screenshot Habitica
Macht das Spaß? Begeistert das? Auf Habitica kann man jede noch so dröge Tätigkeit selbst mit Gamification-Elementen versehen. So steigt man in Ranglisten auf und bekommt Trophäen für was immer man möchte, solang man es nur tut.

Was also ist Nutzungsfreude?

Die einfachste Definition: Nutzungsfreude sind alle positiven Emotionen, die Menschen haben, während sie ein Produkt nutzen. Grundvoraussetzung für positive Emotionen ist eine hohe Usability. Ohne leichte Benutzbarkeit wird es schwer, Menschen zufriedenzustellen – von Begeisterung ganz zu schweigen.

Neben der reinen Nutzbarkeit und dem Fehlen von Fehlern bei der Bedienung braucht es natürlich noch mehr, um Freude aufkommen zu lassen. Dazu gehört ein ganz wichtiges Element: Sie müssen die Nutzenden überraschen. Und zwar mit positiven Erlebnissen, die sie nicht erwartet hätten. So bringen Sie Menschen zum Lächeln.

Screenshot Leaderboard einer Grundschule
Gamification in der Grundschule. Öffentlich zugängliches Leaderboard einer britischen Primary School.

Dabei ist der Vergleich mit Witzen hilfreich: Warum lachen wir über einen Witz? Das ist nicht ganz einfach zu erklären, aber was fast immer funktioniert, ist ein Moment der Überraschung. Wir hören die Geschichte von einem Mann, der zum Arzt geht und etwas berichtet. Passiert dort etwas Unerwartetes, dann kann das zum Lachen führen. Unsere Spannung zu erfahren, wie es weiter geht, löst sich im Lachen, wenn wir an der Nase herumgeführt werden.

Und die meisten Menschen hören gute Witze auch mehrfach gern. Das heißt, die Überraschung muss nicht jedes Mal neu empfunden werden, wir lachen auch, weil wir wissen, dass die Geschichte überraschend ist.

Aber Nutzungsfreude ist nicht nur die Überraschung. Es ist auch eine echte Befriedigung, Dinge erreicht zu haben. Das positive Feedback eines Systems kann das verstärken. Wir sind zum Beispiel befriedigt, weil wir eine wichtige E-Mail geschrieben und losgeschickt haben. Das Geräusch unseres Mailprogramms unterstreicht dieses Gefühl durch das befriedigende „Sssshhht.“ Oder das To-do-Programm durch das satte „tlllung.“ beim Abhaken einer Aufgabe.

Die Grundbausteine der Nutzungsfreude

Einer der bekanntesten UX-Experten, Don Norman, hat in seinem Buch Emotional Design drei Ebenen der emotionalen Verarbeitung beschrieben: viszeral, behavioral, reflektiv. Das heißt, es geht um das Bauchgefühl, den ersten Eindruck (viszeral), um die verhaltensbezogene Ebene, also darum, wie gut ich etwas nutzen kann (behavioral) und schließlich um die Wertebene, um das, was mir selbst wichtig ist (reflektiv). Was heißt das jetzt konkret?

Ein gutes Design, was mich begeistert, spricht mich auf drei Ebenen an:

  1. Vom ersten Eindruck her. Es gefällt mir, mir erscheint es ästhetisch.
  2. Es erlaubt mir, meine Aufgaben damit zu erledigen. Und das auch noch mit wenig Aufwand.
  3. Es spricht mich über den Verstand an und bestärkt meine Werte. Wenn ich z.B. Nachhaltigkeit wichtig finde, bestelle ich lieber bei einem Shop, der auf Nachhaltigkeit bei Produktauswahl, Lagerung und Lieferung achtet.

Das zeigt: Nutzungsfreude ist hoch subjektiv. Nicht jede:r Nutzende:r ist einzigartig, aber Gruppen von Nutzenden können sich deutlich unterscheiden. Für jede Gruppe ist einer der drei Aspekte von unterschiedlich hoher Bedeutung.

Mehr zu Normans Ansatz hier: Three Pillars of User Delight

Gamification oder User Delight, was ist das Richtige?

Grundlage sind immer die Nutzenden, ihre Erwartungen und Gewohnheiten. Diese stehen bei der Entwicklung von Anwendungen und Websites im Idealfall sowieso immer im Mittelpunkt. Aber bei Delight wie auch bei Gamification geht ohne diese überhaupt nichts. Denn wenn die Nutzenden nicht ansprechen auf die Elemente, funktioniert das ganze Konzept nicht. Schlimmer sogar: Sie können mit solchen Ansätzen die Nutzenden sogar verschrecken – speziell bei Gamification. Die Nutzenden können sich nicht ernst genommen fühlen, oder sie können sich behindert fühlen in ihrer Nutzung.

Je nachdem, was Sie konzipieren, bieten sich entweder Gamification oder User Delight eher an. Bei allem rund um Sport, Gesundheit und generell Verhalten ist Gamification meist gut geeignet. Beim Einkaufen, Erledigen von Arbeitsdingen oder dem Ausfüllen von Formularen? Da ist User Delight bzw. Delightful Design oft der bessere Ansatz.

Bleibt das oder kann das weg?

Vor einigen Jahren gab es schon einmal einen zu User Delight ähnlichen Ansatz: Joy of Use, also Nutzungsspaß oder Freude am Benutzen. Der Begriff konnte sich nicht durchsetzen, man liest nur noch wenig davon. (Siehe mein Newsletter von 2006:
Joy of Use – mehr Erfolg durch Nutzerspaß)

Diagramm Usability, UX, Joy of User und User Delight
Ein Versuch, User Delight in den Kontext von Usability, UX und Joy of Use zu stellen.

Grund dafür ist nicht, dass das Konzept Joy of Use nicht funktioniert hätte oder nicht mehr relevant wäre. Grund ist aus meiner Sicht eher, dass gute Konzepte sowieso immer vom Menschen ausgehen. Und dabei ist das Ziel, das Produkt so gut wie möglich auf seine Bedürfnisse anzupassen. Je besser uns das gelingt, desto begeisterter ist der Mensch.

Ob Joy of Use oder User Delight – beides ist eine weitere Sicht aufs Thema UX, ein Ansatz, unsere Produkte noch besser zu machen – daher lohnt es sich, sich immer, neue Ansätze anzusehen. Sie können uns anspornen, noch besser zu werden und die User Experience unserer Produkte weiter zu verbessern. Und vielleicht nutzen wir dazu in ein paar Jahren wieder einen anderen Ansatz, andere Begriffe. Aber die Begeisterung für User Experience bleibt.

Links

It’s visual delight that you’re looking for, not gamification
Sehr schöner Artikel mit dem Fazit: Oft brauchen wir gar keine Gamification, wir brauchen erfreuliches Design und Mikroanimationen.

Emotion and Delight
Abschnitt der immer lohnenden Übersicht „Psychology for UX: Study Guide“ mit Links zu etlichen Artikeln zum Thema.

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