Wir wollen doch alle nur das Beste für die Nutzenden. Das ist zumindest die Vorstellung von vielen, die im Bereich Design, Konzept und UX arbeiten. Oft heißt es auch, UX-Profis seien die Anwältinnen und Anwälte der Nutzenden. Und doch ist es nicht immer ganz leicht, die richtigen Entscheidungen in deren Sinne zu treffen.
Ob beim Online-Shopping, der Nutzung sozialer Medien oder der Bedienung von Apps – die Art und Weise, wie Nutzende mit digitalen Produkten interagieren, wird maßgeblich durch deren Gestaltung beeinflusst. Design ist nicht neutral. Schon kleine Entscheidungen in der UX können das Verhalten lenken – oft, ohne dass Nutzende es bewusst wahrnehmen.
Das Grunddilemma: Was ist gut?

Stellen Sie sich vor, Sie entwickeln eine Wellness-App, die den Nutzenden helfen soll, ihren Alltag gesundheitlich bewusster zu gestalten. Eine Funktion könnte durch einen dezenten Hinweis nahelegen, zusätzliche Inhalte oder Funktionen zu abonnieren – ein sanfter Stupser in die richtige Richtung. Dabei ist es durchaus im Sinne der Betreibenden, Geld verdienen zu wollen – jedoch nicht im Sinne der Nutzenden. Setzen Sie solche Hinweise auf Zusatzfunktionen zu aggressiv um, entsteht leicht der Eindruck, dass die App mehr am Profit als am Wohl der Nutzenden interessiert ist.
Im Bereich Konzeption und UX tragen wir Verantwortung dafür, dass unsere Designs nicht nur effektiv und benutzerfreundlich, sondern auch fair und transparent sind. Leider finden sich selbst in seriösen Anwendungen oft manipulative Elemente, sogenannte Dark Patterns.
Die Herausforderung besteht darin, die Grenze zwischen überzeugendem Design und Manipulation klar zu ziehen. Wie können wir Nutzende motivieren, ohne sie zu täuschen? Wie integrieren wir ethische Überlegungen in unseren Designprozess, ohne dabei auf starre Checklisten zurückzugreifen? In kleinen Teams und bei Projekten gibt es keine Ethik-Audits oder formelle Prozesse – es interessiert sich auch oft niemand direkt für die ethischen Fragen.

Dark Patterns definiert
Dark Patterns sind Designstrategien, die Nutzende in eine bestimmte Richtung lenken – oft zu ihrem Nachteil. Diese Techniken nutzen psychologische Mechanismen aus, nach denen wir Menschen funktionieren. Also etwa sogenannte Heuristiken, die uns das Leben leichter machen (siehe Dezember-Newsletter Denken auf der Überholspur – Heuristiken in UX und Design).
Bekannte Beispiele für Dark Patterns sind:
Nagging
Auf-die-Nerven-gehen: Zum Beispiel, indem man immer wieder Pop-ups oder Benachrichtigungen zeigt, die zu einer Aktion auffordern, z. B. einen Newsletter zu abonnieren.
Roach Motel
Man kann sich ganz einfach für etwas anmelden (z. B. einen Newsletter), aber die Abmeldung ist absichtlich kompliziert gestaltet oder versteckt. (Der Begriff kommt von roach – Kakerlaken: Sie nisten sich schnell in einem Motel ein, man wird sie aber nur mit großen Mühen wieder los.)
Versteckte Kosten
Der Preis wird zunächst niedrig dargestellt. Gebühren oder notwendige Extras erscheinen erst im letzten Schritt des Kaufprozesses.
Solche manipulativen Strategien zeigen sich oft erst beim genaueren Hinsehen. Werden sie aber erkannt, können sie das Vertrauen der Nutzenden zerstören. Und sie sind von vornherein ethisch abzulehnen. Sie schränken die Autonomie der Nutzenden ein. Solche Ansätze zielen darauf ab, Entscheidungen zu erreichen, die die Nutzenden nicht getroffen hätten, wenn sie vollständig informiert gewesen wären. Sie sind also bloßes Mittel zum Erreichen wirtschaftlicher Ziele. Dieser Ansatz widerspricht dem Prinzip, alle Menschen als eigenständige Individuen mit eigener Entscheidungsfreiheit zu respektieren.

Dark Patterns erkennen
Natürlich wollen wir Nutzende mit unserem Design motivieren und ihnen helfen, ihre Ziele zu erreichen – und auch die derjenigen, die die Webseite oder App betreiben. Der entscheidende Unterschied zwischen Dark Pattern und legitimer Motivation liegt in der Transparenz und der Freiwilligkeit: Manipulative Muster täuschen die Nutzenden oder zwingen sie zu etwas, während ethisches Design informiert und unterstützt.
Um nicht unabsichtlich Dark Patterns zu verwenden, sollten wir uns immer fragen: Dient dieses Element tatsächlich den Interessen der Nutzenden, oder ist es nur darauf ausgerichtet, Unternehmensziele auf Kosten der Nutzenden zu erreichen? Werden Nutzende bewusst in eine Richtung gedrängt? Oder haben sie die Möglichkeit, eine informierte Entscheidung zu treffen?
Diese kritische Reflexion ist ein erster Schritt hin zum ethischen Design. Das ist nicht nur „das Richtige“, sondern es bewirkt auch, dass wir Nutzende langfristig binden und somit den Zielen der Auftraggebenden genauso dienen.
Wir sollten beim Design insbesondere auf folgende Aspekte achten:
- Transparenz der Optionen: Vermeiden Sie Voreinstellungen, die zu kostenpflichtigen Leistungen führen. Jede Option sollte klar und verständlich kommuniziert werden.
- Klare Abmeldemöglichkeiten: Sorgen Sie für einfache Wege, Kündigung oder Abmeldung durchzuführen. Unnötig komplexe Prozesse oder versteckte Optionen gelten als manipulative Maßnahmen.
- Ehrliche Darstellung von Inhalten: Unterscheiden Sie klar zwischen redaktionellen Inhalten und Werbung. Die Irreführung der Nutzenden durch die Vermischung beeinträchtigt das Vertrauen nachhaltig.

Persuasive Design – Chancen und Grenzen
Persuasive Design, also überzeugendes Design, soll Nutzende dazu bewegen, bestimmte auch für sie selbst positive Handlungen auszuführen oder Verhaltensweisen zu ändern. Also Nutzende etwa zu gesünderer Lebensweise zu animieren, sie zum Lernen motivieren, die Entscheidung für nachhaltige Alternativen erleichtern oder ihnen einen effizienteren Arbeitsablauf nahebringen.
Anders als Dark Patterns setzt Persuasive Design nicht auf Täuschung oder Zwang, sondern auf positive Ansprache und Unterstützung. Ziel ist, die Vorteile transparent zu machen, sodass sich die Nutzenden bewusst für eine Option entscheiden können.
Doch wo liegt die Grenze zwischen Überzeugung und Manipulation? Persuasion wird dann problematisch, wenn sie die Autonomie der Nutzenden einschränkt oder Informationen verschleiert. Etwa durch die gezielte Platzierung von Buttons, die Nutzende dazu verleiten, unbeabsichtigt Daten freizugeben oder ungewollte Aktionen auszulösen.
Setzen wir persuasive Elemente zu aufdringlich oder intransparent ein, dann kann das zu einem Gefühl der Überrumpelung führen – ähnlich wie bei Dark Patterns. Entscheidend ist daher:
- Die Ansprache muss klar und nachvollziehbar sein.
- Die Entscheidung bleibt freiwillig, es wird kein Druck ausgeübt.
- Es gibt keine übermäßige Betonung von Vorteilen, die zu unrealistischen Erwartungen führen.
Im Zweifel sollten wir uns in der Praxis beim Gestalten immer fragen: Fördert dieses Designelement die Autonomie und das Wohlbefinden der Nutzenden, oder zwingt es sie in eine bestimmte Richtung? Diese Frage hilft uns, die Grenze von Überzeugung zur Manipulation zu erkennen.
Verantwortung im Alltag – Ethik als mentaler Kompass
Ethisches UX-Design heißt nicht, eine Checkliste abzuarbeiten oder sich an starre Regeln zu halten. Vielmehr geht es darum, dass wir eine ethische Haltung in unserer Arbeit entwickeln und diese im Alltag leben. Gerade wenn wir in kleinen Teams oder gar als Einzelpersonen arbeiten, müssen wir pragmatische Wege finden, um ethische Überlegungen in unseren Designprozess zu integrieren.
Dieser innere Maßstab basiert auf zentralen Werten wie Transparenz, Fairness und dem Respekt vor der Selbstbestimmung der Nutzenden. Dabei können uns einfache Fragen helfen wie „Würde ich dieses Design selbst nutzen wollen?“ oder „Fühle ich mich wohl dabei, wenn Freunde oder Familie mit diesem Element interagieren?“
Mit dieser einfachen Methode können wir auch in stressigen Projektphasen mit wenig Aufwand prüfen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Generell sollten wir immer auch die langfristige Zufriedenheit der Nutzenden im Blick behalten.
Ethisches Design ist ein kontinuierlicher Reflexionsprozess. Der mentale Ethikkompass dient dabei als praktisches Werkzeug, um im hektischen Alltag immer wieder die Balance zwischen Effektivität und Fairness zu finden. So entwickeln wir vertrauenswürdige, nachhaltige Produkte und Anwendungen.
Fazit – Nachhaltigkeit durch ethisches UX-Design
Mit Dark Patterns untergraben Sie die Entscheidungsfreiheit der Nutzenden und schaden langfristig dem Vertrauen in Ihre Anwendungen.
Auch wenn wirtschaftliche Interessen legitim sind, sollten sie stets hinter der Frage zurückstehen, ob die Selbstbestimmung der Nutzenden gewahrt bleibt. Durch die konsequente Ausrichtung auf Transparenz und Fairness schaffen Sie langfristige, vertrauensvolle Beziehungen und fördern eine nachhaltige Nutzerbindung. Damit entwickeln Sie Anwendungen, die wirtschaftlichen Erfolg und verantwortungsvolles Design in Einklang bringen.