Newsletter 04/2005 – Erfolgskriterien für Sites & Anwendungen

Erfolgreiche Sites sehen nicht unbedingt gut aus, sie sind einfach. Bestes Beispiel: Google.

Beispiel Google

Google gewinnt keine Design-Preise, hat aber innerhalb weniger Jahre eine Monopol-ähnliche Stellung unter den Suchmaschinen erreicht. Im Amerikanischen ist „to google“ inzwischen der übliche Ausdruck für die Suche im Internet.

Warum ist Google so erfolgreich? Dafür gibt es mehrere Erklärungen. Meiner Meinung nach sind die Folgenden am wichtigsten:

Google ist einfach

Jeder sieht bei Google auf einen Blick, was er tun muss. Keine Ablenkung durch Zusatzangebote, erweiterte Funktionen oder Werbung. Auf keiner Seite im Web kommt man so schnell zum Ziel wie auf der Startseite von Google.

Google ist anders

Google hatte bei seinem Launch 1998 den Charme des David. Google war der kleine Herausforderer, der die damaligen Suchmaschinen-Goliaths das Fürchten lehrte. Gerade die technikbegeisterten Nutzer, die viele Innovationen etablieren helfen, schätzen diesen David-Faktor.

Google funktioniert

Das hätte aber natürlich nicht genügt, um Google zu so durchschlagendem Erfolg zu verhelfen. Entscheidend war, dass die Suchergebnisse von Google besser waren als die der Konkurrenz. Viel besser. Inzwischen ist dieser Vorsprung geschrumpft, aber dank seiner weiten Verbreitung und der einfachen Bedienbarkeit kann das die Marktanteile von Google kaum verringern.

Neben der Standardsuche können Fortgeschrittene auch den erweiterten Modus nutzen, etwa um die Suche einzugrenzen auf bestimmte Sites. Profis können diese Funktionen durch Eingabe von Kürzeln direkt auf der Startseite eingeben. (Tippen Sie etwa „usability en-de“, ist der erste Treffer ein Link zum Lexikon LEO mit der entsprechenden Übersetzung des Begriffs „usability“ ins Deutsche.)

Damit bietet Google einen Zugang zu Zusatzfunktionen und hält dabei gleichzeitig die Startseite so einfach wie möglich.

Größte Gefahr: neue Funktionen

Bisher hat Google, anders als viele andere erfolgreiche Sites und Anwendungen, der Versuchung widerstanden, das einfache Bedienkonzept durch neue Funktionen und Angebote aufzuweichen. Es kommen zwar immer wieder neue hinzu, dennoch ist die Startseite so aufgeräumt und einfach zu bedienen wie am ersten Tag.

Weniger erfolgreich auf diesem Gebiet waren etwa Ebay oder Amazon. Diese Sites werden immer komplexer und unübersichtlicher. Dennoch kann das ihren Erfolg nur wenig bremsen, denn die neuen Funktionen werden immer so eingebaut, dass die bestehenden wie gewohnt benutzt werden können. Nachdem die meisten Benutzer solche Sites regelmäßig besuchen und sozusagen mit ihnen wachsen, kommen sie auch mit diesen gut zurecht. Neue Benutzer haben es allerdings eher schwer.

Bestehende Nutzer wollen einerseits die lieb gewonnenen Funktionen möglichst unverändert beibehalten, andererseits erwarten sie neue Angebote. Neue Nutzer sind leicht überwältigt von Anwendungen und Sites, die zu viel anbieten. Hier müssen Sie die richtige Balance finden.

Andere beispielhafte Herausforderer

Der open-source-Browser Firefox hat ähnlich wie Google innerhalb kürzester Zeit Marktanteile gewonnen. Einen Monat nach Veröffentlichung der 1.0-Version hatten über fünf Millionen Benutzer die schlanke Internet Explorer-Alternative herunter geladen, bis Ende 2005 sind zehn Prozent Marktanteil angepeilt. Auch Firefox ist leicht zu bedienen, hat den David-Faktor und bessere Funktionalität als die Konkurrenz.

Der Buchversender BOL dagegen beispielsweise tut sich schwer, gegen seinen Konkurrenten Amazon anzukommen. Die Site benutzt andere Farben, ist aber in Aufbau und Funktion fast identisch und bietet kaum mehr. Nachdem Amazon als Marke etabliert ist, fehlen BOL die Voraussetzungen, um als Herausforderer schnell Erfolg zu haben.

Design muss nicht spartanisch sein

Auch Sites, die nicht so reduziert sind wie Google, können sehr erfolgreich sein. Siehe etwa das schon erwähnte Beispiel Amazon. Oder der Kaffeeverkäufer Tchibo, der inzwischen mehr Umsatz mit Kleidung, Sportartikeln und Büromaterial macht. Dessen Startseite ist voller Fotos, Links, Boxen. Noch dazu ist sie sehr lang. Scheinbar ein Verstoß gegen etliche Usability-Regeln.

Doch in diesem Fall ist das genau das Richtige: die Seite soll neugierig machen auf die Angebote, die Tchibo diese Woche hat. Dazu sind Fotos nahezu unerlässlich, ganz knappe Beschreibungen auch. Da man die Inhalte sehr schnell erfasst ist Scrollen hier besser als sich durch mehrere Seiten zu klicken.

Links zu Zusatzangeboten sind durch die grafische Gewichtung so unauffällig auf der Startseite platziert, dass sie den Schnäppchenjäger nicht stören. Der Besucher, der sie nutzen will, findet sie aber dennoch leicht.

Ein anderes hervorragendes Beispiel für eine aufwändig gestaltete Site, die auch noch grafisch anspruchsvoll ist: www.vitra.de. Die Site des Möbelherstellers kombiniert große Farbflächen mit wenig Text und schönen Fotos.

Konflikte zwischen Design und Usability?

Den immer wieder beschworenen Streit zwischen Usability und Design gibt es in Wahrheit nicht. Jedem Usability-Experten ist klar, dass gutes Design für die Usability unumgänglich ist – und auch für den Erfolg beim Benutzer.

Dennoch gibt es natürlich Konflikte zwischen Designern und Usability-Experten. Diese entstehen jedoch fast immer durch Verständigungsschwierigkeiten oder durch zwischenmenschliche Probleme.

Vom „Ende der Usability-Kultur“, das etwa Dirk Knemeyer kommen sieht, kann nicht die Rede sein. Nach meiner Einschätzung spiegelt sich darin nur ein Kampf um Budgets wider: manche Design-zentrierte Agenturen versuchen den Usability-zentrierten Kollegen die Aufträge wieder abzuluchsen, die sie in den letzten Jahren verloren haben. Die Aufraggeber haben die Wichtigkeit von Usability erkannt, viele etablierte Agenturen haben aber nicht rechtzeitig reagiert und mussten Auftragseinbußen hinnehmen.

Ob Sie als Designer, als Konzepter, als HTML-Programmierer oder als Usability-Experte arbeiten: Sehen Sie sich die erfolgreichen Sites und Anwendungen wie Google oder Firefox an und lernen Sie von ihnen – ob Sie Ihre Projekte dann über „Usability“ oder „Design“ gewinnen, spielt letztlich für den Erfolg beim Benutzer keine Rolle. Der wählt das, was gut funktioniert und was ihm gefällt.

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(c) Jens Jacobsen 2005

Bei Weiterleitung oder Zitat bitte Quellenangabe („Quelle:
benutzerfreun.de-Newsletter April 2005“).

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