Newsletter 05/2006 – Benutzerfreundlichkeit durch bärige Texte

Alle paar Wochen werden Websites Preise verliehen. Doch beurteilen die Jurys fast ausschließlich ihr Design. Selten spielt die Usability eine Rolle und noch seltener würdigen sie den Inhalt der Sites. Anders ist das beim Wikipedia-Schreibwettbewerb, bei dem es ausschließlich um den Inhalt einzelner Seiten geht.
Am 24. April gab die Jury den Sieger des vierten Schreibwettbewerbs bekannt: der Eintrag für den Braunbär. Für Gestaltung und Navigation kann man sich für die eigene Site wenig abgucken, aber für das Schreiben von Texten eine ganze Menge. Aus der Begründung:

„Dem Autor ist es gelungen, eine unstrukturierte Ansammlung von Schlagworten in einen mitreißenden Text zu verwandeln, der von der Biologie über die Bedrohung bis zur Heraldik jeden Aspekt lückenlos behandelt. […]
Die ausgewogene allgemeinverständliche Darstellung und die charmante Illustration haben die Jurymitglieder davon überzeugt, diesen Artikel als primus inter pares anzusehen. Jedem weiteren Wikipedia-Artikel zu einer Tierart kann diese exzellente Darstellung nur als Vorbild dienen.“

Nicht nur für Texte über Tiere, nicht nur für Lexikoneinträge, sondern für alle Seiten, die komplexere Themen beschreiben, kann diese Seite meiner Meinung nach als Vorbild dienen. Das können Beschreibungen der Firmengeschichte, Hintergründe zu Dienstleistungen sein, die Sie anbieten oder auch Bedienungsanleitungen.

Warum der Bärenartikel gut ist

Die zwei wichtigsten Punkte eines guten Textes erfüllt dieser Text beispielhaft:

  • Gut nachvollziehbare Struktur
  • Leicht verständliche Sprache

Die ersten vier Sätze des Artikels sind eine Zusammenfassung der Seite, die einen Überblick gibt und die wichtigsten Fakten nennt. Die folgende Gliederung zeigt, dass sich der Autor viele Gedanken über die sinnvolle Anordnung der Inhalte gemacht hat. Alle Fakten sind nur einmal genannt, auch wenn sie an mehreren Stellen eingeordnet werden könnten. Dabei erscheint die Zuordnung immer nachvollziehbar.
Die Sprache ist leicht verständlich, aber immer wissenschaftlich korrekt. Das ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass man es auch Fachleuten Recht machen kann, ohne für Laien unverständlich zu werden.
Die Sätze sind klar und meist kurz, und fast immer im Aktiv formuliert. Dadurch liest sich der Text angenehm und flüssig, obwohl er sehr lang ist.
Ein Beispiel:

„Braunbären haben den stämmigen, kraftvollen Körperbau aller Bären, ihr Skelett ist aber in der Regel stärker gebaut als das anderer Vertreter ihrer Familie.“

Mit 23 Wörtern ist dieser Satz zwar etwas lang, aber er ist dennoch gut verständlich. Man hätte auch schreiben können:

„Braunbären zeichnen sich durch den stämmigen, kraftvollen Körperbau aller Bären aus, wobei sich ihr Skelett aber in der Regel als stärker gebaut als das anderer Vertreter ihrer Familie zeigt.“

Diese wenigen Änderungen machen den Satz sehr schwer verständlich. Das liegt vor allem daran, dass in ihm zusammengehörige Teile auseinander gerissen sind: das zusammengesetzte Verb „auszeichnen“ (zeichnen …. aus) und die Formulierung „stärker gebaut … zeigt“. Diese typischen Fehler sollten Sie vermeiden.

Weitere Tipps der Wikipedia

Die Wikipedia hat eine eigene Seite, auf der Autoren nachlesen können, wie man gute Texte schreibt. Das ist nicht nur für angehende Lexikonmitarbeiter interessant, sondern für jeden, der Texte schreiben möchte, die auch gelesen werden.
Die wichtigsten Tipps sind:

Vorauswahl – Relevanz

Überflüssige Texte machen Ihnen unnötig Arbeit und erschweren den Benutzern die Übersicht. Daher kann ein Text noch so schön sein – wenn er überflüssig ist, lassen Sie ihn weg, das ist besser für Sie und für Ihre Benutzer.

Lebendige Verben

Anders als es sich viele aus der Schule fälschlicherweise gemerkt haben, bringen nicht Adjektive, sondern Verben Leben in die Sätze. Eine Beschreibung wie

„Der Hund war ein lebhafter, sprunghafter Charakter.“

ist statisch und wird auch dadurch, dass sie zwei Adjektive verwendet, nicht anschaulicher. Besser lässt sich dieser Inhalt verdeutlichen durch:

„Kaum von der Leine, raste der Hund über die Wiese.“

Dabei entsteht ein Bild im Kopf des Lesers. Und das liest sich angenehmer und ist leichter zu verstehen – nicht nur bei Tiergeschichten. Statt

„Bei Inbetriebnahme ist die grüne, blinkende Lampe sichtbar.“

schreiben Sie lieber:

„Wenn Sie das Gerät einschalten, blinkt die Lampe grün.“

Die Verben „haben“, „sein“, „erfolgen“ usw. sind blass, weil sie keine Bilder in der Vorstellung des Lesers erzeugen. Setzen Sie sie so sparsam wie möglich ein.

„Das Passiv sollte von Autoren generell so weit wie möglich vermieden werden, damit ein flüssiger Stil erreicht werden kann.“

Das ist ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Besser:

„Vermeiden Sie das Passiv, damit sich der Text flüssig liest.“

Passiv führt zu unkonkreten Sätzen, es wird nicht sofort klar, wer handelt. Außerdem begünstigt es den Nominalstil, also den Einsatz von Wörtern auf -heit, -keit, -ung und -ierung.

„Durch die Formatierung wird die Festplatte zur Benutzung vorbereitet.“

können Sie auch so schreiben:

„Formatieren Sie die Festplatte, bevor Sie sie benutzen.“

Überflüssige Konjunktionen

Die meisten von uns verwenden überflüssige Füllwörter. Diese können Sie fast immer ersatzlos streichen:
aber, auch, nun, dann, doch, wohl, allerdings, eigentlich

Was Sie anders machen sollten

Ein paar Tipps gelten allerdings nur für Lexikoneinträge. Was Sie auf Ihrer Site deshalb anders als die Wikipedia machen sollten:

Inhalte auf mehrere Seiten aufteilen

Ein Lexikoneintrag soll in sich abgeschlossen sein. Meist schlägt man auch nur einen Begriff nach und liest deshalb nur einen Eintrag. Bei einer Website ist das anders, meist liest man dort mehrere Dinge. Etwa weil man sich einen Eindruck von einer Firma machen will. Oder weil man auf der Suche nach einem Produkt ist.
Teilen Sie daher große Informationsmengen auf Ihrer eigenen Site besser auf mehrere Seiten auf – aber lassen Sie die Dinge auf einer Seite, von denen Sie wissen, dass sie immer zusammen gelesen werden.

Weniger Links setzen

In einem Lexikon sind die Inhalte stark miteinander verlinkt. Das sollten Sie auf Ihrer Site lieber nicht machen, weil es immer Unruhe in den Text bringt. Zum einen ist es sinnvoll, nur die allerwichtigsten Dinge zu verlinken. Zum andern ist es besser, die Links gesammelt am Ende des Textes oder am Ende von Sinnabschnitten anzuordnen.

Listen verwenden

Die Wikipedia will ein echtes Lexikon sein, das ganze Sätze enthält, die auch ganz gelesen werden sollen. Für fast alle anderen Seiten im Web bietet es sich aber an, die Informationen so komprimiert wie möglich zu bringen. Denn die meisten Benutzer sind auf der Suche nach einer konkreten Information und möchten diese so schnell wie möglich finden. Deshalb bietet es sich an, viel mit Listen zu arbeiten.

Fazit

Tipps für gute Texte sind allgemein gültig. Beherzigen Sie nur die wichtigsten, brauchen Sie nicht viel länger als bisher zum Schreiben, produzieren aber wesentlich besser benutzbare Inhalte. Das werden Ihnen die Besucher Ihrer Site danken, was Sie recht bald an den Zugriffszahlen merken werden.

Links

http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Wie_schreibe_ich_einen_guten_Artikel
Die Formulierungstipps für Lexikonautoren und andere Schreiber

http://de.wikipedia.org/wiki/Braunbär
Der Sieger des vierten Schreibwettbewerbs

http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Schreibwettbewerb
Hintergrundinfos über den Schreibwettbewerb

www.benutzerfreun.de/konzepter-infos/angebot_grobkonzept/texten.html
Weiterführende Infos zum Thema
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(c) Jens Jacobsen 2006

Bei Weiterleitung oder Zitat bitte Quellenangabe („Quelle:
benutzerfreun.de-Newsletter Mai 2006“).

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