Eigene Entscheidungen leichter fällen – Newsletter 3/2019

Nicht nur die Besucher unserer Website müssen ständig Entscheidungen treffen (siehe Newsletter Nutzern Entscheidungen erleichtern). Wir selbst müssen immer wieder Entscheidungen fällen, wenn wir unsere Website konzipieren, gestalten und betreiben. Und zwar Entscheidungen für die Benutzer: Entscheidungen, welche Inhalte wir bringen, Entscheidungen, wie ausführlich wir die Dinge beschreiben, Entscheidungen, ob wir die Inhalte in Textform im Bild, Video oder Ton bringen.

Davor müssen wir einmal entschieden haben, was das Ziel unserer Website ist, was wir mit ihr überhaupt erreichen wollen. Nur wenn wir diese Entscheidung getroffen haben, können wir unser Ziel überhaupt erreichen. Und dann müssen wir uns entscheiden, wie wir die Nutzer dazu bringen, das zu tun, weshalb wir die Website betreiben.

Schwierige Entscheidungen sind schwierig

Aber wie fällen wir die richtige Entscheidung? Woher wissen wir, was unsere Besucher wollen? Das bekommen wir nur heraus, indem wir uns ausführlich mit unserer Zielgruppe auseinandersetzen und Nutzerforschung (user research) betreiben.

Aber selbst wenn wir das mustergültig getan haben, gibt es immer noch sehr, sehr viele Möglichkeiten, die uns bei jedem einzelnen Schritt offen stehen. Daher im Folgenden ein paar Tipps wie Sie die beste Entscheidung treffen.

Mir persönlich hilft es schon, zu überlegen, mit welcher Art von Entscheidung ich es zu tun habe. Es gibt 2 Grundtypen:

  1. Informierte bzw. fundierte Entscheidungen (informed decisions) Hier können wir durch Sammeln von Informationen alle Kriterien ermitteln, nach denen wir die beste Entscheidung treffen können.
  2. Riskante bzw. risikobehaftete Entscheidungen (risky decisions) Bei solchen Entscheidungen müssen wir uns auf Vorhersagen, Statistiken, Bauchgefühl oder Intuition verlassen. Denn bei diesen ist es unmöglich, alle zur rationalen Entscheidung nötigen Informationen zu ermitteln.

Wir hätten gern nur Entscheidungen vom Typ 1 – aber gehören viele Entscheidungen im Leben zum Typ 2. Und gerade die machen uns Probleme.

Entscheidungen alleine treffen

Viele, viele wissenschaftliche Studien haben gezeigt: das Bauchgefühl allein ist für Entscheidungen kein guter Ratgeber. Die Wahrscheinlichkeit, die richtige Entscheidung zu treffen, ist weitaus höher, wenn wir rational vorgehen. Selbst wenn wir alleine entscheiden, hilft es, unsere Entscheidungskriterien zu Papier zu bringen. Die klassische Gegenüberstellung von Vor- und Nachteilen ist noch immer ein einfaches und effektives Werkzeug für die Entscheidungsfindung (pro-con list). Vor allem deshalb, weil wir uns beim Aufschreiben umfassend mit dem Problem befassen. Es von allen Seiten beleuchten.

Wenn es etwas komplexer wird, können Sie auch Punkte vergeben: Die wichtigsten Kriterien bekommen die meisten Punkte, die weniger wichtigen bekommen weniger. Klingt banal, ist aber hoch effektiv. Und hat deshalb sogar einen wissenschaftlichen Namen bekommen: Entscheidungs-Matrix (decision matrix).

Ein einfaches Beispiel: Sie haben sich 4 Agenturen angesehen, um einen Partner für die Programmierung Ihrer Website zu finden. Sie können Ihrer Intuition folgen und einfach eine aussuchen, bei der Sie ein gutes Gefühl haben. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Sie dabei einem der folgenden psychologischen Phänomene aufsitzen:

  • Sie entscheiden sich für die Agentur, welche die meisten Kunden aus ihrem Bereich vorweisen kann.
  • Sie entscheiden sich für die Agentur, die den sympathischsten/geschicktesten Verkäufer geschickt hat.
  • Sie entscheiden sich für die billigste Agentur.
  • Sie entscheiden sich für die letzte Agentur, die Sie besucht/gesehen haben.

Alle diese Bauchgefühl-Entscheidungen beruhen auf einfachen psychologischen Mechanismen, für die wir alle anfällig sind. Und zwar unabhängig davon, ob wir die Mechanismen kennen oder nicht.

Daher hilft eine Entscheidungs-Matrix, uns selbst Klarheit über unsere wichtigsten Kriterien zu verschaffen – und dabei zu sehen, wie die jeweiligen Lösungsalternativen diese Kriterien erfüllen.

Entscheidungs-Matrix Beispiel Auswahl Web-Agentur
Eine Beispiel-Entscheidungs-Matrix. Der Punktewert am Ende errechnet sich durch Multiplikation der Einzelnoten mit dem Gewichtungsfaktor, dividiert durch 4*5 (denn es gibt 4 Kriterien mit jeweils maximal 5 Punkten).

Klügere Entscheidungen treffen

Zum Thema Entscheidungsfindung gibt es unendlich viele Bücher, Seminare, Filme und wissenschaftliche Studien. Generell laufen die meisten auf Tipps wie diese 9 Goldenen Regeln zur Entscheidungsfindung heraus:

  1. Kläre das Problem: Definieren Sie genau, welche Entscheidung Sie treffen wollen. Überlegen Sie, ob es nicht ein zugrunde liegendes Problem gibt, was zunächst gelöst werden muss. Die Ursache soll bekämpft werden, nicht die Symptome.
  2. Sichte die Informationen: Welche Informationen fehlen noch? Können Sie diese Lücken schließen? Können Sie zumindest Abschätzungen vornehmen?
  3. Liste alle Entscheidungskriterien und gewichte diese: Überlegen Sie, nach welchen rationalen Kriterien die Entscheidung getroffen werden kann.
  4. Entwickle Alternativen: Werden Sie kreativ und arbeiten Sie Alternativszenarien heraus. Bei starken Gegensätzen nehmen Sie beide Positionen ein und finden Sie gute Argumente für jede Seite. Übertreiben Sie dabei aber nicht – Sie können hiermit viel Zeit verschwenden und damit die Entscheidung herauszögern.
  5. Schätze die Konsequenzen ab: Was kann passieren, wenn Sie sich für oder gegen eine Lösung entscheiden?
  6. Wäge die Kompromisse ab: Welche Kompromissmöglichkeiten gibt es? Muss man sich wirklich ganz für eine der Lösungen entscheiden? Welche Vor- und Nachteile hätten Kompromisse?
  7. Liste alle Risikofaktoren: Was sind die wirklich riskanten Punkte? Welche Faktoren können das Projekt zum Scheitern bringen?
  8. Sei ehrlich: Welche Risiken sind Sie bereit einzugehen? Welche Konsequenzen bereit zu tragen?
  9. Bedenke die Folgen: Was folgt aus den jeweiligen Entscheidungen? Gibt es Folgeentscheidungen, die dann zu treffen sind? Oder sind schon getroffene Entscheidungen zu revidieren wegen der aktuellen Entscheidung?

Design-Entscheidungen

Bei Entscheidungen über das Design heißt es: im Zweifel immer für die gängige Lösung. Wenn Sie von den Standards abweichen, sollten Sie dafür gute Gründe haben. Nur weil etwas ungewöhnlich ist, ist es aus UX-Sicht nicht unbedingt gut. Das kann zwar neu und frisch wirken, kann aber die Usability unter Umständen stark beeinträchtigen.

im Zweifel immer für die gängige Lösung. Wenn Sie von den Standards abweichen, sollten Sie dafür gute Gründe haben.

Denn die Nutzer haben keine Lust, bei jeder neuen Website oder App die Bedienung neu zu lernen. Sondern sie erwarten, dass diese so funktioniert, wie sie es von anderen Anwendungen her kennen.

Wenn Sie sich unsicher sind, dann können Nutzertests immer helfen, Licht ins Dunkel zu bringen. Generell können alle Methoden der Nutzerforschung helfen, offene Fragen zu beantworten und Annahmen über Ihre Zielgruppe durch Gewissheit zu ersetzen.

Gefährlich ist aber die Einstellung, einfach mal alles „im A/B-Test“ zu prüfen. Es gibt Teams, da schlägt bei jeder noch so kleinen Kontroverse jemand vor, einen A/B-Test zu machen. An sich eine gute Idee, die Nutzer entscheiden zu lassen. Doch sollte man als verantwortliches Team auch selbst ein Zutrauen entwickeln, gute Konzepte entwicklen zu können. Man kann sehr viel Zeit mit A/B-Tests verbringen – geht man aber gleich mit wirklich durchdachten Varianten in den Test, ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher, sinnvolle Ergebnisse zu bekommen. Und man ist viel schneller bei einer guten Lösung.

Wenn weder Variante A noch Variante B gut sind, dann sagt uns ein A/B-Test nur, welche Variante weniger mies ist. Peter Seibel

Leichtere Entscheidungen in der Gruppe

Entscheidungsfindung in Gruppen ist noch deutlich schwieriger als allein – zu den oben genannten Faktoren kommt noch die Gruppendynamik hinzu. Persönliche Sympathien und Abneigungen, Hierarchien, Rivalitäten und viele psychologische Faktoren machen die Entscheidungen in Gruppen komplex.

Daher gibt es auch hierzu viel Literatur. Im Folgenden nur zwei Techniken, die sich in meiner Arbeit sehr bewährt haben:

Priorisierungs-Matrix

Statt einfach nur zu diskutieren, hilft es, die Argumente und/oder Alternativen zu visualisieren. Eine strukturierte Liste auf Flipchart oder Tafel ist schon ein guter Start.

Noch besser funktioniert die Priorisierungs-Matrix. Das ist eine vereinfachte Form der eben vorgestellten Entscheidungs-Matrix. Die Priorisierungs-Matrix gibt es in undenklich vielen Varianten. Gemeinsam ist ihnen, dass die Alternativen entlang von zwei Achsen in vier Quadranten angeordnet werden.

Ein Beispiel: Sie haben eine Handvoll von Ideen, wie sich Ihr Produkt verbessern lässt. Im Team können Sie sich nicht einigen, welche Ideen als erste umgesetzt werden sollten. Sie zeichnen also zwei Achsen ans Whiteboard: Auf der horizontalen ist der Aufwand, auf der vertikalen der Nutzen für die Anwender. Nun sortieren Sie alle Vorschläge ein. Je weiter rechts ein Punkt steht, desto schneller ist zum Beispiel die Umsetzung. Je weiter oben ein Punkt steht, desto größer ist der Nutzen für die Anwender.

Priorisierungs-Matrix Beispiel Feature-Priorisierung Website
Beispiel für eine Priorisierungs-Matrix, um zu entscheiden, was bei einer fiktiven Website überarbeitet werden soll. Was im Quadrant rechts oben landet, wird als Erstes umgesetzt.

Welche Achsen Sie verwenden, können Sie je nach Fragestellung entscheiden. Gut ist es aber, wenn Sie immer die positiven Dinge rechts oben anordnen – das ist die übliche und von den Teilnehmern der Diskussion erwartete Anordnung. Deshalb habe ich im Beispieldiagramm „Schnelligkeit Umsetzung“ als Achsenbeschriftung verwendet und nicht „Aufwand“.

In einer Besprechung nutzen Sie die Priorisierungs-Matrix also so:

  1. Einigen Sie sich auf die Elemente, die diskutiert werden (in unserm Beispiel also die Funktionen/Überarbeitungen der Website). Schreiben Sie diese auf Karten oder Haftnotizen und sammeln Sie diese auf der (Pin-)Wand.
  2. Legen Sie gemeinsam die zwei Achsen fest (im Beispiel Schnelligkeit Umsetzung und Anwender-Nutzen). Zeichnen Sie die Linien.
  3. Jeder Teilnehmer bekommt Klebepunkte zum Abstimmen. Verteilen Sie halb so viele Punkte, wie es Karten/Elemente gibt. Haben Sie also z.B. 10 Karten mit Funktionen, bekommt jeder 5 Klebepunkte.
  4. Jeder Teilnehmer klebt seine Punkte auf seine Favoriten. Hierbei wird nicht diskutiert! Es sollte jeder nur nach den Kriterien urteilen, die in sein Fachgebiet fallen. Die Programmier also nur zu Programmierung, die UX-Experten zu UX usw. Haben Sie viele Teilnehmer, können Sie auch unterschiedliche Farben für die Klebepunkte verwenden, je nach Fachgebiet.
  5. Platzieren Sie nun die Karten auf dem Diagramm. Dabei sollten Sie als Moderator sich an den Klebepunkten orientieren – inhaltlich diskutiert werden sollte jetzt immer noch nicht.
  6. Jetzt erst geht es in die Diskussion. Sind alle Teilnehmer mit der Platzierung zufrieden? Sind die Elemente, welche keine Punkte bekommen haben, überflüssig? Sind die Elemente, welche gleich viele Punkte bekommen haben, wirklich gleichwertig? Die Karten können jetzt gemeinsam verschoben werden – Ziel ist, am Ende einen Konsens zu erreichen.

Lightning Decision Jam

Nur kurz erwähnen möchte ich noch den Lightning Decision Jam. Gerade bei schwierigen, langwierigen Diskussionen in größeren Teams hat sich dieser sich in meinen Projekten bewährt.

Auch bei der Methode kommt wieder die stille Abstimmung zum Einsatz wie bei der eben vorgestellten Priorisierungs-Matrix. Warum diese Art der Abstimmung so gut funktioniert? Damit beeinflusst nicht die lauteste/wichtigste/redegewandteste Person die Entscheidung maßgeblich. Durch die stille Abstimmung hat jede Stimme zunächst gleich viel Gewicht.

Und dadurch, dass man sich erst einmal alle Argumente aller Teilnehmer anhört, kann man auch viel Zeit sparen.

Alle Details zur Methode bei Jonathan Courtney: Lightning Decision Jam — Solve Problems Without Discussion

Fazit

Von den Tausenden von Entscheidungen, die wir jeden Tag fällen, sind zum Glück nur wenige schwierig. Aber mit denen tun wir uns dafür dann richtig schwer. Ein strukturiertes Vorgehen wie oben beschrieben hilft daher ungemein. Zum einen, um bessere Entscheidungen zu fällen. Vor allem aber auch dafür, ein gutes Gefühl zu haben – weil man die Gewissheit hat, dass man eine rationale, gut begründete Entscheidung getroffen hat.

Drei Tipps noch zum Abschluss, um immer besser darin zu werden, schwierige Entscheidungen zu treffen:

  1. Fehlertoleranz statt Perfektionismus
  2. Lernen statt Wiederholen
  3. Intuition nutzen, hinterfragen und schließlich rational entscheiden

Haben Sie noch weitere Tipps? Wie gehen Sie an komplexe Probleme heran? Ich freue mich über Ihre Kommentare!

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