Behavioral Design – Newsletter 2021/2

So gut wir unsere Website auch konzipieren und gestalten, die traurige Wahrheit ist:

Die meisten Besucher machen dort nicht, was wir wollen.

Das ist der Ausgangspunkt für die Optimierung unsere Sites nach den Prinzipien der Verhaltenswissenschaft – dem Behavioral Design. Dabei geht es nicht darum, Menschen zu manipulieren. Jedenfalls nicht, wenn es richtig gemacht wird. Es geht darum, Menschen, die sowieso schon motiviert sind, zum Abschluss zu bringen. Wie das geht, erklärt das Buch “Online Influence” ziemlich gut.

Das Buch

Cover Buch "Online Influence"

Das Buch gibt es nur auf Englisch (als E-Book oder gedruckt). Aber es lohnt sich, weil es die Grundsätze der Überzeugung mit digitalen Mitteln hervorragend und praxisnah zusammenfasst. Das ist wichtig für alle, die mit ihrer Website etwas erreichen wollen. Sei es, dass sie Produkte verkaufen wollen, den Download von Infomaterial gegen Kontaktdaten erreichen wollen oder dass sie das Verhalten der Menschen verändern und die Welt verbessern wollen.

Die Moral

Das klingt zunächst für viele wahrscheinlich etwas halbseiden. “Online influence” – heißt das, ich soll meine Besucher manipulieren? Sie zu etwas bringen, was sie gar nicht wollen? Ihnen noch mehr Produkte verkaufen, die sie gar nicht brauchen?

Solche Gedanken weisen die Autoren zurück. Sie meinen, dass die meisten Marketing weit überschätzen. Wir Menschen sind keineswegs Wachs in den Händen der Werber. Das belegen nicht zuletzt Konversionsraten von wenigen Prozent – das heißt, der Anteil der Besucher von Websites, die tatsächlich zu Käufern werden, ist selbst bei den hoch erfolgreichen Sites äußerst gering. Kaufen bei Ihnen 5 von 100 Besuchern, ist das außerordentlich viel und Grund zum Feiern.

Die Autoren des Buchs sagen: Es geht um zufriedene Kunden, nicht um Täuschung. Wenn Sie einen Besucher durch Täuschung zum Kauf bringen, haben Sie nicht viel gewonnen. Sie müssen immer wieder neue Besucher finden, die Sie täuschen können. Und Sie produzieren mehr und mehr Menschen, die schlecht über Sie reden. Kein nachhaltiges Geschäftsmodell.

Behavioral Design – Verhaltensgestaltung

Grundlage des Buches ist das sogenannte Behavioral Design, also die Verhaltensgestaltung. Diese Disziplin kommt aus der Psychologie und hat viele Überschneidungen mit den Wirtschaftswissenschaften, der Gestaltung und der Konzeption.

Der Gründer des Behavioral Design, der US-Kommunikationswissenschaftler BJ Fogg, sagt:

Verhaltensgestaltung heißt, Menschen dazu bringen, etwas zu tun, was sie sowieso tun wollen.

Das klingt doch gleich viel sympathischer. Wir wollen auf unsere Website unseren Besuchern klarmachen, dass wir großartige Produkte haben. Wir wollen sie überzeugen von etwas. Und das gelingt uns realistischerweise nur, wenn diese Besucher schon etwas wollen. Sie sind also zum Beispiel auf der Suche nach einer LED-Lampe. Dann wollen wir ihnen auf unsere Site zeigen, was für großartige LED-Lampen wir haben und dass sie eine gute Entscheidung treffen, wenn sie diese bei uns kaufen. Oder nehmen wir an, wir haben eine Website, die Menschen dazu bringen will, nachhaltiger zu leben. Dann können wir nur die Besucher dazu bringen, unseren CO2-Rechner zu nutzen, die sich sowieso für das Thema interessieren – und innerlich schon bereit sind, ihr Verhalten zu überdenken.

Foggs Verhaltensmodell des Behavioral Design

Grundlage des Buches ist das Verhaltensmodell von BJ Fogg. Es sagt, dass jede Handlung drei Voraussetzungen braucht:

  1. Aufforderung (Auslöser)
  2. Motivation in ausreichender Höhe
  3. Möglichkeit/Fähigkeit in ausreichender Höhe

Die Motivation ist schwer zu beeinflussen, die beiden anderen Voraussetzungen sind einfacher zu verändern. Im größten Teil des Buches geht es nun um diese drei Bereiche. Im Folgenden die lohnendsten Tipps:

Aufforderung

Eine Aufforderung („prompt” im Original) ist etwas anderes als die Botschaft („message“). Eine Aufforderung sagt: Mach was! Eine Botschaft dagegen ist eine Meinung, eine Haltung, die ich beeinflussen will. Z.B.: „Wir sind die Experten für XY.“. Eine Botschaft will letztlich eine Nachricht ins Gehirn hochladen. Das versucht z.B. das Branding. Im Buch geht es aber ums konkrete Überzeugen, eine Handlung auszuführen. Branding ist da außen vor.

Und die Grundlage dafür ist, dass der Besucher unserer Website die Aufforderung überhaupt einmal wahrnimmt.

Illustration emotionale Auslöser Online Influence
Die Prinzipien sind mit einfachen Abbildungen illustriert. Einfach und klar, aber schön ist etwas anderes. Aber für das Verständnis völlig ausreichend.

Aufforderungen müssen wahrgenommen werden

Wie sorge ich dafür, dass meine Aufforderung wahrgenommen wird? Typische Hilfsmittel sind:

  • Bewegung
  • Andersartigkeit
  • Gesichter
  • Tiere
  • Starke Emotionen (lachten, weinen, Ekel…)

Wichtig ist auch, dass wir nur eine Aufforderung auf der Seite haben. Oder zumindest klare Hierarchie, damit der Besucher klar sieht, was er tun soll.

Auch ist es gut, die Aufforderung so klar und aktiv wie möglich zu formulieren. Also z.B. nicht:

Übersicht der Produkte

Sondern besser:

Produkte vergleichen

Dabei empfehlen die Autoren, dass man Beschriftungen wie “hier klicken” oder “nach unten scrollen” verwenden sollte. Denn das seien klare, einfache Handlungen, über die niemand lange nachdenken muss. Das klingt einfach. Dagegen klingt “Produkte vergleichen” komplexer.

Beim Lesen war ich schon innerlich beim Widersprechen, dann kam der nächste Absatz. In dem merkten die Autoren an, dass ein Usability-Experte hier anderer Meinung wäre. Denn “hier klicken” ist viel zu allgemein, man weiß nicht, was einen hinter dem Link erwartet. Von der Usability her ist “Produkte vergleichen” der bessere Link-Titel. Für die Überzeugung kann aber “hier klicken” besser sein.

Diese Argumentation gilt den Autoren nach vor allem dann, wenn man Menschen von ihrem aktuellen Tun wegbringen will. Bei einem Werbebanner z.B. Das heißt, wie so oft gilt: Als Konzepter muss man genau drüber nachdenken, was man selbst erreichen will und was die Ziele des Besuchers sind.

Neugier für unwiderstehliche Aufforderungen

Auch bei diesem Punkt würde ich persönlich Vorsicht walten lassen. Überschriften wie diese machen neugierig:

  • So verdienen Sie 1.000€ in der Stunde
  • Warum Sport dick macht

Und doch würde ich sie nur für wenige Fälle empfehlen. Denn selbst wenn sie neugierig machen: Manipuliert fühlen sich dennoch viele Nutzer von solchen Lock-Überschriften (“click bait” genannt, also Klickköder). Ganz wichtig ist, wenn Sie mit Neugier arbeiten, um Ihre Auslöser zu verstärken: Enttäuschen Sie die Erwartungen nicht. Wenn die Nutzer dem Drang nachgegeben haben, eine solche Überschrift anzuklicken, fühlen sie sich schlecht, wenn das Versprechen nicht erfüllt wird.

Was auch oft funktioniert: Nur teilweise sichtbare Dinge im Foto zeigen oder abgedeckte Produkte. Wir wollen dann wissen, ob unser Gehirn die fehlenden Teile richtig ergänzt.

Einfache Fragen stellen

Was auch gut funktioniert, sind einfache Fragen. Etwa:

Wie machen Sie am liebsten Urlaub?

Die Antwortmöglichkeiten: Abenteuer | Entspannen | Beides

Unser Hirn formt automatisch eine Antwort, wenn wir so etwas sehen. Das senkt die Schwelle, auch einen der Buttons mit der Antwort anzuklicken.

Mach’s fertig

Wir Menschen haben einen starken Drang, Dinge fertig zu machen. Wenn wir es unseren Besuchern ganz leicht machen, etwas abzuschließen, werden es viele gern tun. Airbnb nutzt diesen Trick z.B., um die Nutzer nach ihrem Besuch einer Übernachtungsmöglichkeit, zu einer Beurteilung zu bringen: Sie verschicken danach eine Mail, in der es heißt:

Nur noch ein letzter Schritt, um deine Reise abzuschließen:

Und dieser vermeintlich letzte Schritt ist das Abgeben einer Beurteilung.

Motivation

Wie erwähnt: Es ist kaum möglich, jemanden zu motivieren, der überhaupt nicht motiviert ist. Wir sollten uns also auf diejenigen konzentrieren, die etwas Motivation mitbringen. Diese Motivation können wir dann steigern. Techniken dazu sind:

  • Vorfreude
  • Grundbedürfnisse ansprechen
  • Soziale Bewährtheit (social proof)
  • Autorität
  • Mini-Schritte / Commitment / Konsistenz
  • Knappheit
  • Positive Bestärkung
  • Verlustaversion
  • Wahrgenommener Wert (je mehr Aufwand/Anstrengung, desto besser muss es sein)
  • Gute Gründe geben

Hier sind die Prinzipien zu finden, die der Überzeugungs-Papst Robert Cialdini erstmals zusammengeschrieben hat. (Er hat übrigens auch ein Grußwort zum Buch beigesteuert und taucht immer wieder darin auf.)

Bei diesen Prinzipien gilt immer: Wir sollten sie mit Vorsicht und sparsam einsetzen. Denn jedes Element, das die Motivation verstärkt, erhöht die mentale Anstrengung. Somit kann sie die Aufgabe schwerer machen und damit die Konversion killen. Kurz: Überlegen Sie sich immer, welche Taktik im Einzelfall am besten zieht – und setzen Sie nie alle gleichzeitig ein.

Etwas Fingerspitzengefühl kann hier übrigens immer helfen: Statt einen Button “Spenden” zu nennen, funktioniert vielleicht besser “Entscheiden Sie, wie viel Sie spenden möchten”.

Möglichkeit/Fähigkeit

Nun zum letzten Punkt in BJ Foggs Verhaltensmodell: Der Möglichkeit bzw. Fähigkeit, die gewünschte Handlung auszuführen. Es geht dabei darum, es dem Besucher unserer Website so leicht wie möglich zu machen, das zu tun, von dem wir gern hätten, dass er es tut.

Hier kommen klassische Usability-Ansätze zum Tragen. Generell auch die Grundsätze guten Designs wie Reduktion auf das Nötigste, Hilfe bei der Auswahl, sinnvolle Voreinstellungen, klare Fehlermeldungen, Orientieren an Standards und etablierten Mustern.

Illustration Banner schaden der Konversion - online influence
Mein Lieblingsbeispiel: Promo-Banner schaden der Konversion.

Besuchern Entscheidungen erleichtern

Ein ganzes Kapitel gibt es dann noch zum Thema Entscheidungen. Wie mache ich es Interessenten so leicht wie möglich, sich für eine der Optionen zu entscheiden, die ich ihnen anbiete?

Mit dabei sind Techniken wie “Hobson +1“: Die besagt, dass ich am besten immer zwei Möglichkeiten anbiete. Zum Beispiel:

  • „Jetzt kaufen“ & „auf die Wunschliste“
  • „Newsletter abonnieren“ & „auf Twitter folgen“
  • „Jetzt teilnehmen“ & “vielleicht später“

Oder die Technik des „hässlichen Bruders“ (decoy). Dabei biete ich eine unattraktive Produktvariante an, um die Wunsch-Variante attraktiver zu machen.

Der „Praxisteil“

Es klingt erstmal komisch, dass das Buch einen “Praxisteil” hat. Denn alles vorher ist bereits extrem praxisbezogen. Aber der Teil ist dennoch sehr gut. Hier wird am konkreten Beispiel nochmal gezeigt, wie sich die zuvor gezeigten Techniken für verschiedene Bereiche anwenden lassen. Diese Bereiche sind z.B.:

  • Werbebanner
  • Social-Media-Anzeigen
  • Landing Pages
  • Produktdetailseiten
  • Checkout

Dazu gibt es jeweils lohnende Kapitel. Am Ende des Buchs finden sich dazu nochmal Checklisten, aber die braucht es eigentlich nicht – die Kapitel sind knapp genug und unbedingt hilfreich.

Fazit zum Behavioral Design

Das Buch bietet nichts Neues. Und doch lohnt es sich für jeden der Websites, Online-Werbung oder allgemein digitale Inhalte erstellt. Denn, wie die Autoren schreiben: Die Empfehlungen basieren auf Wissenschaft und sind in der Praxis getestet. Und wir können jeweils selbst entscheiden, welche Methode wir wann für uns ethisch vertretbar halten. Es sollte uns also immer darum gehen, zufriedene Nutzer zu erzeugen – und das tun wir nur, wenn wir auch deren Vorteil im Blick haben und sie nicht enttäuschen.

Alle Infos zum Buch: www.onlineinfluence.com

Lohnend ist auch ein Blick auf die Seite, mit der die Autoren Werbung für ihren Kurs zum Thema machen: www.onlineinfluence.com/learning. Hier sieht man, wie die im Buch erklärten Prinzipien mustergültig angewandt werden.

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