Konzepte verkaufen – Newsletter 1/2022

In einer idealen Welt erstellen wir großartige Konzepte, die wir dann vor denjenigen präsentieren, die uns damit beauftragt haben. Diese erkennen sofort, wie gut unsere Konzepte sind.
In der Praxis ist das natürlich nicht immer so. Das hat vor allem zwei Gründe:

  1. Nicht alle Menschen erkennen ein großartiges Konzept, wenn sie es sehen.
  2. Nicht alle unsere Konzepte sind großartig.

Der zweite Punkt ist mir genauso wichtig wie der erste. Warum, das erkläre ich gleich. Aber fangen wir mit dem ersten Punkt an, das ist leichter.

Cover Buch Articulating Design Decisions
Tom Greever: Articulating Design Decisions

Dabei hilft uns ein hübsches Buch: Articulating Design Decisions von Tom Greever. Der schöne volle Titel ist „Articulating Design Decisions: Communicate with Stakeholders, Keep Your Sanity, and Deliver the Best User Experience“

Das Buch ist in einfachem Englisch geschrieben (eine deutsche Version gibt es auch, allerdings nur als E-Book), es liest sich leicht und kommt ohne viele Fachbegriffe aus. Für mich war das Buch gut, denn es hat mich zum Nachdenken gebracht. Empfehlen kann ich es aber nur eingeschränkt. Und auch dazu kommen wir gleich, ersteinmal zu den positiven Dingen:

Wie man seine Konzepte überzeugend präsentiert

Das Buch beschreibt wunderbar, wie wir unsere Designs/Konzepte durchbringen. Das heißt, wie wir andere davon überzeugen, dass sie gut sind. Es geht um „Design“ im weit gefassten Sinn, also um Website-Konzepte, Medien-Strategien, UI-Entwürfe, Wireframes, Mock-ups für Apps oder Websites und alles, was wir in Konzeption, Gestaltung und UI/UX-Design so produzieren.

UX für Präsentation von Entwürfen

Tom Greever schreibt ganz am Anfang:

Das ganze Buch handelt von einer einzigen Besprechung: Der mit den Kundinnen und Kunden bzw. mit den Stakeholdern. Bei diesem diskutieren wir unsere Design-Entscheidungen.

Alle, die so eine Besprechung schon mal mitgemacht haben, wissen, wie wichtig sie ist. Und wie viel hier schieflaufen kann.

Das Buch beschreibt gut, wie man das verhindert. Wie man gut kommuniziert, wie man gut begründet, warum der Entwurf so aussieht, wie er aussieht. In jeweils eigenen Kapiteln geht es um:

  • Gutes Kommunizieren für Designer:innen
  • Beziehungen verstehen (Mit wem habe ich es alles zu tun? Was sind deren Voraussetzungen, Werte, Ansichten und Interessen?)
  • Gutes Zuhören
  • Die richtige Einstellung
  • Der Idealfall: Die Abnahme/Zustimmung bekommen
  • Was tun, wenn der Entwurf nicht durchkommt

Klingt alles gut, und das ist es auch. Es läuft alles darauf hinaus: Wer als Designerin oder Designer gut kommuniziert, ist erfolgreicher. Erfolgreicher als andere, die vielleicht besser sind, aber nicht so gut kommunizieren.

Dazu gibt es einige sehr einfache Praxistipps. Z.B.:

Überlege dir, wie du deinen Entwurf jemandem am Telefon beschreiben würdest. Das zwingt dich dazu, die Dinge mit Worten sehr einfach zu erklären und auch Entscheidungen in Worte zu fassen, die du vielleicht unbewusst getroffen hast, ohne lang darüber nachzudenken.

Du solltest zumindest diese 3 Fragen beantworten:

  1. Welches Problem löst dein Entwurf?
  2. Welchen Einfluss hat er auf die Nutzenden?
  3. Warum ist er besser als möglich Alternativen?

Das ist wichtig und richtig. Greever stellt fest, dass viele meinen, ihre Entwürfe müssten für sich selbst stehen, allein für alle verständlich sein. Das kommt möglicherweise von der Erkenntnis, dass ein Produkt, was man den Nutzenden erklären muss, nicht besonders gut ist – es sollte selbsterklärend oder intuitiv zu bedienen sein. Das gilt aber eben nicht für Konzepte und Entwürfe.

Es ist also etwas völlig anderes, ob ein Produkt benutzt wird oder ob es vorgestellt wird. Greven empfiehlt, bei wichtigen Produktvorstellungen ähnlich sorgfältig vorzugehen wie bei der Entwicklung der UX eines Produkts: Wir sollten uns mit den Zielgruppen gründlich auseinandersetzen, mit deren Erwartungen, Vorwissen und Zielen. Dann sollten wir ein ideales Nutzungs-/Präsentationsszenario entwickeln und die Fragen der Teilnehmenden vorwegnehmen. Mögliche Einwände sollten wir vorab kennen und uns überlegen, ob wir sie aktiv ansprechen möchten oder uns zumindest Erwiderungen darauf zurechtlegen.

Warum die präsentierte Lösung die beste ist

Greven meint, viele hätten Angst davor, Alternativen zur präsentierten Lösung zu zeigen. Die Sorge dabei ist, dass dann vielleicht diese weniger gute Alternative mehr Zustimmung findet und eine schlechtere Lösung umgesetzt werden muss.

Der Autor sagt, das würde bedeuten, dass man entweder…

a) … seine bessere Lösung nicht überzeugend präsentiert hat oder…
b) … die Anforderungen, Bedenken oder Wünsche der Stakeholder nicht richtig verstanden bzw. berücksichtigt hat.

Wer sich ausreichend vorbereitet und wirklich eine gute Lösung präsentiert, von der man selbst überzeugt ist, kann also ganz entspannt auch die verworfenen Alternativen präsentieren.

Üben hilft

Alle Musiker:innen wissen: Für wichtige Auftritte ist Üben unerlässlich. Alle UX-Expert:innen wissen: Jedes Produkt sollte getestet werden. Genauso sollten Sie jede wichtige Präsentation üben, am besten vor einem Testpublikum.
Das machen die wenigsten, ist aber eine hervorragende Möglichkeit, die Erfolgschancen drastisch zu verbessern.

Körpersprache & Charme nutzen

Hier geht Greever nicht ins Detail, aber er spricht völlig zu Recht an, dass unser Auftritt einen großen Einfluss auf den Eindruck hat, den wir hinterlassen. Unsere Körpersprache spielt dabei eine Rolle, unsere Stimme, aber auch generell unser Charme. Und dass Charme etwas ist, was sich lernen lässt, davon sind auch noch nicht alle überzeugt. Wenn man es etwas weniger aufgeladen mit Freundlichkeit und Aufmerksamkeit umschreibt, glaubt man das vielleicht eher. Ich wundere mich mit Greever zusammen, warum diese einfache Erkenntnis nicht viel mehr Kolleginnen und Kollegen nutzen.

Weniger Ego hilft

Ein großes Problem bei der Präsentation von eigenen Ideen ist generell: Wir haben viel Zeit, Mühe und Herz in diese Ideen gesteckt. Es ist normal, dass wir an diesen hängen, dass wir wollen, dass sie andere auch so gut finden wie wir. Und dass es uns am liebsten wäre, wenn alle sofort jubeln, sobald sie diese Ideen sehen/hören. Genau das aber ist ein Problem. Deshalb sind wir vor solchen Besprechungen so nervös: Wir fürchten die Zurückweisung unserer Ideen, die Zurückweisung von uns selbst. Greven rät daher:

Gib’ dein Ego an der Tür ab.

Er meint also, wir sollten uns möglichst frei machen, sollten versuchen so weit wie möglich loszulassen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan, die wenigsten freuen sich über Kritik. Und schon gar nicht an Ideen, an denen sie Stunden um Stunden gearbeitet haben.

Und genau hier tappt Greven in die Falle, die er selbst beschreibt. Denn ein paar Seiten später meint er: „Eine einzige Idee in einer einzigen Besprechung reicht normalerweise nicht, die bestmögliche UX zu schaffen.“ Das ist zwar richtig, aber geht in die Richtung, die leider ein Großteil des Buches einschlägt: Greven rät mehr oder weniger, dass wir versuchen sollten, die Ideen der Teilnehmenden der Besprechung abzuwehren. Denn die können sowieso nichts Sinnvolles beisteuern. Das schreibt Greven nicht direkt, aber es geht implizit fast immer nur darum. Auf Seite 169 (von 241 insgesamt) taucht zum allerersten Mal der Gedanke auf, dass man selbst etwas nicht richtig gemacht haben könnte.

Natürlich kennen wir alle das: Eine Person, die bisher nichts mit dem Projekt zu tun hatte, meldet sich plötzlich und macht einen völlig unsinnigen Vorschlag. In dem Fall würden wir alle versuchen, diesen Vorschlag möglichst elegant abzuwehren. Das kommt vor. Aber bei Greven wirkt alles so, als wäre praktisch jeder Vorschlag von anderen Unsinn. Und das gefällt mir nicht.

Bescheidenheit als Kernkompetenz

Das ist der Grund, warum ich das Buch nicht einfach so empfehlen möchte. Mir fehlt der Ansatz, den gute UX-Expertinnen und -Experten als Grundeinstellung mitbringen: Neue Ideen kann ich prinzipiell nur abschließend beurteilen, wenn ich einen UX-Test mit der Zielgruppe gemacht habe. Diese Grundbescheidenheit hat Greven nicht. Er geht davon aus, dass wir im Team immer großartige Ideen entwickeln und die gegenüber anderen verteidigen müssen. Einwände dagegen müssen abgeschmettert werden, Ideen von anderen können in den seltensten Fällen unsere Idee besser machen.

Wer das berücksichtigt, der kann dennoch einiges Nützliches aus dem Buch ziehen.
Tom Greever: Articulating Design Decisions bei Amazon bzw. auf Deutsch nur als E-Book bei Amazon

2 Gedanken zu „Konzepte verkaufen – Newsletter 1/2022“

  1. Die deutsche Ausgabe des Buchs von Herrn Greever („UX-Design überzeugend vermitteln: Erfolgreich mit Kunden und Stakeholdern kommunizieren und die bestmögliche User Experience erzielen“) ist mittlerweile auch als physisches Exemplar erschienen, jedenfalls habe ich mir gestern ein Exemplar in unserer Stadtbücherei ausgeliehen. Ansonsten: Ein nützliches Blog, weiter so!

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