Schöne Sites verkaufen besser – Newsletter 5/2018

Immer wenn ich im Newsletter etwas über die Zusammenarbeit zwischen Gestaltern und Usability-Experten geschrieben habe, gab es dazu sehr viele Kommentare – oft recht emotionale. Auf beiden Seiten gab es früher viele Vorurteile: „Die Usability-Leute wollen unsere Kreativität killen“, sagten manche Designer. „Die Gestalter wollen nur, dass es gut aussieht“, meinte so mancher UX-Experte.

Nach meiner Wahrnehmung ist das heute nur noch selten so. Natürlich gibt es immer noch über so manches Detail Meinungsverschiedenheiten. Aber doch ist die Zusammenarbeit heute deutlich zielorientierter, angenehmer – und vor allem ist das Ergebnis meistens deutlich besser.

Den Konflikt zwischen Gestaltung und Usability kann die User Experience lösen.

Und doch: Immer wieder stehen Ästhetik und Usability im Konflikt. Das wird immer so bleiben, es geht um die Anforderung „das muss gut aussehen!“ gegen die „das muss funktionieren!“. Hier kommt die User Experience zur Hilfe. Sie sagt dann zum Beispiel: „Das muss sich gut anfühlen für den Nutzer und konvertieren!“

Branding ist kaum verzichtbar – für jede Site

Um die Bedeutung der Marke bzw. des Brandings ging es neulich schon im Newsletter (Markenbildung, Branding – brauche ich das? – Newsletter 2/2018). Nun nehme ich mir zu diesem Thema noch ein paar Erkenntnisse aus der Wissenschaft vor. Diese belegen, dass die Gestaltung ganz entscheidend ist, wenn wir die Besucher unserer Websites zum Abschluss bringen wollen. Wenn wir sie also zu Kunden zu machen wollen, oder sie zumindest soweit bringen, dass sie Kontakt mit uns aufnehmen, unseren Newsletter abonnieren oder etwas herunterladen.

Diagramm Faktoren der Überzeugung
Faktoren der Überzeugung – ob wir einer Site vertrauen, bestimmen viele verschiedene Aspekte.

Studien zeigen: Wir nutzen zwei Denksysteme zur Urteilsbildung

Recht bekannt ist die Beschreibung des Psychologen Daniel Kahneman für unser menschliches Denken. Er sagt, dies bestünde aus System 1 und System 2. System 1 ist für schnelle Urteile nötig, etwa um einzuschätzen, ob ein dunkler Schatten, der auf uns zurast, eine Bedrohung ist oder nicht. System 2 ist langsamer und komplexer und kann salopp als das „logische Denken“ bezeichnet werden. Beide Systeme spielen bei praktisch jeder unserer Entscheidungen eine Rolle. Wer mehr dazu wissen will, der sollte unbedingt das wunderbare Buch von Kahneman lesen – Schnelles Denken, langsames Denken.

Cover Schnelles Denken, langsames Denken
Das beste Buch darüber, wie unser Denken funktioniert.

Recht ähnlich ist das Modell seines Kollegen Steven Sloman. Er spricht von zwei parallel arbeitenden Urteilsmechanismen, einem reflektierenden und einem assoziativen. Bei dem Modell spielt die Geschwindigkeit aber keine große Rolle. Das reflektierende System ist regelbasiert, logisch und objektiv. Das assoziative System dagegen ist intuitiv, gefühlsbetont und basiert vor allem auf persönlichen Erfahrungen.

Wir kaufen, wenn wir vertrauen

Dieses Modell nutzen nun Derrick Neufeld & Mahdi Roghanizad, um ihre Erkenntnisse aus einer Studie zum Kaufverhalten auf Websites zu erklären. Ihr spannendes Fazit vorweg: Ob wir kaufen, oder nicht, das bestimmt das assoziative System. Und das lässt sich kaum von Fakten überzeugen. Es geht vor allem auf die Ästhetik, die Gestaltung, die visuellen Elemente unserer Websites.

Vertrauen ist der Schlüssel zum Verkaufen – im Laden wie im Web.

245 Teilnehmer nahmen an der Studie von Neufeld und Roghanizad teil. Sie besuchten die Website eines Buchversenders, den sie noch nicht kannten. Dabei sahen sie entweder die Originalversion, oder eine, bei der wesentliche Elemente entfernt wurden. Z.B. die Sicherheitszertifikate, Infos zur Rückgabe etc.

Die Probanden sollten entscheiden, ob sie möglicherweise ein Buch dort bestellen würden – eine rein theoretische Entscheidung ohne Risiko oder direkte Konsequenzen. Außerdem mussten sie entscheiden, ob sie ihre persönlichen Daten auf der Site eingeben, um einen 20$-Gutschein zu bekommen – ihre Daten geben die meisten Menschen inzwischen nur sehr vorsichtig preis.

Es zeigte sich: Bei der theoretischen Frage nach der Kaufbereitschaft stützten sich die Probanden auf ihr rationales System. Bei der praktischen Entscheidung darüber, ob sie ihre Daten preisgeben dagegen verließen sich die Probanden vor allem auf das intuitive System.

Konsequenzen für Nutzertests

Das heißt auch: Die Frage nach einem Nutzertest, ob Ihre Probanden auf der Website einkaufen würden, ist nur begrenzt aussagekräftig. Denn für die Antwort darauf gehen die Probanden in einen Analyse-Modus. Für die echte Entscheidung spielt wohl dagegen eine ganz wichtige Rolle, wie die Probanden intuitiv zur Site stehen, ob sie ihr vertrauen.

Besser ist es also immer, die Probanden reale Transaktionen mit der zu testenden Site durchführen zu lassen.

Konsequenzen für unsere Sites

Schon lange bekannt ist der so genannte Halo-Effekt: Wenn eine Person gut aussieht, neigen wir dazu, ihr auch weitere positive Eigenschaften zuzuschreiben. Dieser Effekt tritt genauso bei Produkten und Websites auf.

Jakob Nielsen und viele andere haben immer wieder gezeigt: Sites mit guter Ästhetik können die Toleranz der Nutzer gegenüber Usability-Problemen erhöhen. Das funktioniert natürlich nur bis zu einem gewissen Punkt – eine schwer bedienbare Site wird bei aller Ästhetik einen schlechten Eindruck hinterlassen.

Ästhetik bestimmt den ersten Eindruck

Ästhetik einer Site bestimmt den 1. Eindruck beim Besucher. Inhalte bestimmen, ob er wiederkommt.

In dem Zusammenhang interessant sind auch die Arbeiten von Professor Meinald Thiersch zu den Themen Ästhetik, Inhalt und Usability. Er hat festgestellt, dass den ersten Eindruck, den Nutzer von einer Website haben, vor allem durch die Ästhetik bestimmt wird. Er zitiert Forschungsergebnisse von Gitte Lindgaard, nach denen dieses erste Urteil schon nach 0,05 Sekunden gefällt wird. Für das Gesamturteil nach längerer Benutzung der Site spielen neben der Ästhetik erwartungsgemäß Inhalt und Usability eine wichtige Rolle. Sieht man aber an, wie häufig die Besucher angeben, die Site wieder besuchen zu wollen oder sie weiter zu empfehlen, spielt vor allem der Inhalt eine entscheidende Rolle.

Ästhetik beeinflusst, was wir uns merken

Die visuelle Gestaltung hat aber über den ersten Eindruck hinaus weitere Konsequenzen. Eine Studie des amerikanischen Poynter-Instituts zeigt, dass Besucher auf Nachrichten-Websites mehr lesen, wenn diese Sites modern und ansprechend gestaltet sind.

Abbildung der 2 Gestaltungsvarianten
Die zwei getesteten Varianten der Nachrichten-Site

Das ist erstmal die wenig überraschende Erkenntnis. Erstaunlich ist aber: Auf den schöner gestalteten Sites haben sich die Studienteilnehmer mehr Inhalte merken können. Die Gestaltung ist also keineswegs unabhängig von den Inhalten zu sehen.

Auf schöneren Sites merken wir uns mehr Inhalte.

Konsequenzen für die Gestaltung von Websites

Mein Fazit aus den Studienergebnissen: Gerade, wenn wir uns für die Usability interessieren, müssen wir uns auch intensiv mit der Gestaltung befassen. Dabei ist die Ästhetik kein unabhängiger Faktor, sondern einer, der mit Inhalt und Usability in engem Bezug steht.

Die Zusammenarbeit zwischen Gestaltern und UXlern ist weiterhin ganz wichtig. Und die Ästhetik ist keinesfalls etwas, was wir den Grafikern oder dem Marketing überlassen dürfen. Sie ist etwas, die für die User Experience und auch für den direkten Erfolg im Sinne von Konversion ganz entscheidend ist.

Links

Hervorragender Artikel mit Zusammenfassung der Ergebnisse von Derrick Neufeld & Mahdi Roghanizad und Link zur Fachveröffentlichung: Research: How Customers Decide Whether to Buy from Your Website

Website von Meinald Thiersch mit vielen Veröffentlichungen zum Thema Ästhetik, Usability und Inhalte von Websites: http://www.meinald.de/downloads/

Zusammenfassung der Ergebnisse der Studie zu Nachrichten-Sites: http://www.poynter.org/2015/study-people-read-more-on-sites-with-modern-designs-they-also-remember-more/360275/

Die ganze Nachrichten-Site-Studie zum Download: http://engagingnewsproject.org/research/news-presentation/

Nur gegen Bezahlung kann man die Studie von Gitte Lindgaard und Kollegen lesen: Attention web designers: You have 50 milliseconds to make a good first impression!

Und im UX-Buch von Lorena Meyer und mir geht es natürlich auch immer wieder darum, wie man Ästhetik und Usability verbindet: Praxisbuch Usability & UX

Schreibe einen Kommentar