Newsletter 07/2005 – Ausgezeichnet wird Design, nicht Usability

Ausgezeichnet wird Design, nicht Usability

Am 28. Juni fand die Preisverleihung des 10. Deutschen Multimedia Award statt (siehe www.deutscher-multimedia-award.de). 13 der 353 eingereichten Beiträge wurden ausgezeichnet – Kiosk-Terminals, Websites und mobile Anwendungen. Einen der Gewinner sehen wir uns etwas näher an:

Den Preis in der Kategorie Vertriebsunterstützung/E-Commerce erhielt die Micro-Site des Herstellers von Internet-Sicherheitssystemen Symantec www.appliances.symantec.com. Hier zeigt sich wieder einmal, dass bei der Preisvergabe für Websites in den seltensten Fällen Usability-Maßstäbe berücksichtigt werden.

Usability-Probleme zuhauf

Die Site ist ein Beispiel dafür, dass Websites großer Unternehmen oft sehr professionell aussehen. Und dafür, dass sie viel in kreative Ideen und gutes Design investieren, aber die Usability ignorieren.

Startseite ohne Informationen

Die Startseite des Preisträges sieht gut aus. Schön aufgeräumt ist sie. Man sieht lediglich das Logo, den Firmennamen und einen Werbespruch. Ganz unten soll man noch seine Sprache auswählen und ganz am Seitenende in kaum lesbarem Grau sind noch drei scheinbar unbedeutende Links.

Diese Startseite ist überflüssig. Sie hilft nicht weiter, beantwortet außer der Frage “Wo bin ich?” keine der Fragen, mit dem Benutzer auf die Site kommt. Dass er bei Symantec ist, wird er in dem Moment in fast jedem Fall wissen – schließlich hat der deren URL eingetippt oder auf einen Link zu dieser Site geklickt.

Erste Inhaltsseite ohne Überblick

Wählt man eine Sprache, landet man bei einer Flash-Animation. Auch diese sieht gut aus. Auch diese ist überflüssig. Ein paar Blechkisten purzeln ins Bild, ein Text bewirbt – ja was eigentlich? Offenbar die “Symantec Security Appliances”, übrigens heißen die auch auf der deutschen Site so, das ist der Name unter dem diese Produkte verkauft werden.

Was es mit diesen auf sich hat, bleibt weiter im Dunkeln. Der geneigte Besucher hat nun die Wahl, Infomaterial zu bestellen oder einen “Business Size Selector” mit den Einstellungen “S”, “M” und “L” zu bedienen.

Ein Menü oder eine Übersicht gibt es nicht – jegliche Orientierungsmöglichkeit für den Benutzer fehlt.

Bei einer Website auf der ersten Inhaltsseite nur die Bestellung von Infomaterial anzubieten ist einigermaßen absurd. Der Benutzer kommt doch gerade auf die Site, um Infos zu bekommen – warum muss er diese bestellen?

Doch wer etwas Geduld und Forschergeist hat, wird feststellen, dass es doch Informationen direkt auf der Site gibt. Bewegt man die Maus über eine der Blechkisten, erscheint ein hübsch animierter gelber Zettel, auf dem der Name des jeweiligen Geräte steht, zusammen mit einer kurzen Beschreibung.

Per Klick gelangt man zu einer Seite, auf der das Produkt einzeln abgebildet ist. Darum herum schweben die Worte “Funktionen”, “Produktübersicht”, “User-Szenario” und “Downloads”. Auch hier gibt es Zusatzinfos, wenn man die Maus über sie bewegt und man gelangt zu einer Detailseite, wenn man auf sie klickt.

Fehlende Navigation

Einen echten zurück-Button gibt es nicht. Ein Button unten links mit einem Pfeil nach links führt meist zur logisch vorhergehenden Seite. Doch nicht immer: vom ersten Produkt beispielsweise springt er zum letzten, nicht etwa zurück zur Auswahl der Produkte.

Der zurück-Button des Browsers funktioniert auch nicht, obwohl man Flash-Filme seit Jahren so anlegen kann, dass auch in diesen die Navigation mit dem zurück-Button des Browsers möglich ist.

Schriftgröße nicht zu ändern

Die Schriftgröße bei den Detailinformationen ist sehr klein und auf dem Mac unter Safari auch recht unscharf. Vergrößern lässt sie sich nicht.

Auch muss viel gescrollt werden, weil der Textbereich klein ist. Er wird auch nicht größer, wenn man die Fenstergröße ändert – der Inhalt der Site sitzt dann klein in der Mitte des Fensters, immer in der gleichen Größe.

Seiten nicht druckbar

Der Versuch, eine Seite mit Produktdetails zu drucken warf aus meinem Drucker eine Seite aus, die lediglich die URL und das Datum in Kopf- und Fußzeile enthielt – der Rest der Seite war leer.

Weitere Probleme

Die Site ist gespickt mit Usability-Problemen. Diese hier alle aufzuführen, würde den Rahmen des Newsletters bei weitem sprengen. Nur noch zwei Beispiele:

Ein zeitweise sichtbarer Button “Produktübersicht” führt zu einer Übersicht zu den Eigenschaften des jeweiligen Produkts, nicht etwa zu einer Übersicht über alle Produkte, die man sich so dringend wünscht.

Ein PDF zum Download namens “Word Description” enthält eine Beschreibung des Produkts in 25, 50, 100 und in 250 Wörtern. Woher der Benutzer das wissen soll bleibt dahin gestellt.

Fazit

Die Site ist perfekt gestaltet. Es wird aber auf den ersten Klick klar, dass hier Werbe-Profis das Sagen hatten. Usability-Experten wurden bei der Konzeption vermutlich in keinem Schritt involviert.

Für eine Site, die nur das Image eines Produkts oder einer Marke stärken will, wäre das noch verständlich. Diese Site will aber offenbar Informationen transportieren. Und das wird den Benutzern unnötig schwer gemacht.

Es heißt keinesfalls, dass man auf gutes Design oder Flash verzichten sollte. Doch sollten Sites nicht nur von Designern erstellt werden – eine Zeitschrift wird ja auch mit von Redakteuren gemacht, nicht von Grafikern allein.

Was will die Auszeichnung?

Der Deutsche Multimedia Award wird nach Auskunft der Veranstalter an “herausragende Online-, Offline- und Terminalanwendungen vergeben, die beispielhaft für die Innovationskraft und Leistungsfähigkeit der interaktiven Medien sind”.

Insofern kann man der Jury keinen Vorwurf machen. Denn dass die prämierten Sites auch in den Augen der Benutzer gut sein sollen, ist anscheinend kein Kriterium.

Es ist nur schade, dass das so ist. Denn die besprochene Site ist technisch und gestalterisch gut gemacht und sie zeigt tatsächlich, was möglich ist. Was sie aber auch zeigt ist, dass Technik und Gestaltung nicht ausreichen, um eine Site zu erstellen, die gut funktioniert. Die Firma verschenkt hier Chancen, weil sie zu viel an Werbung und zu wenig an die Benutzer gedacht hat.

Dass man sich beim Veranstalter über den Benutzer durchaus Gedanken macht, zeigt der Sonderpreis für Barrierefreiheit. Dieser ging an die Site www.baden-wuerttemberg.de. Sie ist grafisch recht konservativ angelegt, aber von der Benutzerfreundlichkeit her sehr gut. Interessanterweise scheint man sich aber nicht getraut zu haben, das selbst zu beurteilen – den Preisträger für die Kategorie Barrierefreiheit hat das Projekt BIK ermittelt.

Der Veranstalter lässt verkünden, dass es “wünschenswert” wäre, wenn dieser Preis in Zukunft nicht mehr als Sonderpreis vergeben würde. Das ist ein vages Versprechen, das nicht vermuten lässt, dass bei der Verleihung in Zukunft mehr an die Benutzer gedacht wird.

Die meisten Preise für Websites werden leider noch immer von Werbe- und Gestaltungsprofis an andere Werbe- und Gestaltungsprofis vergeben. Es wäre aber schön, wenn diese die Benutzerfreundlichkeit mit als Kriterium für die Preisvergabe aufnehmen würden. Dann bekämen nicht nur schöne Sites Preise, sondern schöne Sites, die auch bei den Benutzern ankommen.
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(c) Jens Jacobsen 2005

Bei Weiterleitung oder Zitat bitte Quellenangabe („Quelle:
benutzerfreun.de-Newsletter Juli 2005“).

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