Wir Doppelpersönlichkeiten

Wir alle tun nicht, was wir sagen. Wir schimpfen über den Festplattenrecorder. Das Einstellungsmenü von dem Ding ist wirklich eine Katastrophe. Haben die Entwickler auch nur mal von Usability gehört?
Dann gehen wir in den Laden und kaufen das nächste Gerät mit den meisten Funktionen – wir könnten ja jede von ihnen eventuell irgendwann einmal brauchen. Die Usability spielt beim Kauf oft eine Nebenrolle.
Wir sind also oft selbst schuld, wenn wir mit Dingen umgehen, die schwer zu benutzen sind.

Das bringt eine Studie von J.I. van Kuijk und Kollegen an der Technischen Universität Delft hervorragend auf den Punkt. Je mehr Funktionen ein Gerät hat, desto schwieriger wird es zu benutzen. Je mehr Informationen eine Website bietet, desto schwieriger wird sie zu bedienen. Wer auf seine Nutzer hört, der fügt ständig neue Funktionen und neue Informationen hinzu. Denn das ist es, was die Benutzer fordern.

Nutzerforderungen widerstehen…

Es gehört Stärke dazu, solchen Forderungen zu widerstehen. Und meist ist es auch richtig. Denn unsere eine Persönlichkeit als funktionsverliebte Technikfans schreit nach immer mehr Funktionen, nach besseren technischen Spezifikationen, nach neuen Möglichkeiten. Bekommen wir aber all das, ist unsere bequeme Nutzerpersönlichkeit verärgert über die Vielzahl von Tasten, die überladenen Menüs oder die kleinen Symbole. Deshalb sollte man es sich als Entwickler bzw. Website-Betreiber dreimal überlegen, bevor man eine neue Funktion einbaut oder einen Inhaltsbereich auf seiner Website hinzufügt.

… und Nutzerforderungen nachgeben

Aber es kann auch falsch sein, nicht auf die Kunden zu hören. Ein Beispiel: Apple hat das iPhone in seiner ersten Version, die 2007 auf den Markt kam, mit vielen Funktionen ausgestattet. Aber es sind deutlich weniger als bei anderen Smartphones. Apples Ingenieure haben sich darauf konzentriert, die wichtigsten Funktionen richtig gut zu machen. Die Begeisterung war bei vielen Benutzern groß. Doch schnell kamen die Kundenwünsche: Wir wollen Programme von Drittherstellern!
Apple versuchte die Forderungen abzuwehren mit „Web-Apps“, also nichts anderes als bessere Links auf Websites. Der Grund war einfach: Man wollte die Bedienung des iPhone so einfach wie möglich halten. Dritthersteller machen das Gerät komplizierter. Sie können die Freude am Gerät verringern, wenn diese Programme abstürzen oder nicht wie erwartet funktionieren.
Trotz dieser guten Argumente hat Apple dem Druck schließlich nachgegeben. Das Ergebnis: Eine der größten Erfolgsgeschichten im Softwarevertrieb der letzten Jahre – und viele sehr zufriedene Nutzer. Im „App-Store“ mit Software von Drittherstellern für das iPhone stehen 65.000 Programme. In den ersten 12 Monaten wurden diese insgesamt 1,5 Milliarden Mal heruntergeladen.
Dieser Erfolg hat schnell Nachahmer gefunden: Nokia, Google, Microsoft und RIM (der Hersteller des Blackberry) haben ebenfalls virtuelle Warenhäuser für mobile Anwendungen eröffnet.

Mit Usability verkauft man kein Produkt

Für Geräte gilt: Usability ist kaum ein Verkaufsargument. Denn diese erfährt man erst, wenn das Ding schon zu Hause steht.

Mit Usability verkauft man an Bestandskunden

Usability ist aber eine der Hauptkriterien für die Kundenzufriedenheit und das Bild der Käufer von der Marke.

Und die Usability hat sogar einen Einfluss auf die Wahrnehmung der Ästhetik: Die Studie zeigt, dass selbst Geräte, welche die Testpersonen hässlich fanden, als ganz hübsch beurteilt wurden, wenn die Testpersonen positive Erfahrungen bei der Nutzung des Geräts gemacht haben. Umgekehrt kann die Ästhetik die Wahrnehmung der Benutzerfreundlichkeit aber nur sehr gering positiv beeinflussen.

Der englische Artikel als PDF (0,6 MB)

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