Newsletter 12/2002 – Flash und Usability

Seitdem Flash seinen Siegeszug im Web angetreten hat gibt es Stimmen, die Flash generell für schlecht halten, weil es schwerwiegende Mängel in der Usability (Benutzerfreundlichkeit) habe. Profiliertester Kritiker war der amerikanische Usability-Experte Jakob Nielsen. Er ging so weit zu schreiben „Flash is 99 percent bad“. Dabei zielte er auf einige Schwächen des Programms ab, vor allem aber auf die Fehler von Flash-Autoren.

Zu den Zeiten von Flash 4 und 5 war Flash in den meisten Fällen dafür verantwortlich, wenn eine Site mit einer schier endlosen Animation begann, die lange brauchte, bis sie überhaupt gestartet hatte, nur um dann minutenlang schöne Bilder zu zeigen, was spätestens beim zweiten Besuch der Site nervt.

Hübsch gestaltete Oberflächen und perfekt animierte Filmchen fanden sich auf fast jeder Site, die etwas auf sich hielt. Dabei zeigten die Designer in erster Linie, was sie konnten. Viele Benutzer waren zunächst beeindruck – und die meisten nach einiger Zeit genervt. Denn nachdem man sich an diese Dinge gewöhnt hatte, wollte man nicht mehr viel Zeit damit verbringen, auf die Übertragung von Flash-Filmen zu warten, die nicht die Information brachten die man suchte. Und man wollte nicht lange mit der Maus unbekannte Icons erkunden um den Button zu suchen, den man brauchte.

Aber die Flash-Anwender und Site-Betreiber haben dazu gelernt – und außerdem bietet Flash mit der Version MX mehr Möglichkeiten zum benutzerfreundlichen Gestalten. Inzwischen arbeitet sogar Jakob Nielsen mit Macromedia zusammen und lobt die Verbesserungen des Programms. Doch es gibt einiges zu beachten.

Voraussetzungen für erfolgreiche Anwendungen

–> Zielgruppe im Auge behalten
Der wichtigste Ausgangpunkt für erfolgreiche Anwendungen ist, immer die Zielgruppe im Auge zu haben. Nur wenn ich die zukünftigen Anwender kenne, kann ich die Anwendung optimal für sie entwerfen.

Klären Sie also unbedingt zusammen mit Ihren Auftraggebern bzw. Vorgesetzten, für wen genau die Anwendung sein soll.

–> Nicht aufs Gefühl verlassen, sondern testen
Planen Sie zwischendurch immer wieder Tests, bei denen Sie die Anwendung auf den Prüfstand stellen. Verstehen die Benutzer, wie sie funktioniert, wo sie was finden und was sie ihnen bietet? Gefällt sie den Benutzern? Tun sie damit das, was sich der Betreiber der Anwendung vorstellt? (Ein Online-Versandhauskatalog, der nur zum Nachschlagen, nicht aber zum Bestellen genutzt wird, ist nicht im Sinn des Betreibers, auch wenn der Katalog noch so einfach zu bedienen ist.)

Diese Usability-Tests sollten Sie so früh wie möglich durchführen, dann ist es weniger Arbeit, die Ergebnisse zu Korrekturen zu nutzen. Testen Sie am besten mit Personen aus der Zielgruppe, zur Not mit Kollegen oder Freunden – das ist auf jeden Fall besser als gar nicht zu testen.

Regeln für den sinnvollen Einsatz von Flash

–> Ist Flash überhaupt das richtige Mittel?
Oft lässt sich mit einfacheren Mitteln ein besseres Ergebnis erreichen. Der Inhalt steht im Mittelpunkt, nicht die Technik. Verwenden Sie Flash nicht einfach nur, weil der Auftraggeber es will oder es Ihnen gefällt.

–> Bevor Sie eine Animation planen, die nicht der Information dient 2x Überlegen.
Bringt sie dem Benutzer etwas? Was ist, wenn er die Anwendung regelmäßig benutzt? Wird er die Animation auch beim zwölften Besuch noch mögen?

–> Keine Intro-Animationen.
Bestehen Sie darauf, alle Benutzer mit einer Animation zu empfangen, sollten Sie diese auf der Startseite integrieren und die Menüpunkte von Anfang an zugänglich machen. So können Benutzer, die direkt zu den Inhalten möchten, gleich darauf zugreifen. Ist Ihnen selbst das unmöglich, sehen Sie unbedingt einen deutlichen „Intro überspringen“-Button vor.

–> Effekte wie Animationen oder Sounds mit Bedacht einsetzen.
Kurze Pointen wirken besser als Dauerberieselung.

–> Keine Endlosschleifen.
Diese lenken vom Inhalt ab und nerven schnell.

–> Denken Sie an nicht-Flasher.
Sehen Sie immer eine Version der Site vor, die ohne Flash auskommt. Erklären Sie den Benutzern welche Vorteile er von der Flash-Version der Site hat und bieten Sie einen Link zum Download des Plugins an.

–> Verwenden Sie nie brandneue Versionen.
Rechnen Sie nicht damit, dass die Benutzer die neueste Version des Plugins haben. Derzeit ist das Flash 5-Plugin noch so weit verbreitet, dass man nur in begründeten Ausnahmefällen seine Filme im Flash 6-Format (dieses wird von Flash MX exportiert, der Name MX ist nur eine Marketingmaßnahme) online stellen sollte.

Regeln für Struktur & Navigation

–> Planen Sie eine einfache, durchschaubare Struktur.

–> Machen Sie die Struktur deutlich und geben Sie den Benutzern Orientierungsmöglichkeiten.

–> Gestalten Sie die Elemente der Benutzeroberfläche einheitlich.

–> Sehen Sie immer eine Möglichkeit vor, zurück zur letzten Seite bzw. zum letzten Schritt sowie zum Anfang zu kommen.
Flash MX bietet dazu die „benannten Anker“. Diese geben dem Zurück-Button des Browsers wie dem Vor-Button ihre Funktion wieder. Allerdings funktionieren sie derzeit nur mit dem Internet Explorer unter Windows. Somit bleiben alle außen vor, die andere Browser oder Betriebssysteme benutzen – ärgerlich.

–> Machen Sie deutlich, was ein Link ist und was nicht. Standard ist die blaue Unterstreichung bei Hyperlinks im Text. In Flash müssen Sie dazu selbst eine Linie anlegen, aber diese Arbeit sollten Sie auf sich nehmen. Sie verbessert die Benutzbarkeit deutlich.
Die Browserfunktion, schon besuchte Links in einer anderen Farbe darzustellen ist in Flash nur mit sehr viel Aufwand umsetzbar. Daher verzichten fast alle Sites darauf. Sinnvoll ist sie dennoch.

–> Verraten Sie dem Benutzer, wohin die Links führen, und zwar nicht erst bei Rollover. Erleichtern Sie ihm die Navigation und zwingen Sie ihn nicht, mit der Maus über alle Menüelemente zu rollen, um zu erfahren, welche Möglichkeiten er hat. Auch wenn viele Grafiker eine „aufgeräumte“ Seite ohne viel Text bevorzugen.

–> Zwingen Sie den Benutzer generell zu nichts. Das Browserfenster bildschirmfüllend zu vergrößern ist beispielsweise ein Zwang, den die meisten Benutzer nicht schätzen. Sie haben ihren Grund, warum sie die eingestellte Größe gewählt haben. Sie sollten sich an den Benutzer anpassen, nicht umgekehrt. Falls Sie das nicht können (oder wollen), erklären Sie dem Benutzer vorher was Sie tun bzw. er tun muss und warum.

–> Halten Sie die Übertragungszeiten kurz, besonders am Anfang.
Sagen Sie dem Benutzer, wenn er länger warten muss – und warum es sich lohnt. Dauert es länger als zehn Sekunden, sollten Sie eine Fortschrittsanzeige vorsehen.

–> Geben Sie dem Benutzer etwas Sinnvolles zu tun, wenn er warten muss.

–> Lernen Sie die Regeln.
Setzen Sie sich damit auseinander, was die Benutzer erwarten, was sie kennen, was Standard ist.

–> Brechen Sie die Regeln.
Die Regeln dürfen Sie jederzeit verletzen – solange Sie es wissen und sich aus gutem Grund dafür entscheiden.

Zu Flash ist gerade der Titel „Flash MX – Interaktive Webanwendungen schnell und effektiv entwickeln“ von meinem Kollegen Markus Eberl und mir im Addison-Wesley Verlag erschienen. Darin geht es neben Fragen der Konzeption und Usability vor allem um den professionellen und möglichst effizienten Einsatz des Programms. Viele Arbeitsbeispiele illustrieren das. Mehr dazu unter www.jjac.de/flash.html.
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(c) Jens Jacobsen 2002

Bei Weiterleitung oder Zitat bitte Quellenangabe („Quelle:
benutzerfreun.de-Newsletter Dezember 2002“).

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