Gesetzliche Pflicht Barrierefreiheit – Newsletter 1/2023

Wer als Unternehmen eine Website betreibt, kann sich entscheiden, diese allen Menschen zugänglich zu machen oder das nicht zu tun. Doch das ändert sich. Denn ab der Jahresmitte 2025 sind wir alle gesetzlich verpflichtet, unsere Angebote barrierefrei zu machen.

Die Unsicherheit in vielen Firmen ist groß – was genau sind die gesetzlichen Vorgaben? Was muss ich tun? Und drohen Klagen wie in den USA? Netflix, Nike, Amazon, Burger King – gegen sie alle wurde in den letzten Jahren Klage eingereicht, weil ihre Websites bzw. Dienste nicht barrierefrei waren.

Neu: das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz

Das BFSG (Barrierefreiheitsstärkungsgesetz) setzt die EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit um (European Accessibility Act, kurz EAA).

Ziel ist die diskriminierungsfreie Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, Einschränkungen und älteren Menschen.
Das Ministerium für Arbeit und Soziales schreibt:

Durch einheitliche EU-Anforderungen soll das Barrierefreiheitsgesetz auch kleinen und mittleren Unternehmen helfen, die Möglichkeiten des europäischen Binnenmarktes auszuschöpfen.

Die Chancen werden also betont. Und genau so sollten wir das in der Tat sehen. Denn die Ansätze, Sites und Dienste barrierefrei zu machen, sind uralt – und bringen mittelfristig allen etwas. Wenn Sie Ihre technischen Hausaufgaben machen, dann sind Ihre Anwendungen leichter zu pflegen, machen weniger Probleme in der responsiven Darstellung und sind zukunftssicherer. (Die Argumentation von 2003 gilt immer noch: Newsletter 01/2003 – Barrierefreie Sites – legen Sie Ihren Besuchern keine Steine in den Weg.)

Was genau ist barrierefrei?

Barrierefrei sind Produkte oder Dienstleistungen

wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.

Das ist die Definition nach §4 BGG (Behindertengleichstellungsgesetz). Es geht also nicht nur z.B. um das Produkt selbst, sondern auch um den Zugang zu diesem.

Vater mit Baby auf dem Arm
Einschränkungen können auch situationsbedingt sein: Die Smartphone-Bedienung z.B. mit Kind auf dem Arm ist nicht so einfach.

Barrierefreiheit ist kaum zu erreichen.

Ursprünglich sollte das neue Gesetz „Barrierefreiheitsgesetz“ heißen. Nun heißt es aber „Barrierefreiheitsstärkungsgesetz“. Hintergrund ist, dass es absolute Barrierefreiheit kaum gibt. Es kann immer Einschränkungen geben, die es einer Person unmöglich machen, ein Produkt zu nutzen. Ziel des Gesetzes ist es, Produkte und Dienstleistungen so vielen Menschen wie möglich so leicht wie möglich zugänglich zu machen.

Welche Produkte und Dienstleistungen sind betroffen?

Das BFSG schreibt vor, dass nur solche Produkte und Dienstleistungen auf den Markt kommen dürfen, die den Anforderungen an die Barrierefreiheit entsprechen. Das betrifft praktisch alle elektronischen Geräte, mit denen wir im Alltag umgehen. Zum Beispiel Smartphones, Telefone, Fernseher, Computer, Tablets, Geld- und Fahrkartenautomaten oder Selbstbedienungsterminals. Das umfasst deren Hard- und Software. Es muss also z.B. nicht nur der Laptop barrierefrei sein, sondern auch sein Betriebssystem.

Genauso umfassen die Vorgaben Mediendienste, Online-Shops, Banken, Onlinezugangsdienste, elektronische Tickets und Ticketdienste sowie Sprach- und Telefondienste – gleich ob dies Websites sind oder Apps. Auch Personenbeförderungsdienste fallen darunter.

Datenträger und Dokumente wie z.B. PDF müssen dabei ebenso barrierefrei sein.

Wer muss handeln?

Bisher gab es Vorgaben zur Barrierefreiheit nur für staatliche Akteure (nach der Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung, BITV), dazu auch die EU-Norm EN 301 549. Diese Norm enthält neben den WCAG-Kriterien (dazu gleich mehr) weitere verpflichtende Anforderungen. Diese sind EU-weit von allen Sites zu erfüllen, die von öffentlichen Stellen (Behörden etc.) betrieben werden. Ein paar Infos dazu hier: Der BIK BITV-Test

Mit dem BFSG werden jetzt auch private Anbieter in die Pflicht genommen. Das ist nur konsequent, denn die meisten Dinge, die wir täglich nutzen, werden von Unternehmen, nicht vom Staat bereitgestellt.

Kleinstunternehmen sind ausgenommen, sofern sie Dienstleistungen anbieten. Für sie gibt es Beratungsangebote, um die Anforderungen an die Barrierefreiheit ebenfalls so weit wie möglich umsetzen zu können (bei der Bundesfachstelle für Barrierefreiheit). Als Kleinstunternehmen gelten Firmen mit weniger als zehn Beschäftigten und höchstens 2 Millionen Euro Jahresumsatz. Das gilt aber nicht, wenn Sie digitale Dienstleistungen anbieten oder finanzielle Transaktionen. Andere Ausnahmen können nur gemacht werden, wenn die Umsetzung eine „unverhältnismäßige Belastung“ wäre.

Wann muss ich aktiv werden?

Die Vorgaben greifen zum 28. Juni 2025. Es gibt aber Übergangsbestimmungen für Dienstleistungen bis 2030 und für Selbstbedienungsterminals bis 2040.

Was passiert, wenn ich nichts mache?

Die Bundesländer sollen die Einhaltung der Vorgaben überwachen. Verwaltungsverfahren, Rechtsbehelfe und Schlichtungsverfahren sind bei Verstößen vorgesehen. Diese können auch von Verbänden oder individuellen Verbraucher:innen angestoßen werden.

Und was genau muss ich nun tun?

Bei den bisherigen Klagen in den USA wurde meist beanstandet, dass die Texte nicht mit Hilfstechnologien zugänglich waren. Vor allem ging es um fehlende Bildbeschreibungen („Alt-Texte“) und Text, der aufgrund mangelhafter technischer Auszeichnung nicht von Hilfsprogrammen für Behinderte gelesen werden konnte (z.B. Screenreader, welche die Texte vorlesen).

Solche Probleme sind technisch sehr leicht zu lösen. Und wenn man das von Anfang an berücksichtigt, macht das nicht mehr Arbeit, sondern weniger.

Screenshot Check Barrierefreiheit mit Wave
Das Plugin Wave liefert schnelle Ergebnisse und hilft bei der Beseitigung von Barrieren auf Webseiten.

Die genauen technischen Anforderungen sind in der Norm EN 301549 festgelegt. Dieser liegen wiederum die Web Content Accessibility Guidelines zugrunde (WCAG 2.1).

Neben den technischen Hausaufgaben sollten Sie Ihre Sites und Anwendungen vor allem testen – selbst wenn Sie Lösungen verwenden, die behaupten, alles für Sie zu erledigen.

Am besten lassen Sie auch Personen mit testen, die selbst Behinderungen haben.

Und schließlich muss Ihnen klar sein, dass es nicht mit einer einmaligen Anstrengung getan ist. Denn die Inhalte und vielleicht auch die Funktionen bei Ihnen ändern sich – und selbst wenn nicht: Die verwendeten Browser, Geräte und Betriebssysteme tun es auf jeden Fall.

Weiterführende Links

Wollen Sie Ihre Site zertifizieren, finden Sie hier mehr Infos: Barrierefreiheit zertifizieren – wer braucht das? – Newsletter 4/2021

Und einige ordentlich aufbereitete Hintergründe zum Gesetz mit Link zum Gesetzestext gibt es hier:
www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz.html

Etwas mehr Details finden Sie unter:
www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de/DE/Fachwissen/Produkte-und-Dienstleistungen/Barrierefreiheitsstaerkungsgesetz/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz_node.html

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