Philosophie, Vision, Mission – wovon kein Nutzer etwas wissen will – Newsletter 12/2018

Wie bringen Sie Besucher dazu, Ihre Site schnellstmöglich zu verlassen? Indem Sie sie langweilen. Indem Sie so schnell wie möglich klar machen, dass Sie sich gar nicht für die Besucher interessieren.

Leider folgen dieser Anleitung zum Scheitern viel zu viele Website-Betreiber. Ein Schuldiger dafür ist oft schnell ausgemacht: die Philosophie-Seite. Firmenphilosophie, das ist etwas, was außerhalb eines Unternehmens einfach niemanden interessiert. Verschonen Sie die Besucher Ihrer Site also damit.

Nur ein verzweifelter Nutzer klickt einen Punkt Philosophie an. Wenn ich mit Probanden im Usability-Labor sitze und beobachte, was sie tun, dann sehe ich: Die Probanden meiden den Punkt „Philosophie“ im Menü wie Pest und Cholera. Wenn ich sie nachher frage, warum sie sich den Punkt nicht angesehen haben, sagen sie etwas wie: „Ach, da steht immer nur Blabla.“

Die Nutzer haben gelernt, dass auf Seiten mit diesem Titel praktisch nie sinnvolle Inhalte zu finden sind. Der Begriff „Philosophie“ ist auch deshalb ungünstig, weil die Menschen im Web aufgabengetrieben sind. Das heißt, sie wollen etwas erledigen. Wir müssen ihnen also etwas anbieten, was ihnen hilft, ein Problem zu lösen oder eine Frage zu beantworten, die sie haben.

Beispiel Wer wir sind-Seite
Wissen Sie, wer die Betreiber dieser Site sind? Wollen Sie mehr erfahren? Solche Texte können auf praktisch jeder Website stehen, sie sagen nichts Konkretes aus. Man kann nicht einmal die Branche erraten.

Heißt das, ich soll „Philosophie“ aus dem Menü streichen?

Nicht zwingend müssen Sie auf den Punkt „Philosophie“ verzichten. Der Punkt schadet im Menü nicht oder zumindest nur wenig. Nur wenn das Menü sehr lang ist, macht es etwas aus, wenn darin ein Punkt ist, der die Nutzer nicht interessiert.

Philosophie gehört in den Lehnstuhl, nicht auf Ihre Site.

Wenn Sie intern also den Bereich „Philosophie“ brauchen, weil ein Chef den gern hat, dann behalten Sie ihn. Rechnen Sie nur nicht damit, dass die Nutzer ihn ansteuern.

Auch auf die Inhalte der Philosophie-Seite müssen Sie nicht verzichten. Zwei Dinge empfehle ich aber:

  1. Benennen Sie den Punkt um.
  2. Schreiben Sie die Inhalte der Seite um.

Den zweiten Punkt empfehle ich, ohne Ihre persönliche Philosophie-Seite zu kennen. Die Wahrscheinlichkeit ist nämlich extrem hoch, dass eine Seite mit diesem Titel nicht aus Nutzersicht geschrieben ist. Insofern hat sie auf der Website eigentlich wenig verloren – denn die Website ist für die Nutzer, nicht für die Betreiber der Site.

Weitere Kandidaten für die grundlegende Überarbeitung sind die zwei Seiten bzw. Begriffe:

  • Mission
  • Firmenkultur

Ob Philosophie, Mission oder Firmenkultur – diese Bereiche sind höchstens interessant für Bewerber. Wenn Sie mit Ihrer Site diese ansprechen, dann sind die jeweiligen Inhalte vielleicht sinnvoll. Besser sind aber normalerweise konkrete Begriffe wie:

  • Wofür wir stehen
  • Was uns wichtig ist
  • Unsere Werte

Darunter kann man sich mehr vorstellen als unter der abstrakten „Mission“ oder gar der „Philosophie“.

Was bei einem engagierten Unternehmen auch funktionieren kann, ist „Vision“. Für einen Friseur ist das übertrieben, aber ein DAX-Unternehmen, ein Unternehmen im Gesundheitsbereich oder ein Verein kann durchaus mit einer Vision punkten.

Philosophie-Seite eines Friseurs
Der philosophische Friseur: Weil es so ungewöhnlich ist, finde ich es hier fast schon wieder gut. Und die Formulierungen sind gut, weil ganz am Kunden orientiert. Der weiß, was er bekommt.

Welche Werte soll ich vermitteln?

Nochmal mein Punkt: potenzielle Kunden interessieren sich nicht für Ihre Philosophie, für Ihre Werte im Allgemeinen. Sie interessiert konkret, ob Sie ihnen helfen, ihr Problem zu lösen. Ob Sie ihnen zu einem guten Preis eine gute Leistung liefern. Und das machen diese nicht daran fest, ob Sie schöne, luftige Texte schreiben können. Auch nicht an Versprechungen, die Sie geben. Sie machen es einzig und allein am Ergebnis fest. Die Besucher wollen auf der Website feststellen, ob sie Ihnen zutrauen, das Ergebnis zu liefern.

Also, formulieren Sie so kurz wie möglich und so kundenzentriert wie möglich. Das gilt für jede Seite auf Ihrer Website, aber für die schwierigen Philosophie-Seiten ganz besonders.

Hier verweise ich auch nochmal auf die Regeln für Über-uns-Seiten: Wie gestalte ich eine Über-uns-Seite, die nicht mies ist?

Philosophie, Mission etc. haben ihren Platz

Natürlich haben Firmenphilosophie und Mission ihren Platz bei der Konzeption der Website. In größeren Unternehmen werden Sie diesen Begriffen immer wieder begegnen, und hier sind sie auch durchaus sinnvoll. Denn nur wenn ich weiß, wofür ein Unternehmen steht, wo es hin möchte, nur dann kann ich eine gute Website für dieses Unternehmen entwickeln. Neben der Zielgruppe sind die Ziele der Website-Betreiber das Erste, was ich wissen will, wenn ich ein Konzept für eine Site erstelle.

Wenn Sie in diesem Bereich tiefer einsteigen wollen, dann ist dieser Artikel sehr empfehlenswert: Brand Vocabulary in the Context of UX: Key Terms Defined

Das heißt aber auch: Die Werte, Philosophie und Mission sind vor allem Werkzeuge, um eine gute Website für den Nutzer zu erstellen. Auf der Website spielen sie als Inhalt eine höchst untergeordnete Rolle. Ihr Content-Management-System beschreiben Sie ja auch nicht auf der Website, auch wenn dies ein wichtiges Werkzeug ist, um Ihre Site zu erstellen.

Platzieren Sie Philosophie & Co also dementsprechend dezent auf der Website und denken Sie immer daran, wie echte, unvoreingenommene Nutzer damit tatsächlich umgehen werden.

1 Gedanke zu „Philosophie, Vision, Mission – wovon kein Nutzer etwas wissen will – Newsletter 12/2018“

  1. Hallo Jens, na, die armen Firmensokratesse tun mir schon fast leid. Aber tatsächlich habe auch ich auf meiner Website nie eine Philosophie untergebracht, obwohl ich als Geisteswissenschaftler eigentlich anfällig für sowas sein müsste. Bei Sokrates fällt mir ein: Der hat seine Philosophien immer in Streitgesprächen entwickelt. Das könnte ein Ansatz sein, um eine spannende Philosophieseite zu schreiben. Man lässt den philosophierenden und wertegetränkten Chef mit einem nihilistischen Advocatus diaboli streiten…

    Du hast recht, das alles will normalerweise keiner lesen. Aber eigentlich ist das merkwürdig. Bei Menschen, die wir kennen lernen, interessiert uns ja auch ihr Charakter. Auch bekannten Marken teilen wir Charaktereigenschaften zu. Warum eigentlich nicht einem Dienstleister, der unser Lieferant werden könnte?

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