Personas, die Empathiemaschinen – Newsletter 8/2021

Dass Websites und Anwendungen nur dann Erfolg haben, wenn bei ihrer Entwicklung die künftigen Nutzenden im Mittelpunkt stehen, das hat sich herumgesprochen. „Menschzentriertes Design“ (human centered design, HCD) haben sich fast alle größeren Unternehmen auf die Fahnen geschrieben. Aber bei vielen ist das nur ein Lippenbekenntnis, es fehlen Taten. Und so entstehen immer noch unendlich viele Sites und Apps, die völlig an den Bedürfnissen der Menschen vorbei entwickelt werden.

Ein großartiges Werkzeug, das uns davor bewahrt, in diese Falle zu tappen, sind Personas („Benutzerprofile“). Es gibt auch Kritik an der Methode – und diese mit guten Argumenten. Aber es lohnt sich, beide Seiten zu hören.

Was sind Personas?

Personas sind fiktive Kurzportaits der Menschen, für die Sie Ihre Website oder Anwendung erstellen. Selbst wenn wir wirklich vorhaben, diese ständig bei Konzeption und Entwicklung im Kopf zu haben – es fällt uns schwer, wenn die Nutzerinnen und Nutzer abstrakt bleiben.

Alle Beteiligten tun sich leichter, wenn sie konkrete Menschen im Kopf haben, für die sie die Site oder Anwendung erstellen. Personas funktionieren, weil wir Menschen uns mehr für Menschen interessieren als für Daten, wir sind soziale Wesen.

In Personas beschreiben Sie einige Menschen, die für Ihre Zielgruppe stehen. Wie alt sind diese? Welches Geschlecht haben sie? Was ist ihre Ausbildung, was ihre Arbeit? Wie viel Geld verdienen sie? Wo leben sie? Haben sie Familie? Was sind ihre Gewohnheiten? Was ihre Ansprüche? Welche Hobbys haben sie? Welche Erfahrung haben sie im Umgang mit Computern und im Umgang mit dem Internet? Welchen Designgeschmack haben sie? Welche Bücher lesen sie? Welche Filme sehen sie? Welche Konkurrenzsites oder auch Zeitschriften und Zeitungen besuchen bzw. lesen sie?

Und: Welche Geräte nutzen die Besucherinnen und Besucher? Wie souverän gehen sie mit diesen um? Wie groß ist ihre Bildschirmauflösung? Nutzen sie Ihre Anwendung in der Arbeitszeit oder in der Freizeit? Unterwegs, im Büro oder zu Hause?

Alle diese Fragen helfen Ihnen, Ihre Zielgruppe konkret zu beschreiben. Es ist nicht notwendig, dass Sie immer alle diese Fragen beantworten. Entscheiden Sie selbst, welche für Ihren jeweiligen Fall relevant sind.

Das Wort Persona kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Maske, aber auch Persönlichkeit. Der lateinisch korrekte Plural ist Personae, das klingt für meine Ohren aber immer etwas ungewohnt, daher nutze ich den üblicheren Plural Personas (den der Duden übrigens als Nebenform auch anführt).

Wie sehen Personas aus?

Personas dienen dazu, den Begriff „Zielgruppe“ zu beleben, also Ihnen und Ihrem Team ein Bild von echten Menschen zu geben, für die Sie die Site anlegen. Dazu brauchen Sie ein Foto, das für den jeweiligen Menschen steht. Er bekommt einen Namen, ein Geschlecht und alle Eigenschaften, die für Ihr Produkt wichtig sind.

Generell ist es sinnvoll, bei der Darstellung von Personas möglichst mit Stichpunkten, kurzen Texten und kleinen Diagrammen zu arbeiten, damit man die Inhalte schnell erfasst. Denn die Personas sind ein Arbeitsinstrument. Ein Werkzeug, mit dem alle im Entwicklungsteam täglich arbeiten.

Persona Beispiel
Eine Persona sollte übersichtlich und schön anzusehen sein. Alle sollen gern mit ihr arbeiten.

Wie viele Personas brauche ich?

Hat die Anwendung eine klar definierte Zielgruppe, genügt es, 2 bis 3 Benutzerprofile zu erstellen. Ist die Zielgruppe sehr heterogen, erstellen Sie für jede Untergruppe eines. Mehr als 8 Personas sollten Sie aber nie haben, sonst wird es unübersichtlich. Fast immer genügen 3 bis 5 – auch wenn Sie viele diverse Zielgruppen ansprechen. Ein Kollege von mir hat einen der größten deutschen Online-Shops beraten, der vom Akkuschrauber über Möbel und Bekleidung bis hin zu Zimmerpflanzen praktisch alles verkauft. Er hat das Web-Team davon überzeugt, sich auf 3 Personas zu beschränken – obwohl die Zielgruppe alle Deutschen sind, die im Web einkaufen.

Je mehr Personas Sie haben, desto schlechter können diese ihren Job erledigen: Allen Projektbeteiligten zu helfen, immer die Menschen mit ihren Bedürfnissen und Gewohnheiten im Kopf zu behalten, welche die Anwendung nutzen sollen.

Personas werden nicht erfunden

Gerade habe ich mehrere Dutzend Einreichungen für die ‌UX Challenge 2021 als Jurymitglied begutachtet. Die Einreichungen sind Prototypen für Apps, fast alle sind als Studien- oder Abschlussarbeiten an Hochschulen/Universitäten entstanden. Einige davon sind hervorragend. Was mir aber auffällt: In etlichen Beschreibungen steht etwas wie:

Das Projekt haben wir nach den Grundsätzen der Menschzentrierten Entwicklung umgesetzt. Daher haben wir als Erstes Personas erstellt.

Menschzentrierte Entwicklung ist großartig, Personas sind sicher ein Teil davon. Aber mit Personas fängt es nicht an. Vielleicht bin ich sogar ein Stück weit mit daran schuld, dass das teilweise immer noch geglaubt wird. In den alten Auflagen meines Buchs Website-Konzeption habe ich zum Thema Personas geschrieben:

Versetzen Sie sich in die Position der Kunden. Was wollen diese? Was sind ihre Ansprüche an die Site? Um das zu beantworten, müssen Sie die Kunden besser kennenlernen. Der erste Schritt dazu ist leichter, als Sie denken. Alles, was Sie brauchen, sind gesunder Menschenverstand und etwas Fantasie. Denn Sie müssen dazu keine Marktforschung betreiben, sondern Sie erfinden die Kunden einfach.

Das würde ich heute nicht mehr so stehen lassen. So hat man das früher öfter gemacht. Im weiteren Text wird das zwar etwas relativiert. Aber es klingt doch zu sehr danach, dass man Personas aus der Fantasie erstellt. Das macht man nicht. Der erste Schritt sind nicht die Personas, sondern die Menschen. Als Allererstes müssen Sie sich mit den zukünftigen Nutzerinnen und Nutzern befassen. Das kann qualitativ sein – Sie führen also z.B. Interviews. Oder auch quantitativ – Sie machen eine Umfrage. Idealerweise machen Sie eben doch etwas Marktforschung.

Sofort loslegen mit der Persona-Erstellung können Sie nur, wenn Sie schon sehr viel von Ihrer Zielgruppe wissen.

Gute Personas entstehen nicht allein

Personas entstehen typischerweise in einem Workshop. Daran nehmen alle teil, die die Zielgruppen gut kennen. Unverzichtbar sind z.B. Kolleginnen und Kollegen, die im Support oder im Verkauf arbeiten. Sie haben meist täglich Kontakt mit den Menschen, die Sie als Personas abbilden wollen.

Es hat sich bewährt, sich in der Gruppe zu einigen, welche Eigenschaften der Personas man festlegen will. Dann entsteht in Kleingruppen mit mindestens 3 Teilnehmenden jeweils eine Persona. Diese werden dann am Ende im Plenum vorgestellt, kritisch hinterfragt und angepasst.

Proto-Personas

Beginnen Sie ohne tiefergehende Recherche zur Zielgruppe mit solch einem Workshop, dann spricht man von Proto-Personas. Also sozusagen vorläufigen Personas. Damit bringt man zum Ausdruck, dass sie vorläufig sind.

Validieren mit echten Daten

Der nächste sinnvolle Schritt ist dann das Validieren, also das Überprüfen der Personas. Sie führen nochmal Befragungen oder auch quantitative Umfragen durch, um sicherzustellen, dass Sie keine Wunsch-Personas erstellt haben. Das würde bedeuten, diese Menschen gibt es vielleicht überhaupt nicht.

In Ordnung sind Wunsch-Personas dagegen, wenn es solche Menschen schon gibt, sie aber (noch) nicht zu Ihren Kunden gehören. Dann helfen Ihnen diese Wunsch-Personas, Ihr Angebot so anzupassen, dass es diese anspricht.

Was ist gegen Personas einzuwenden?

Wie versprochen nun zum Abschluss noch die Kritik an diesem Werkzeug: Wer es nicht kennt, ist oft am Anfang skeptisch. Ich kenne das auch aus Besprechungen, vor allem mit Entscheiderinnen und Entscheidern aus dem Bereich Business oder IT. Diese halten das für eine amerikanische Feel-good-Methode, die überflüssig ist. Und doch merken sie schnell, dass Personas ein tolles Werkzeug sind, um die Empathie im Team für die Zielgruppe zu wecken.

Aber auch einige mit UX-Expertise sehen Personas kritisch. So etwa Steve Portigal, Autor des großartigen Buchs Interviewing Users:

Personas werden dazu missbraucht, die Leute auf Abstand zu halten, für die wir konzipieren. Personas erschaffen eine Fassade von Nutzerzentriertheit, während wir eigentlich weiter für die konzipieren, für die wir gerne konzipieren möchten.

Er kritisiert, dass Personas Stereotypen sind, dass sie mit den echten Menschen nichts zu tun haben. Das ist oft der Fall, wenn Personas erfunden werden. Doch wenn sie auf realen Daten, auf Erkenntnissen aus der Nutzerforschung basieren, dann muss das nicht so sein – meine ich. Dabei bin ich auch strikt gegen manchmal genutzte vermeintlich lustige Persona-Namen. Da findet man „Petra Pingel“ oder „Bodo Behäbig“. Das ist kontraproduktiv, wir wollen Empathie schaffen und uns nicht über unsere Nutzerinnen und Nutzer lustig machen. Auch ist es wichtig, Personas regelmäßig zu aktualisieren. Denn Menschen ändern sich, Vorlieben und Moden sowie Erfahrung mit Geräten, Sites und Apps. Das muss sich in den Personas widerspiegeln.

Linktipps

Die beste ausführliche Beschreibung des Nutzens, des Vorgehens und des Arbeitens mit Personas hat Shlomo “Mo” Goltz geschrieben (gibt es nur auf Englisch, lohnt die Mühe aber definitiv). Der erste Teil ist eine Einführung und beschreibt detailliert auch die Argumente der Kritiker der Methode:
A Closer Look At Personas: What They Are And How They Work
Teil 2 beschreibt, wie gute Personas entstehen:
A Closer Look At Personas: A Guide To Developing The Right Ones

1 Gedanke zu „Personas, die Empathiemaschinen – Newsletter 8/2021“

  1. Vielen Dank für den aufschlussreichen Beitrag. Es ist tatsächlich, wie bei vielen „Werkzeugen“, sehr wichtig, wie damit gearbeitet wird. Ich habe auch oft Projekte erlebt, wo Personas einfach mal „erfunden“ werden nur zur Zweckerfüllung, ohne Nutzung von Daten und Research. Das kann wiederum fatal sein für ein Produkt. Daher ja, bei richtiger Nutzung, sind Personas sehr hilfreich und in manchen Fällen sogar essenziell für das Produkt.

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