Newsletter 08/2008 – Politiker lehren Verkaufen

Wenn Sie irgendetwas im Web verkaufen wollen, dann sollten Sie einen Blick in die Politik werfen – ob Sie nun einen Webshop betreiben, oder ob Sie eine Idee, sich selbst oder Ihr Unternehmen „verkaufen“ wollen.

Die traurige Seite – Internetignoranz

Noch immer trifft man bei Politikern teilweise auf verblüffende Ignoranz. Der Journalist Thomas Knüwer verwendet sogar den Begriff „Generation Web 0.0“ für die derzeit führende Generation der Wirtschaftsbosse und Politiker. Unser Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos sagte – zumindest noch 2007 – mit dem Handy umzugehen fände er schon viel, und zum Glück habe er Leute, die für ihn mit dem Internet umgingen.  Auch der unter anderem für die Online-Überwachung zuständige Minister Wolfgang Schäuble gibt offen zu, vom Internet nur eine ungefähre Vorstellung zu haben.

Ebenso scheinen die jungen Politiker das Internet teilweise wenig wichtig zu nehmen. Die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel etwa, Jahrgang 1980, hat nicht einmal eine eigene Website. Nachdem sie nichts entscheidet und in keinem Parlament und in keiner Regierung sitzt, ist das auch ganz ihre Sache. Ob es ihrer politischen Sache aber dient, steht auf einem anderen Blatt.

Professioneller Politik-Podcast

Die ranghöchste deutsche Politikerin immerhin ist gut beraten. Mit ihrem Video-Podcast, den sie im Juni 2006 gestartet hat, hat sie zunächst viel Kritik, teilweise auch Spott auf sich gezogen. Merkel ist nun einmal nicht die telegenste Person und wirkte im Podcast wenig entspannt. Die Themen kann sie in den knapp drei Minuten natürlich nur anreißen – für tiefer gehende Information ist der Podcast nicht geeignet.

Trotz aller Kritik: der Podcast funktioniert. Merkel setzt damit Schwerpunkte. Sie hat erkannt, dass sie damit die Medien umgehen kann und direkt zu den Bürgern sprechen kann. Und die sehen/hören zu. Bis zu 50.000 sind es jede Woche, zu den besten Zeiten waren es vier Mal so viele. Und auch die Medien bedienen sich gern – die Themen, die unsere Bundeskanzlerin in ihrem Podcast anspricht, die landen meist gleich im Fernsehen und am nächsten Tag in der Zeitung.

An diesem Beispiel kann man aber für die eigene Vermarktung nur das lernen: wenn man schon bekannt ist, dann findet man immer Zuschauer bzw. Leser. Ist man deutlich weniger bekannt, dann muss man schon deutlich stärker auf die Inhalte achten.

Alles, was geht

Und das machen trotz hohem Bekanntheitsgrad zwei Politiker, deren Websites ich jedem empfehlen kann, der selbst mit Websites inhaltlich zu tun hat: die der beiden amerikanischen Präsidentschaftsanwärter, Barack Obama und John McCain. Beide ziehen alle Register dessen, was man derzeit tun kann, um im Internet bekannt zu werden. Fangen wir mit Obama an, der war immerhin gerade zu Gast in Deutschland.

barackobama.com

Das Erste, was den Besucher auf der Website des Präsidentschaftskandidaten der Demokraten erwartet, ist eine Intro-Seite. Hier soll man seine Mailadresse und seine Postleitzahl angeben. Das finde ich persönlich sehr aufdringlich, aber es gibt immerhin einen „skip“-Button. Außerdem merkt sich die Site, dass man die Intro-Seite schon gesehen hat und zeigt sie beim nächsten Besuch nicht mehr an.

Auf der eigentlichen Hauptseite findet man eine bunte Mischung von Angeboten – für jeden ist etwas dabei. Die Seite wirkt modern, sehr aufgeräumt und leicht zu bedienen. Man kann einfach warten, bis im großen Teaser-Bereich in der Seitenmitte ein Thema auftaucht, das einen interessiert. Alle fünf Sekunden erscheint hier ein neuer Teaser mit sehr kurzen, klaren Texten, z. B. „Obama in Berlin“ oder „New Energy for America“.

Unter dem Teaser-Bereich folgen kurze Themenblöcke, die zu den Unterbereichen der Site verlinken: ObamaBlog, ObamaNews. ObamaEvents, ObamaMap und ObamaStore. Alle diese Themenblöcke sind mit Inhalten gefüllt – vorbildlich. Denn zum Beispiel einfach nur zu schreiben: „es gibt ein Blog“, wie es auf vielen Sites passiert, ist zu wenig. Die Inhalte bringen Besucher ins Blog, nicht die Tatsache, dass es ein Blog ist. Daher ist auf der Startseite auch der erste Blogeintrag zu lesen. Daneben stehen noch die Titel von einigen weiteren Blogeinträgen. Dabei ist dies so übersichtlich gestaltet, dass die Seite nicht überladen wirkt.

Das ist generell einer der großen Pluspunkte der Site: sie enthält gewaltige Mengen an Inhalten, diese werden aber immer so präsentiert, dass man davon nicht erschlagen wird. Die Gestalter hatten hier sehr viel Gespür dafür, wie man klar macht, dass es sehr viel zu entdecken gibt und dabei aber niemanden überfordert.
In der rechten Spalte steht ein Link zu einem weiteren wichtigen Bereich der Site: BarackTV. Hier kann man den Kandidaten sehen, wie er auf großen Ereignissen oder kleinen Veranstaltungen irgendwo in Iowa oder in einem anderen weniger bekannten Bundesstaat auftritt. Und wenn einmal keine Videokamera dabei gewesen sein sollte, dann kann man zur verlinkten Seite beim Bilderdienst Flickr gehen, auf der fast jede Bewegung von Obama fotografisch dokumentiert ist.

ObamaMobile bietet Informationen per SMS, und unter „Welcome Hillary Supporters“ werden speziell die Demokraten betreut, die Obamas Konkurrentin Hillary Clinton unterstützt haben.
Ein eigener Bereich my.barackobama.com steht für alle zur Verfügung, die sich mit eigenen Inhalten an der Kampagne beteiligen wollen – sei es durch ein persönliches Blog, eine geschlossene Unterstützergruppe, die ihre Wahlkampfarbeit online organisiert, oder durch Mailkampagnen an Freunde.
Unter der passenden Überschrift „Obama everywhere“ sind Links zu allen sozialen Netzwerken aufgeführt, in denen Herr Obama aktiv ist – und das sind auch alle nur ansatzweise wichtigen: Facebook, MySpace, Youtube, Flickr, Digg, Twitter, LinkedIn und viele mehr.

Das Einzige, was ich vermisst habe, ist eine Suchfunktion.
Und die horizontale Navigation ist recht komplex geraten. Die Begriffe der ersten Ebene sind für einen Amerikaner wohl in Ordnung. Die Begriffe, die aber erscheinen, wenn man die Menüs per Rollover ausklappt, die wirken doch etwas ungeordnet. 25 Einträge für ein Menü („Issues“ = Themen) sind definitiv zu viel. Aber die meisten Besucher werden die horizontale Navigation gar nicht brauchen. Eben weil der Hauptteil der Seite wie auch die rechte Spalte so viele Möglichkeiten bieten, die Inhalte der Site zu erkunden.

johnmccain.com

Die Site von Obamas Konkurrenten, John McCain, macht auf mich persönlich einen deutlich bunteren Eindruck. Interessanterweise sind beide Sites in Blautönen gehalten, bei Obama ist viel Weißraum und gelegentlich ein roter Farbtupfer zu sehen. Bei McCain dagegen wird viel mit Grün, aber auch mit allen möglichen anderen Farben gearbeitet. Bunte Icons stehen vor jedem Hauptelement auf der Startseite. Den größten Teil nimmt ein Bild aus einem Video ein – am 31.7.2008 leider ein ziemlich pixeliges. Die Dame, die dort zu sehen ist, wirkt dadurch etwas entstellt.

Neben dem Video stehen große Bilder, die in dicken Lettern Unterbereiche der Site bewerben. Die Bilder wechseln automatisch etwa alle 30 Sekunden.
Für meinen Geschmack ist das alles etwas zu bunt, da konkurrieren die Elemente der Seite sehr stark miteinander, das führt zu leichtem Stress beim Besucher.
Auch McCain führt ein Blog, stellt Videos und Fotos online, fordert zu Spenden und zum Mitmachen beim Wahlkampf auf. McCain hat sogar ein kleines Spiel auf seiner Site, in dem man wie bei Space Invaders Dinge abschießen muss. Nur geht es hier nicht um Aliens, sondern um Budgetverschwendung, die man hier symbolisch stoppen soll.

Die Links zu sozialen Netzwerken wie Facebook oder MySpace fehlen hier ebenso wenig wie der Bereich, indem man selbst aktiv werden kann – hier unter dem Namen „McCainSpace“.
Die Site hat eine Suchfunktion, wenn auch das Suchfeld ganz unten rechts etwas versteckt ist. Die horizontale Navigation ist in der 2. Ebene fast identisch mit der bei Obama, doch die zweite Ebene ist deutlich weniger überladen und damit besser handhabbar.

Fazit

Klar, dass weder Obama noch McCain selbst bloggen, ihre Bilder auf die Site hochladen oder Mails beantworten. Aber sie haben die richtigen Leute engagiert, sie im Web zu vertreten. Und sie haben erkannt, welch großartiges Instrument das Web sein kann, um die eigenen Ideen zu vermitteln.
Vorreiter war übrigens der demokratische Präsidentschaftskandidat Howard Dean, der 2004 als erster höchst erfolgreich im Internet Wahlkampf betrieben hat. Damals hat es aber dennoch nicht gereicht, um sich gegen Bush durchzusetzen.

Die Sites von Obama und McCain sind nicht nur ähnlich aufgebaut, sie haben auch in weiten Bereichen die gleichen Funktionen. Einzelne Dinge sind mal auf der einen, mal auf der anderen Site besser gelöst. So bleibt nur der persönliche Eindruck. Und der ist bei mir persönlich bei Obama besser – wegen der ruhigeren, professionelleren Gestaltung. Aber so wie eine Boulevardzeitung mehr Leser findet als eine Qualitätszeitung, sagt das noch nichts über den Erfolg der jeweiligen Site. Die Website entscheidet zudem sicher nicht die Wahl, aber sie leistet einen sehr wichtigen Beitrag.
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(c) Jens Jacobsen 2008

Bei Weiterleitung oder Zitat bitte Quellenangabe („Quelle:
benutzerfreun.de-Newsletter August 2008“).

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