Newsletter 07/2004 – Umgang mit dem Bildschirmplatz

Der Usability-Experte Jakob Nielsen hat das Konzept des „Screen Real Estate“ (Bildschirm-Grundstück) eingeführt: Der Platz auf dem Bildschirm der Besucher Ihrer Site ist kostbar wie Baugrund in der Münchner Innenstadt und sollte dementsprechend überlegt genutzt werden.

Das gilt vor allem für die Startseite. Sie wird am häufigsten besucht, und hier entscheidet sich oft, ob ein Besucher auf Ihrer Site bleibt oder nicht.

Planen Sie Ihre Seiten also sorgfältig. Dazu müssen Sie den besten Kompromiss finden zwischen

  • Möglichst vielen Informationen

  • Optimaler Wirkung der wichtigsten Informationen, damit sie sofort gefunden werden

  • Möglichst wenig ungenutztem Platz

  • Angenehmer Anmutung durch großzügige Gestaltung

  • Möglichst vielen Inhalten

  • Guter Orientierung und ausreichend Navigationsmöglichkeiten

Minimale Bildschirmauflösung

Wichtigster Ausgangspunkt bei der Gestaltung ist, welche Fenstergröße Sie beim Benutzer annehmen. Inzwischen kann man von einer Auflösung von mindestens 800 x 600 Pixeln oder mehr ausgehen. Bei Sites, die eine Zielgruppe mit wenig Technikbegeisterung oder geringeren finanziellen Mitteln haben, sollte man keinen größeren Wert ansetzen, selbst wenn auch bei diesem Publikum die kleinen Monitore mit der geringen Auflösung von 800 x 600 fast vollständig ausgemustert sind.

Die optimale Breite

Doch es stellt sich die Frage, ob die zunehmende Bildschirmgröße zu immer breiter angelegten Web-Seiten führen sollte. Denn zum einen ziehen die Nutzer großer Bildschirme die Browser-Fenster selten auf die volle Größe auf. Zum anderen sieht es oft seltsam aus, wenn der Text die ganze Breite eines großen Fensters einnimmt – und die Lesbarkeit nimmt rapide ab.

Magazine und Zeitungen sind in schmalen Spalten gedruckt. Das ist deutlich schneller lesbar als breit laufende Texte, bei denen das Auge unbewusst beim Zeilenwechsel die richtige Zeile suchen muss. Da Seiten am Bildschirm schwerer zu lesen sind und fast alle Web-Seiten nur überflogen werden, ist es ungünstig, die Textzeilen auf die volle Fensterbreite auszudehnen.

Umgang mit Weißraum

Textwüsten sind genauso abschreckend wie überladene Bildcollagen. Daher sollten Sie wohlüberlegt freie Flächen einsetzen, um den Rest der Seite richtig zur Geltung zu bringen.

Freier Platz auf einer Seite („Weißraum“) ist nicht überflüssig, sondern ein wichtiges Gestaltungsmittel – natürlich auch wenn er nicht weiß, sondern farbig ist. Durch ihn wirken die anderen Bestandteile der Seite erst, er verhilft ihnen zu Aufmerksamkeit.

Unprofessionelle Gestaltung zeichnet sich häufig durch ein Zuviel aus. Zu viele verschiedene Elemente auf der Seite, zu viele Farben, zu viele Schriftarten.

Große Textmassen sehen unschön aus und sind schlecht lesbar. Sorgen Sie für optische und inhaltliche Gliederung durch den Einsatz von

  • Absätzen

  • Aufzählungen/Listen

  • Zwischenüberschriften

  • Kästen mit Zusatzinformationen

  • Aufteilung von Inhalten auf mehrere Seiten

Keinen Zwang, bitte

Zwingen Sie die Benutzer zu nichts. Die Breite der Fenster fest vorzuschreiben verärgert nicht wenige Benutzer, da sie selbst entscheiden möchten, wie viel Platz sie Ihrer Site auf ihrem Bildschirm einräumen. Keine gute Sitte ist, beim Einstieg in die Site ein PopUp-Fenster mit fester Breite zu öffnen. Damit sperren Sie zunehmend mehr Benutzer aus – alle, die PopUp-Blocker gegen lästige Werbefenster einsetzen.

Selbst wenn viele Benutzer das noch nicht tun, sind sie oft verärgert, wenn zusätzliche Fenster auftauchen und bei diesen auch noch die gewohnten Steuerelemente des Webbrowsers fehlen.

Fallstudie

Wir haben uns am 30.6.2004 stichprobenartig 14 oft besuchte Sites angesehen, um zu prüfen, für welche Fensterbreite diese angelegt sind.

Die Testkandidaten:

  • Amazon.de

  • Chip.de

  • FAZ.net

  • Focus.msn.de

  • Geo.de

  • Heise.de

  • IBM.com/de

  • Microsoft.com/germany

  • Spiegel.de

  • Sueddeutsche.de

  • Sun.de

  • Tagesschau.de

  • Tchibo.de

  • Zeit.de

Seitenbreite

Alle 14 untersuchten Sites sind bei einer Bildschirmauflösung von 800 x 600 vollständig sichtbar.

Nur die FAZ und der Spiegel nutzen den rechten Rand: hier sitzen allerdings nur Werbebanner im Hochformat. Diese sind bei 800 x 600 nicht ohne horizontales Scrollen zu sehen.

Bei allen anderen Sites tritt dieser Effekt erst bei kleineren Auflösungen ein. Das ist dann aber nie tragisch, weil alle Sites zumindest auf den Übersichtsseiten ein mehrspaltiges Layout haben. Und in der ganz rechten Spalte stehen stets nur Zusatzinformationen – keine Navigation oder wichtige Inhalte. So funktionieren auch diese Seiten sogar bei noch kleinerer Auflösung.

Textbreite

Nur folgende drei der vierzehn untersuchten Sites lassen den Text unbeschränkt, das heißt, bei diesen nimmt er stets den gesamten Raum ein, der im Fenster zur Verfügung steht:

Amazon: die Seiten sind in drei Spalten eingeteilt. Die linke und rechte sind fest in ihrer Größe, die mittlere ist variabel. Auf kleinen Monitoren ist sie schmal, auf großen (bis 1.600 Pixel) ist sie immer noch so wenig breit, dass der Text darin gut lesbar bleibt.

Heise: Die Seiten des Computerzeitschrift-Verlages sind im Übersichtsbereich dreispaltig, die Artikel dagegen sind nur einspaltig. Es bleibt völlig dem Nutzer überlassen, seine Fensterbreite so zu wählen, dass er den Text gut lesen kann – der Text nimmt die volle Breite ein. Die Navigationselemente sind oben stets in der Seitenmitte angeordnet.

Zeit: Auch die Wochenzeitung arbeitet mit einem dreispaltigen Layout in der Übersicht, auf den Artikelseiten ist alles einspaltig. Bei der Auflösung von 800 x 600 sind der letzte Navigationseintrag im Seitenkopf sowie das Banner abgeschnitten, was inhaltlich kein Schaden ist. Optisch stört es den ansonsten sehr guten Eindruck.

Platzierung des Inhalts

Vier der vierzehn Sites sind so gestaltet, dass die Kopf- und/oder Fußelemente stets über die ganze Breite des aufgezogenen Fensters laufen (Amazon, FAZ, Microsoft, Tagesschau). Ihr Design ist so angelegt, dass die Farbflächen direkt an den Seitenrand grenzen.

Der Inhalt aller elf Sites mit fester Inhaltsgröße ist linksbündig angeordnet, das heißt bei großen Browserfenstern sitzen Text, Kästen und Bilder links, rechts davon bleibt freie Fläche im Browserfenster.

Fazit

Diese kurze, nicht-repräsentative Untersuchung zeigt, dass viele Website-Betreiber die Bildschirmauflösung von 800 x 600 als Standard annehmen. Alle 14 untersuchten Sites ließen sich damit vollständig betrachten, mit der Ausnahme von Werbebannern, die bei zwei Sites am rechten Rand sitzen.

Drei Sites nutzen auch den Raum, der bei größeren Fenstern zur Verfügung steht für Inhalt, wobei nur zwei tatsächlich Text über die ganze Breite laufen lassen.

Standard scheint also das Gestalten für die Auflösung von 800 x 600 mit Beschränkung der Inhalte auf diesen Bereich zu sein. Sprechen Sie eine Zielgruppe mit sehr großen Monitoren an, können Sie den Inhalt auf nur-Text-Seiten über die volle Breite laufen lassen – dann kann und muss der Benutzer entscheiden, was für ihn gut lesbar ist. Bei den Übersichtsseiten sollten Sie allerdings die Breite begrenzen oder durch mehrere Spalten dafür sorgen, dass die Seiten optisch angenehm bleiben und gleichzeitig die Orientierung auf ihnen keine Probleme macht.

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(c) Jens Jacobsen 2004

Bei Weiterleitung oder Zitat bitte Quellenangabe („Quelle:
benutzerfreun.de-Newsletter Juli 2004“).

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