Gute Ideen trotz Brainstorming – Newsletter 1/2020

Sie kennen das: Man sitzt zusammen und stellt fest, dass man nicht weiter kommt im Projekt. Früher oder später ruft immer einer: „Lasst uns ein Brainstorming machen!“

Darauf gibt es meist nur zwei Reaktionen: Begeisterung und Augenrollen.

Und eigentlich sind beide richtig.

Das Augenrollen, weil Brainstorming meist nicht funktioniert. Die Begeisterung, weil Brainstorming durchaus zu guten Ideen führen kann. Allerdings nur, wenn es … 

  1. … für die richtigen Fragen/Probleme eingesetzt wird.
  2. … richtig umgesetzt/durchgeführt wird.

Und leider ist beides meist nicht der Fall, daher das Augenrollen.

Der Siegeszug des Brainstorming

Erfunden hat die bekannteste Kreativitätstechnik des Brainstorming der US-Werbefachmann Alex Osborn in den 1930er Jahren. Und seitdem ist sie aus der Kreativbranche nicht mehr wegzudenken, aber auch in Wirtschaftsunternehmen aller Art hat sie Einzug gehalten. Und das, obwohl Studie um Studie gezeigt hat: Brainstorming liefert meist schlechtere Ergebnisse als Einzelarbeit.

Schon 1958 wurde an der Yale-University eine Studie mit 96 Studenten durchgeführt. Die Hälfte arbeitete als Teams in Brainstormings, die andere Hälfte arbeitete allein. Das vernichtende Ergebnis: Die Einzelkämpfer kamen zu doppelt so vielen Ergebnissen, welche noch dazu von unabhängigen Experten in der Summe als besser beurteilt wurden.

Dutzende von Studien haben das in den folgenden Jahrzehnten bestätigt. Ich muss zugeben: Ich war geschockt, als ich letztes Jahr zum ersten Mal davon gelesen habe. Ich habe selbst noch in meinem Buch Website-Konzeption Brainstorming empfohlen. Und Dutzende von Brainstorming-Sitzungen durchgeführt.

Warum Brainstorming so erfolgreich ist

Warum wird Brainstorming so häufig eingesetzt, wenn es doch so wenig effektiv ist? Vermutlich hat dies vor allem 3 Gründe:

  1. Es fühlt sich produktiv an. Am Ende einer kurzen Brainstorming-Sitzung hat man eine lange Liste mit Ideen. Und alle Teilnehmer haben das Gefühl, einen wesentlichen Beitrag geleistet zu haben. Das stärkt den Gruppenzusammenhalt.
  2. Es werden viele Leute einbezogen in die Entscheidungsfindung. Ein Brainstorming fühlt sich demokratisch an – auch wenn Untersuchungen zeigen, dass Extrovertierte und Vorgesetzte sich in Brainstormings meist klar mit ihren Ideen durchsetzen.
  3. Es tut gut, seine Ideen in einem Umfeld zu äußern, in dem Kritik verboten ist.

Und letztlich spielt sicher noch eine Rolle, dass jeder den Begriff Brainstorming kennt und sich niemand daher rechtfertigen muss, warum er diese Methode verwendet.

Warum Brainstorming nicht funktioniert

Was aber ist nun das Problem mit Brainstorming? Ein großer Nachteil ist, dass Brainstorming nicht so kreativ ist, wie es scheint. Die Theorie ist, dass die Ideen aufeinander aufbauen und jede Idee neue generiert. In der Praxis ist es aber so, dass jede vorgebrachte Idee den Weg vorgibt, den die anderen Teilnehmer gedanklich einschlagen. Statt Divergenz bekommen wir also Konvergenz. 

Man liest öfter auch von „group think“, also Gruppendenken. Das ist ein sozialpsychologisches Phänomen, dem man sich kaum entziehen kann.

Daher funktionieren Techniken wie Brainwriting besser, bei denen die Teilnehmer ihre Ideen zunächst still notieren und nicht, wie beim Brainstorming, laut in die Runde rufen. 

Ein weiteres Problem: Extrovertierten fällt es wesentlich leichter, ihre Ideen in der Gruppe vorzubringen – und diese gut zu verkaufen. Introvertierte beteiligen sich weniger und sie tun sich auch schwerer, sich in der turbulenten Sitzung durchzusetzen. Sie werden auch von erfahrenen Moderatoren eher überhört.

Und je komplexer ein Problem ist, desto wichtiger ist es, eine Idee zumindest kurz zu überdenken, bevor man sie äußert – das ist in Brainstorming-Sessions nicht vorgesehen.

Foto Menschen beim Brainstorming Klischee
So stellen sich Bildagenturen ein Brainstorming vor. Am Klischee ist wenig dran.

„Think outside of the box, verdammt!“

Völlig fruchtlos ist es, wenn wir in einem Meeting sagen, alle sollen „thinking outside of the box“ betreiben. „Werdet kreativ!“ Das ist wie einem Menschen mit Flugangst zu sagen, er soll einfach keine Angst haben.

Wenn Sie sich ertappt fühlen: Hervorragend, denn dann sind Sie in der Position, die Voraussetzungen zu schaffen, dass die Teilnehmer kreativ werden, auf neue Ideen kommen.

Das ist wichtig bei jeder Kreativitätstechnik, auch im Brainstorming.

Brainstorming, ordentlich gemacht

Wenn Sie sich trotz all der Nachteile fürs Brainstorming entscheiden, dann folgen Sie unbedingt diesen Regeln:

  • Masse statt Klasse
    Es geht zunächst darum, möglichst viele Ideen zu generieren. Ob sie „gut“ sind, oder nicht, spielt keine Rolle. Jede Idee ist wertvoll, sie kann in jedem Fall dabei helfen, weitere, vielleicht bessere Ideen zu generieren.
  • Kritik ist verboten
    Es geht ums Finden der Ideen, die Bewertung kommt später. In kritikfreier Umgebung trauen sich alle, auch abwegige Ideen vorzubringen. Versuchen Sie sogar, generell auf Kommentare zu verzichten. Diese werden allzu leicht als Kritik/Lob interpretiert.
  • Bauen Sie aufeinander auf
    „Aber …“ gilt nicht, sagen Sie statt dessen besser „Ja, und …“. Versuchen Sie, die Ideen der anderen aufzugreifen und diese weiterzuentwickeln.
  • Bleiben Sie bei der Sache
    Für den Moderator sehr schwierig: Kritisieren sollten Sie sich verkneifen, aber dennoch dafür sorgen, dass die Gruppe beim Thema bleibt. Die Ideen sollten sich um die Lösung des festgelegten Problems ranken.

Oft vergessen wird, dass auch eine gute Brainstorming-Sitzung gut vorbereitet werden muss. Dazu gehört:

  • Am Anfang müssen wir Problem und Fragestellung schärfen. Wir müssen also den Teilnehmern erklären: Was wissen wir über das Problem? Was über die Nutzer/Kunden/Betroffene?
  • Wer kann noch wertvolle Infos beisteuern? Diese Personen können wir einladen zur Sitzung oder deren Infos vorher einholen.
  • Die Fragestellung und den Zeitrahmen kommunizieren Sie am besten schon im Vorfeld an alle Teilnehmer.
  • Sie müssen einen Moderator bestimmen, am besten einen, der nicht zum Kernteam gehört, dann kann er sich auf seine Aufgabe konzentrieren und ist objektiver. (Man kann sich mit einem anderen Team im Haus gegenseitig einen Moderator ausleihen.)
  • Eine Person ist verantwortlich, jede Idee aufzuschreiben und sie zu visualisieren.

Außerdem gibt es ein paar wichtige organisatorische Punkte, die Sie beachten sollten:

  • Diverse Teams generieren bessere Ideen
    Sorgen Sie für eine gute Mischung von Erfahrungen, Positionen/Jobs, Charakteren und Fachgebieten.
  • Kleine Gruppen tun sich leichter.
    Ursprünglich wurden 12 Personen empfohlen, doch die Arbeit in einer halb so großen Gruppe ist meistens angenehmer und auch produktiver. Mit weniger als 5 Leuten wird es aber zunehmend schwierig.
  • Gute Zeitplanung hilft
    Wie bei jedem Meeting sollte der Moderator für Disziplin bei den Teilnehmern sorgen (pünktlicher Start, keine Mails/Messaging/Anrufe/Slack während der Sitzung); auch teilt er die Zeit in sinnvolle Abschnitte („Timeboxing“) und treibt die Gruppe weiter, so dass am Ende ohne Überziehung ein Ergebnis steht. Echte Brainstormings sind kürzer als 60 Minuten, manchmal dauern sie sogar nur 5 Minuten.
  • Ergebnisse dokumentieren & kommunizieren
    Halten Sie die Ergebnisse des Brainstormings fest. Und halten Sie die Beteiligten auf dem Laufenden, was mit diesen Ergebnissen weiter passiert. Gerade wenn die Teilnehmer aus verschiedenen Abteilungen kommen, vergisst man häufig, die anderen Kollegen zu informieren.

Prüfen Sie immer, ob sich aus den Ergebnissen nicht ein Prototyp erstellen lässt. Diesen können Sie dann mit Nutzern/Kunden testen und bekommen schnell wertvolles Feedback. Das gehört nicht mehr zum Brainstorming, ist aber eine höchst effiziente Methode, die bei anderen Techniken erfolgreich eingesetzt wird.

Alternativen zum Brainstorming

Sind Sie offen, für neue Wege, um Ideen zu generieren, dann denken Sie vor allem an diese:

  • Brainstorming mit Kritik
    Beim Brainstorming ist Kritik verboten – in einigen Untersuchungen hat sich aber gezeigt, dass die Lösungen angeblich bis zu 20% besser sind, wenn auch kritisiert wird. Das würde ich in einer Phase 2 in einer Brainstorming-Session anschließen, um noch weitere Ideen zu bekommen, bzw. die bestehenden zu verfeinern.
  • Brainwriting
    Hierbei rufen die Teilnehmer ihre Ideen nicht heraus, sondern schreiben diese für sich still auf. Danach werden diese gesammelt, präsentiert und weiter entwickelt.
  • Brainswarming
    Ganz ähnlich dem Brainwriting, nur etwas strukturierter: Das Ziel oder die Problemstellung kommt oben auf eine Pinnwand, nach unten kommen die „Ressourcen“ – also die zur Verfügung stehenden Werkzeuge, Methoden, Kontaktkanäle, Vertriebsweg etc. Dann arbeitet jeder still an Lösungen des Problems mit Hilfe der Ressourcen und schreibt diese auf Haftnotizen. Diese werden dann gemeinsam gesammelt, geordnet und diskutiert.
  • Design Thinking
    Das Design Thinking ist keine einzelne Kreativitätstechnik, sondern mehr ein Set an Methoden, um gute, umsetzbare Ideen zu produzieren, weiterzuentwickeln und zu testen (siehe im Blog Design Thinking – bessere Ideen mit visuellem Denken).
  • Design Sprint
    Ein Design Sprint ist ein Workshop, der 4 bis 5 Tage dauert und in dem eine konkrete Projektidee entwickelt, als Prototyp umgesetzt und mit Nutzern getestet wird (siehe Design Sprints – Ideen finden & prüfen).

Wann welche Technik?

Für Slogans, Taglines und Namen eignet sich Brainstorming gut. Komplexere Probleme, die starke konzeptionelle, technische oder gestalterische Aspekte haben, lassen sich mit anderen Methoden aus dem Design Thinking-Bereich besser angehen.

Und wenn es eine konkrete, klare Fragestellung ist, würde ich persönlich unbedingt einen Design Sprint empfehlen. Damit kommen Sie schnell gemeinsam auf mehrere gute Ideen. Und in der Folge entwickeln Sie gleich einen Prototypen und wissen dank der folgenden Tests innerhalb kürzester Zeit, ob diese Idee funktioniert.

Was meinen Sie? Haben Sie noch weitere Tipps? Oder bleiben Sie lieber bei Brainstormings? Ich freue mich über Kommentare im Blog!

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