Die richtige Ansprache – duzen, siezen, gendern – Newsletter 6/2021

Egal, ob wir eine Website erstellen, eine App bauen oder sogar eine Maschine: Wir kommunizieren mit denjenigen, die unser Produkt nutzen. Bei einer Maschine ist die Kommunikation meist einfach und direkt: „Aus“, „Programmwahl“, „Temperatur“, „auftauen“ – meist reichen hier einfache Substantive oder Verben. Und mehr und mehr finden wir auf Geräten lediglich unbeschriftete Symbole, weil man dieselbe Version der Maschine dann in alle Länder der Welt verkaufen kann.
Aber bei Apps und Websites brauchen wir meist ganze Sätze oder zumindest Halbsätze. Da stellen sich uns mehrere Fragen:

  1. Welchen Ton schlagen wir gegenüber den Nutzenden an?
  2. Duzen oder siezen wir sie?
  3. Gebrauchen wir die männliche, die weibliche oder eine geschlechtsneutrale Form von Anreden, Berufsbezeichnungen und Ähnlichem?

Vom Prinzip her ist die Antwort auf diese Fragen einfach, wie immer: Wir sollten uns nach dem richten, was diejenigen erwarten, die wir ansprechen. Was wir keinesfalls tun sollten, auch wenn es uns hierbei sehr schwer fällt: Von uns selbst ausgehen. Denn wir alle leben in einer Blase.
In meinem beruflichen Umfeld z.B. ist das Duzen üblich, wenn ich etwa auf einem Kongress eine mir unbekannte Person anspreche, die einen spannenden Vortrag gehalten hat. Auch bei den meisten Projekten ist man nach kurzer Zeit oder oft auch sofort beim Du. Meine Frau dagegen arbeitet in der Baubranche und wundert sich über den Umgangston bei uns. Fachleute aus Architektur, Ingenieurwesen und Bauleitung duzen sich selbst nach jahrelanger Zusammenarbeit oft nicht – zumindest, wenn sie jenseits der 30 sind.

Diskussion ums Duzen und Siezen auf Reddit
Wer im Web nach Meinungen zum Thema Duzen und Siezen sucht, stößt auf viele hitzige Debatten.

Und als sich vor einiger Zeit ein etwa Dreißigjähriger bei einer Veranstaltung dreist vorgedrängelt hat und ich ihn geduzt habe, hat er sich lautstark beschwert, dass wir uns nicht kennen würden und ich ihn höflicherweise zu siezen hätte. Also: Die Gepflogenheiten und Erwartungen sind sehr unterschiedlich.

Duzt dich deine Website? – wie machen es andere?

Die meisten deutschsprachigen Websites siezen. Nur wenige weichen davon ab, vor allem diejenigen, die sich an ein junges Publikum wenden. Und solche, die sich jugendlich geben wollen, wie etwa Shops für Sportausrüstung.

Einstellungen Betriebssystem Android und iOS Duzen vs. Siezen
Android siezt (links), iOS duzt (rechts).

Bereits 2009 hatte Apple seine Kundenansprache auf der Website, in E-Mails und in den firmeneigenen Läden umgestellt von Siezen auf Duzen. Seit 2016 duzt einen auch das Betriebssystem (seit der Version macOS Sierra). Ebenso natürlich iOS auf dem iPhone. Android dagegen ist noch immer beim Sie. Genauso Microsoft – im Betriebssystem Windows wie auch auf der Website.

Screenshot Migrationsassistent OSX
Der Migrationsassistent von OX siezt uns bis El Capitan (links), ab Sierra werden wir geduzt.

Ikea duzt schon seit 2004 in Deutschland auf der Website, in der Werbung und im Katalog (im Laden dagegen normalerweise nicht).

Duzen oder Siezen auf der Website?

Was ist jetzt richtig? Was sollten wir auf unserer Website tun? Ich würde sagen: Sehen Sie sich Ihre direkte Konkurrenz an. Dann überlegen Sie sich, ob das Bild, das Sie vermitteln wollen, so jugendlich unbeschwert ist, dass Duzen dem überwiegenden Teil der Menschen, die Sie ansprechen, passend erscheint. Das hat mit dem Alter zu tun, aber eben auch mit dem Umfeld, in dem man sich bewegt. Auf einer juristischen Fach-Site etwa würde ich persönlich lieber beim Sie bleiben, auch wenn ich 30jährige anspreche. Auf einer Site eines Fitnessstudios z.B. finde ich persönlich Du in Ordnung.

Wichtig ist aber auch die Konsequenz. Mein Fitnessstudio ist beim „Hamburger Sie“. Das heißt, in den Mails werde ich mit Vornamen angesprochen, aber gesiezt. Dazu mit der Anrede „Lieber“. Dann sind die Mails aber mit „Herzliche Grüße, XY Fitness-Club“ unterzeichnet. Mir kommt das komisch vor, die persönliche Anrede kombiniert mit einem unpersönlichen Firmennamen, keinem Menschen. Vor Ort dagegen werde ich übrigens geduzt.

Fürs „Ihren“, also die Ansprache von Gruppen mit „ihr“ statt „Sie“ habe ich auf Websites oder in der Werbung wenig Beispiele gefunden. Im beruflichen Umfeld kenne ich es dagegen – im Workshop wird die Gruppe mit „ihr“ angesprochen, die Einzelpersonen dagegen mit „Sie“.

Duzen und Siezen auf Websites, hier Puma.de
Auf puma.de werden die Besuchenden geduzt. Der Newsletter kommt vom Marketing. Im Cookie-Banner, das vermutlich von der juristischen Abteilung betreut wird, wird aber gesiezt.

Achten Sie darauf, in der Kommunikation konsequent zu bleiben und ziehen Sie die Anredeform und den Tonfall durch. Im Zweifel lieber beim Sie bleiben.
Interessant in dem Zusammenhang: Das Hamburger Sie ist keine amerikanische Erfindung, auch wenn sich in den USA die Menschen fast immer mit Vornamen ansprechen. „You“ ist 2. Person Plural, also könnte man sagen, sie Menschen siezen sich alle. Bis ins 17. Jahrhundert gab es „thou“, was eigentlich das „Du“ ist. Diese Anrede ist aber inzwischen längst ausgestorben und man kennt es nur noch von Shakespeare oder Kirchentexten.
Das immer mehr zu hörende „you guys“ oder „y’all“ ist eine Möglichkeit klarzumachen, dass man sich nicht nur an eine Person wendet, sondern an mehrere.

Interessanterweise führt die Tatsache, dass sich im Englischen die Frage nach Siezen oder Duzen nicht stellt, dazu, dass uns wissenschaftliche Daten fehlen, welche Anrede besser funktioniert. Der Professor für Strategische Kommunikation an der Hochschule der Medien in Stuttgart Andreas Baetzgen sagt:

Empirisch gesicherte Zahlen wären wünschenswert. Da sich die Frage aber vor allem im deutschsprachigen Raum stellt, kann man damit als Forscher international nicht punkten. Und so gibt es bislang keine entsprechenden Studien.

In Marktforschung und UX müssen wir daher im Einzelfall selbst entscheiden, wie wir diejenigen ansprechen, die unsere Produkte nutzen.

Meins oder deins?

Eine weitere Frage bei der Ansprache: Wenn ich mich auf einer Website einlogge, sehe ich dann „Mein Profil“ oder „Ihr Profil“ (oder „Dein Profil“)?
Mit „Mein Profil“ umgehe ich natürlich die Frage, ob Siezen oder Duzen. Dafür fühlt es sich etwas distanzierter, an – ich habe hier meinen Bereich. Mit „Dein Profil“ dagegen stecke ich mit der Website unter einer Decke, sie spricht mit mir und kümmert sich um meine Daten. Ein paar Gedanken dazu hier im Blog: Kleine Wörter, große Wirkung – wie die Nutzer ansprechen

Der Bereich/Menüpunkt „Über uns“ auf Websites dagegen ist etabliert und sollte daher immer so heißen. Menschen suchen nach genau dieser Formulierung auf der Site, um sich darüber zu informieren, wer hinter dieser steckt. Weichen Sie davon ab, machen Sie es denen unnötig schwer, die Ihre Site nutzen.

Gendern oder nicht gendern, das ist hier die Frage.

Vom „Gendern“ wird gesprochen, wenn die Anredeformen so angepasst werden, dass sie alle Geschlechter umfassen und nicht nur „mitmeinen“. Wenn Sie also von Lesern und Leserinnen sprechen, von Lesenden oder von Leserinnen* – und nicht nur von Lesern.

Dieses Thema ist noch umstrittener und die Debatten werden noch emotionaler geführt als die ums Duzen/Siezen. Als Nutzerforscher muss ich hier wieder sagen: Ich kann nicht nach meinem persönlichen Gefühl gehen, sondern muss auf Daten schauen. Ich muss sehen, was diejenigen für richtig halten, die ich ansprechen will. Als Mann, der die 30 schon vor zwei Jahrzehnten überschritten hat, kann ich hier nicht mitreden, sondern ich muss mir ansehen, was Frauen und jüngere Menschen meinen, die ich ja natürlich genauso ansprechen will.

Ich hatte in den letzten Wochen jeweils mehrtägige Workshops mit zwei unterschiedlichen Gruppen: Eine aus einem großen, international tätigen Verein. Und eine aus einer Behörde. Bei beiden war ich sicher nicht der Älteste und nicht der einzige Mann. Aber bei beiden war ich eigentlich der Einzige, der sich zunächst nicht um gendergerechte Sprache bemüht hat. Die meisten Teilnehmenden haben sogar beim Sprechen darauf geachtet. Sie haben nicht „Besucher der Website“ gesagt, sondern „Besucher:innen“. Also „Besucher“, dann eine Mini-Pause und dann „innen“. Mir kam es anfangs ungewohnt vor, aber nach einem Tag hatte sich das.

Wie gesagt, Sie können davon halten, was Sie möchten. Tatsache ist, wenn Sie das für Unsinn halten: Sie werden damit mehr und mehr zur Minderheit. Ich vermute, dass man mit dieser Meinung bald ziemlich alleine steht. Je nach Umfeld wirkt es auf die Angesprochenen mehr und mehr veraltet, wenn man nicht gendert. So wie mein Großvater der Meinung war, „Fräulein“ sei eine höfliche, völlig übliche Anrede für unverheiratete Frauen. Sprache ändert sich, und das, was als höflich und richtig empfunden wird, auch.

Gendern auf der Website oder nicht?

Rein pragmatisch gesehen: Sollen wir auf unseren Websites nun gendern oder nicht? Wie beim Duzen ist mein Tipp wieder: Sehen Sie sich an, wie es die Konkurrenz macht. Das bestimmt die Erwartungen derjenigen mit, die Sie ansprechen wollen.

Gendern in der Anrede bei der IngDiba
Unterm Logo steht „Die Bank und Du“, angesprochen werden wir aber mit Sie. In der Briefanrede wird gegendert – gerade in der Anrede ist diese Form mittlerweile die gebräuchlichste.

In den Medien wird derzeit fast überall nicht gegendert. Interessant dabei aber: Wenn Sie sich die Medien ansehen, sie sich speziell an jüngere Zielgruppen wenden, finden Sie mehr und mehr gegenderte Ansprache. Orientieren Sie sich an dem, was Ihre Hauptzielgruppe erwartet. Ich persönlich hätte nur bei sehr konservativen, ziemlich alten Zielgruppen die Befürchtung, dass Gendern negativ auffällt.

Sie müssen übrigens nicht unbedingt von Leser*innen sprechen, wenn Ihnen der Genderstern zu aufdringlich vorkommt. Ich persönlich finde Leser:innen typografisch schöner und lesefreundlicher, weil der Doppelpunkt den Lesefluss weniger unterbricht als das Sternchen. Ohne Studien dazu zu kennen, denke ich, dass die Usability des Doppelpunkts höher ist. Außerdem gibt der Doppelpunkt die Pause, die man beim Sprechen macht, gut wieder. Barrierefreier scheint es auch zu sein, weil Screenreader die Pause gut mitlesen (auch wenn es hier andere Meinungen gibt, das müsste ich noch detaillierter erforschen).

Statt dem Nutzen von Sonderzeichen gibt es auch die noch elegantere und unauffällige Möglichkeit, die Ansprache generell zu ändern. Haben Sie es bemerkt? Das habe ich in diesem Newsletter getan.
Ich habe geschlechtsneutrale Wörter wie Menschen, Leute, Personen genutzt. Auch das Gerund ist möglich: Studierende, Lesende, Besuchende. Ansonsten kann man oft Formulierungen finden, welche die Lesenden direkt ansprechen – mit Sie oder Du – und damit geschlechtsspezifische Begriffe vermeiden.

Ihre Meinung ist gefragt: Umfrage zur Ansprache – gendergerecht & Du/Sie

Ich bin dabei, mir zu dem Thema meine abschließende Meinung zu bilden. Daher würde ich mich sehr freuen, wenn Sie an meine Mini-Umfrage zum Thema teilnehmen. Damit ich Sie, liebe Leserinnen und Leser des Newsletters und des Blogs, in Zukunft so anspreche, wie es die Mehrheit von Ihnen möchte.

In der Umfrage

  • werden keine persönlichen Daten erfasst (auch die IP-Adresse nicht).
  • Die Beantwortung dauert nur 1 Minute.
  • Es sind nur 4 Fragen.
  • Die Ergebnisse werden Anfang Juli im Blog veröffentlicht.

Also los, ich freue mich, wenn Sie mitmachen: https://www.umfrageonline.com/s/39d6aa9

Links

Wer sich ins Thema einlesen will findet viele hervorragende Infos. Ich konnte mich diesmal gar nicht entscheiden, alle folgenden Beiträge sind unbedingt lesenswert:

https://www.designtagebuch.de/ergebnis-der-umfrage-gendersensible-sprache-in-fachmedien-kontext-design/
Online-Befragung zur gendersensiblen Ansprache von mehr als 1.000 Menschen, die im Bereich Design und Kommunikation arbeiten.

https://www.deutschlandfunkkultur.de/debatte-um-das-gendern-in-der-sprache-ein-kleiner-stern.1270.de.html?dram:article_id=491813
Der renommierte Typograf Erik Spiekermann verteidigt Gendern gegenüber Angriffen von Kollegen.

https://raidboxes.io/blog/raidboxes/gender-inclusive-language/
Sehr gute, ausführliche Zusammenfassung der Argumente Pro und Contra. Mit Links zu weiteren Hintergrundinfos.

https://www.researchgate.net/publication/320294156_Der_Einfluss_von_Gender_im_Entwicklungsprozess_von_digitalen_Artefakten
Fachartikel zur Gestaltung von genderneutralen Produkten und Anwendungen

https://finanzheldin.net/2019/07/31/wie-gendergerechte-sprache-in-b2b-unternehmen-funktionieren-kann/
Der Anfang bringt wenig Neues, spannend sind aber die Gedanken zu Suchmaschinenoptimierung (SEO) und Barrierefreiheit (Accessibility).

https://www.tagesspiegel.de/wissen/warum-sprachwandel-notwendig-ist-der-professor-die-professor-das-professor/26155414.html
Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch erklärt, dass Sprache sich laufend wandelt und analysiert detailliert und amüsant Für und Wider.

Und schließlich noch zwei Tipps für die Praxis:

https://www.studis-online.de/Studieren/Wissenschaftliche_Texte/gendern-in-hausarbeiten.php
Zwar für Studierende geschrieben, aber für alle Schreibenden empfehlenswert.

https://www.duden.de/rund-um-die-sprache/sprache-und-stil/Gendern
Wer für verzwickte Fälle wie Besuchergruppe oder anwenderbezogen gendergerechte Formulierungen sucht, wird beim Duden fündig.

Nur zur Sicherheit hier nochmal der Link zur Umfrage, damit Sie nicht vergessen, mitzumachen: https://www.umfrageonline.com/s/39d6aa9

2 Gedanken zu „Die richtige Ansprache – duzen, siezen, gendern – Newsletter 6/2021“

  1. Wie verhält es sich nun mit dem dritten Geschlecht, also Gender (weder weiblich, noch männlich)?
    Leser:innen bedeutet Leser (männlich) und Leserinnen (weiblich)
    wäre die Korrekte Bezeichnung dann: Leser:innen:?
    Es wird von Wandlung der Sprache gesprochen, in vielen Punkten erlebe ich das auch – z.B. symbolisierte Begriffskürzungen aus den sozialen Medien etc.
    Manche Wandlungen sehe ich aber eher politisch initiiert („political correctness“), eben auch das gendern, ich glaube nicht, dass diese Bewegung aus einer natürlichen Sprachwandlung entstanden wäre. Solche „Anpassungen“ werden m.M. nach oft von aktiven, engagierten Minderheiten durch lautstarke Medienpräsenz mehr oder weniger erzwungen, was zu völlig sinnfreiem Unmut und Fehlbeurteilung führt.
    Ich bin auch jenseits der 30er Grenze, aber mein Sohn (Student) und seine Kommilitonen machen sich über das Gendern regelmäßig lustig … in nehme also an, dass es auch unterhalt der genannten 30 Jahre-Altersgzrenze durchaus differenzierte Meinungenn zu dem Thema gibt.

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    • Sie haben Recht, das Thema ist politisch. Aber das allein heißt ja nicht, dass es daher schlecht ist. Allgemeines Wahlrecht, Gleichheit vor dem Gesetz – alles politische Themen, und alles wichtig. Man könnte vielleicht sogar so weit gehen: Alles, was wirklich wichtig ist, ist politisch.

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