Newsletter 09/2004 – Usability-Normen

Usability ist, wenn´s funktioniert. Doch wie lässt sich sicherstellen, dass eine Website oder eine Anwendung benutzerfreundlich angelegt wird? Oder wie prüft man eine bestehende Anwendung?

Dazu bieten Bücher wie die von mir verfasste „Website-Konzeption“ Hilfestellung. Aber es gibt auch einige Normen, Richtlinien und Verordnungen, die sich direkt oder mittelbar mit dem Thema Usability befassen. In den deutschen Normen ist dabei die Rede von „Gebrauchstauglichkeit“ – der technische Ausdruck für Benutzerfreundlichkeit.

Die Normen sind allgemein gehalten, damit sie über längere Zeit gelten und nicht so sehr von technischen Neuerungen abhängig sind. Sie geben aber nur Anhaltspunkte, worauf zu achten ist. Praktische Tipps zur Umsetzung oder Listen zum Abhaken finden Sie darin nicht.

Die meisten Normen sind sowohl auf Anwendungs-Software, Multimedia-Produktionen oder auf Websites anwendbar, auch wenn einige ursprünglich auf Bürosoftware abgestimmt sind.

Im Folgenden ein knapper Überblick über die wichtigsten Normen, Richtlinien und Verordnungen:

VDI-Richtlinie 5005
Software-Ergonomie in der Bürokommunikation

(ergänzt 3/2008: diese wurde 2006 vom VDI zurückgezogen; erhältlich ist sie aber noch und inhaltlich immer noch gültig.)

Die Richtlinie der Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) verlangt diese Eigenschaften von einer Anwendung:

Kompetenzförderlichkeit

Das System soll den Benutzer fördern und ihm erlauben, den Umgang mit ihm leicht zu erlernen. Sein erworbenes Wissen soll er auch auf neue Aufgaben, die er mit dem System erledigt, übertragen können.

Handlungsflexibilität

Aufgaben sollen sich auf mehreren Wegen erledigen lassen. Je nach Erfahrung des Benutzers sollte es unterschiedliche Möglichkeiten anbieten – z.B. einen sehr schnellen für erfahrene Nutzer und einen mit viel Hilfestellung für Neulinge. Auch sollte die Arbeitsweise mit dem System gleich bleiben, wenn sich die Aufgabe ändert.

Aufgabenangemessenheit

Die Aufgabe muss sich rein technisch mit dem System durchführen lassen. Das sollte schnell und ohne Probleme möglich sein.

DIN EN ISO 9241
Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten

Die mit Abstand wichtigste Norm für Websites ist die DIN EN ISO 9241. Sie besteht aus 17 Teilen, die, neben einer Einführung, Anforderungen an Tastaturen, Displays, die Arbeitsplatzgestaltung und die Arbeitsumgebung enthalten.

Teile 10 bis 17 beschäftigen sich mit den für Software- und Website-Entwicklung bedeutendsten Punkten. Sie beschreiben eine benutzerfreundliche Anwendung mit folgenden Eigenschaften:

der Aufgabe angemessen

Die Anwendung soll das leisten, was der Benutzer von ihr erwartet. Dabei soll sie ihn unterstützen und schnell zum Ziel führen. Die eingesetzte Technik soll für den Nutzungsfall angemessen sein.

selbst beschreibend

Die Anwendung soll dem Benutzer deutlich machen, wie er sein Ziel erreicht. Klare Navigation und verständliche Anweisungen bei jedem Schritt sind dazu Voraussetzung.

steuerbar

Der Benutzer soll die Anwendung steuern, nicht umgekehrt. Das heißt, dass Animationen abgebrochen und erneut gestartet werden können, es immer einen Weg zurück gibt und bei Ton die Lautstärke reguliert werden kann.

erwartungskonform

Die Anwendung soll den Benutzer nicht überraschen. Konsistenz innerhalb der Anwendung ist daher Pflicht, aber auch die Berücksichtigung weit verbreiteter Konventionen.

fehlertolerant

Das System soll mit falschen Benutzereingaben umgehen können und bei Fehlern klare Rückmeldung geben. Der Korrekturaufwand für den Benutzer soll minimal sein.

individualisierbar

Der Benutzer soll die Möglichkeit haben, die Anwendung an sein Vorwissen bzw. an seine Vorlieben anzupassen. Üblicherweise wird das mit „Personalisierbarkeit“ bezeichnet, z.B. indem eine Website die Voreinstellungen bzw. Angaben des Benutzers speichert, so dass er sie beim nächsten Besuch nicht erneut eingeben muss.

lernförderlich

Die Anwendung soll den Benutzer dabei unterstützen, den Umgang mit ihr schrittweise zu erlernen.

Die Norm gibt keine konkrete Anleitung, wie die Gebrauchstauglichkeit geprüft werden kann. Deshalb hat die DATech (Deutsche Akkreditierungsstelle Technik e.V.) ein Handbuch dazu erstellt: das „DATech-Prüfhandbuch Gebrauchstauglichkeit – Leitfaden für die software-ergonomische Evaluierung von Software-Erzeugnissen auf der Grundlage von DIN EN ISO 9241, Teile 10 und 11“. Diese ist jedoch extrem umfangreich und für nicht-Geschulte kaum zu verwenden. Hilfestellung für alle, die nicht zu Experten werden möchten, gibt die Site von IBM. (Links am Ende des Newsletters)

Man kann die Gebrauchstauglichkeit von Anwendungen durch von DATech akkreditierte Prüflabors zertifizieren lassen, wovon bisher aber noch sehr wenige Unternehmen Gebrauch gemacht haben (v.a. öffentliche Verwaltung, Banken, Versicherungen).

DIN 66234
Bildschirmarbeitsplätze, Grundsätze ergonomischer Dialoggestaltung

Die DIN 66234 wurde eingearbeitet in die gerade beschriebene DIN EN ISO 9241 und ist daher nicht mehr relevant.

ISO 14915
Software-Ergonomie für Multimedia-Benutzungschnittstellen

Hierbei wird besonders eingegangen auf die Eigenheiten von Multimedia – also etwa die Besonderheiten beim Umgang mit Animationen, Film und Ton, was bei den Normen, die sich auf Büro-Software beziehen, naturgemäß nicht vorkommt. Es finden sich Gestaltungsgrundsätze, Rahmenbedingungen und Empfehlungen zur Kombination von Medien, zur Steuerung/Navigation und zur Gestaltung.

DIN EN ISO 13407
Benutzerorientierte Gestaltung interaktiver Systeme

Diese Norm beschreibt, wie Software entwickelt werden sollte. Kernpunkt dabei ist die Beteiligung der zukünftigen Nutzer. Deren Erwartungen und Ziele müssen von Anfang an berücksichtigt werden, um ein benutzerfreundliches System erstellen zu können.

Die Sicherung der Benutzerfreundlichkeit bei der Softwareproduktion wird oft als „Usability-Engineering“ bezeichnet.

Die Entwicklung soll „iterativ“ sein, das heißt, sie soll mehrere Zyklen von Test/Beurteilung und Verbesserung des Systems umfassen.

Wie das genau realisiert wird, dazu macht die Norm keine Angaben. Das kann von einer einfachen Befragung weniger potenzieller Benutzer bis zu ausführlichen Usability-Tests mit Prototypen reichen.

ISO/IEC 9126
Software Engineering – Product Quality

Diese Norm legt Kriterien für die Messung von Softwarequalität fest. Softwarequalität definiert sie als die Eignung, die Aufgaben zu erfüllen, für die sie erstellt wurde.

Die Qualitätskriterien sind:

Funktionalität

Die Anwendung muss technisch die Aufgaben angemessen und richtig erledigen.

Zuverlässigkeit

Es sollen keine technischen Fehler auftreten, Benutzungsfehler sollen toleriert werden und leicht korrigierbar sein.

Verwendbarkeit

Das System soll leicht verständlich und erlernbar sein

Effizienz

Die Aufgaben sollen angemessen schnell und mit möglichst wenig Verbrauch von Rechenzeit und Speicherplatz durchgeführt werden.

Pflegbarkeit

Die Anwendung muss gut dokumentiert sein, im Ablauf leicht nachvollziehbar sein und sich problemlos ändern lassen.

Portierbarkeit

Es soll möglich sein, das System an andere Gegebenheiten anzupassen und es gegebenenfalls auch zu ersetzen.

DIN ISO/IEC 12119
Softwareerzeugnisse – Qualitätsanforderungen und Prüfbestimmungen

Diese Norm beschreibt Kriterien  zur Softwarequalität, die vor allem Produktbeschreibung, Dokumentation und Prüfverfahren betreffen. Sie bezieht sich auf Software, die ausgeliefert bzw. verkauft wird und ist für Websites weniger wichtig.

ISO 9000 und 9001

Diese bekannten Normen für Qualitätsmanagement sind für Software und insbesondere Websites nicht besonders relevant (das meint auch DATech – Deutsche Akkreditierungsstelle Technik e.V.). Sie beschreiben Vorgehensweisen für Organisationen, die durch eine Strukturierung ihrer Arbeitsprozesse die Qualität ihrer Produkte oder Dienstleistungen sicherstellen wollen.

Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)
Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen

Dieses verpflichtet alle Behörden, barrierefreie Anwendungen für Mitarbeiter und Bürger einzusetzen. Dadurch soll Menschen mit Behinderungen der Zugang zu und die Arbeit bei öffentlichen Stellen ermöglicht werden. (Link am Ende des Newsletters)

Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV)
Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz

Damit wird das Behindertengleichstellungsgesetz für die Internetangebote der staatlichen Behörden umgesetzt.

Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV)
Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten

Die Bildschirmarbeitsverordnung regelt hauptsächlich die Gestaltung eines Bildschirmarbeitsplatzes, weniger die von Anwendungen. Sie soll Arbeitnehmer vor Gesundheitsgefahren bei der Arbeit am Bildschirm schützen.

Allerdings finden sich auch hier Vorgaben für die Usability. Diese entsprechen weitgehend denen der DIN EN ISO 9241. Hinzu kommt allerdings die Vorschrift, dass ohne das Wissen der Benutzer keine Daten erhoben werden dürfen, die zu seiner Kontrolle dienen.

Die Verordnung ist anders als die Normen verpflichtend einzuhalten. Sie betrifft Arbeitgeber, die ihren Angestellten Software zur Verfügung zu stellen müssen, die diese Anforderungen erfüllt.

Industrie-Standards und Firmen-Richtlinien

Viele große Softwarehersteller haben eigene Richtlinien zur Usability aufgestellt. Diese sind sehr umfangreich, aber nah an der Praxis orientiert. Daher lohnt es, sich diese näher anzusehen.

Zwar haben die Betriebsystemen von Apple oder Microsoft sicher noch einige Usability-Schwächen, doch wurde keine andere Software so intensiv getestet, verwendet und im Laufe der Jahre verbessert wie Mac OS und Windows. Die Erkenntnisse daraus sind in diese Industrie-Standards bzw. -Richtlinien eingegangen, was sie so nützlich macht. (Links siehe Ende des Newsletters)

Fazit

Die erwähnten Normen und Richtlinien sind eine Orientierungshilfe für die Konzeption benutzerfreundlicher Websites und anderer Anwendungen. Sie geben sinnvolle Anregungen und sind daher eine lohnende, wenngleich etwas trockene Lektüre.

Insbesondere die Normen sind allerdings weder Checklisten, die Sie abarbeiten können, noch enthalten sie Punkte, die einem Informations-Architekten oder Designer mit etwas Erfahrung neu sein dürften.

Diese Normen und Richtlinien versuchen nur, eine Struktur für die Erstellung und Beurteilung benutzerfreundlicher Anwendungen zu schaffen. Somit können sie Ihnen helfen, Ihre eigenen Kriterienkataloge zu erstellen, außerdem eine breit akzeptierte Grundlage für die Beurteilung von Usability zu schaffen, und Zweifler an der Wichtigkeit von Usability zu überzeugen.

Müssen Sie weder fremde Systeme beurteilen, noch andere von der Bedeutung der Usability überzeugen, brauchen Sie sich nicht weiter um die Normen zu kümmern. Berücksichtigen Sie nur den wichtigsten Grundsatz der benutzerfreun.de, dann erfüllen Sie diese Normen und Richtlinien fast immer: „Konzipieren Sie stets für die zukünftigen Benutzer, für deren Bedürfnisse und Erwartungen.“

Links

http://www.beuth.de
Beuth-Verlag, bei dem die Normen und viele Richtlinien bestellt werden können. Diese sind jedoch recht teuer (zwischen 50 und über hundert Euro pro Norm-Teil). Frei zugänglich im Internet finden sich die Texte nicht.

http://www.datech.de/share/files/01-2002_Handbuch_Gebrauchstauglichkeit_V3.2.pdf
Das Handbuch Software-Gebrauchstauglichkeit der DATech als pdf (728 KB)

http://www-5.ibm.com/de/kn/tu/tu_info9_usability.html
Tipps zum Testen der Gebrauchstauglichkeit von Software bei IBM

http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/bildscharbv
Bildschirmarbeitsverordnung

http://www.behindertenbeauftragter.de/gesetzgebung/behindertengleichstellungsgesetz/gesetzestext
Behindertengleichstellungsgesetz

https://www.benutzerfreun.de/newsletter/2003_01_Barrierefreie_Sites.html
Informationen zur barrierenfreien Gestaltung von Websites bei benutzerfreun.de

http://developer.apple.com/documentation/UserExperience/Conceptual/OSXHIGuidelines/index.html
Die Apple Human Interface Guidelines

http://www.ibm.com/easy
Sehr umfangreiche Infos zur Usability bei IBM

http://msdn.microsoft.com/library/default.asp?url=/library/en-us/dnwue/html/welcome.asp
Official Guidelines for User Interface Developers and Designers bei Microsoft

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(c) Jens Jacobsen 2004

Bei Weiterleitung oder Zitat bitte Quellenangabe („Quelle:
benutzerfreun.de-Newsletter September 2004“).

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