Newsletter 07/2003 – Alternativen zu Usability-Tests

Im letzten Newsletter (6/2003) ging es um Usability-Tests, heute geht es um Alternativen dazu. Eine davon wurde bereits im vorletzten Newsletter (5/2003) vorgestellt: der Usability-Review. Das ist die Expertenbeurteilung einer Site hinsichtlich ihrer Benutzerfreundlichkeit.

Wie alle Alternativen ist das lediglich ein Ersatz für echte Usability-Tests – soviel vorweg. Testen Sie lieber ganz einfach mit wenigen Personen als überhaupt nicht. Im Folgenden werden die Methoden vorgestellt, die zusätzlich zu Usability-Tests sinnvoll sind oder manchmal als scheinbar günstiger Ersatz für diese angeboten werden. Doch sparen Sie nicht an der falschen Stelle. Je besser die Usability einer Site, desto größer die Akzeptanz der Nutzer und damit ihr Erfolg.

Online Usability-Tests

Üblicherweise sitzen Testperson und Betreuer bei einem Usability-Test im selben Raum. Doch manchmal werden die Tests auch online durchgeführt.

Die Testperson ist dann am eigenen Schreibtisch und über eine Breitband-Internetverbindung sowie per Telefon mit dem Betreuer verbunden. Das ist technisch recht aufwändig, daher wird die Methode selten angewandt. Die Verbindung lässt sich über spezielle Dienstleister wie Webex.com herstellen. Dadurch ist es möglich mitzuverfolgen, was der Benutzer auf seinem Bildschirm macht. Das lässt sich auch aufzeichnen, ganz wie bei einem normalen Usability-Test. Es gibt aber einige Nachteile:

  • Umgebung ist nicht kontrollierbar (Ablenkung der Testperson)

  • Gesichtsausdruck, Haltung, Gesten sind nicht (oder mit Videokonferenztools nur eingeschränkt) zu beobachten

  • Gefahr von Missverständnissen ist größer

  • Online-Kosten fallen bei der Testperson an

  • sie muss die Verbindung zum Server herstellen

  • Breitbandzugang bei der Testperson nötig

Vorteil ist, dass keine Reisekosten entstehen (der Service für die gemeinsame Verbindung ist aber auch nicht gerade günstig). Außerdem lässt sich die Zeitplanung für Testperson und Betreuer wesentlich flexibler gestalten.

Evaluation/Benutzerbefragung

Bei der so genannten Evaluation oder Benutzerbefragung werden die Benutzer, nachdem sie mit der Anwendung gearbeitet haben, interviewt, oder es wird ihnen ein Fragebogen vorgelegt. Dabei treten folgende Probleme auf:

  • Befragungen nach dem Test können keine Usability-Tests ersetzen, bei denen ein Betreuer neben der Versuchsperson sitzt. Er kann nach Dingen fragen, die der Testperson selbst gar nicht bewusst sind und auch Mimik und Gestik beobachten.

  • Viele kleinere Probleme vergisst man schnell wieder – sie tauchen so nicht auf dem Fragebogen auf.

  • Jeder fühlt sozialen Druck. Die meisten Menschen füllen Fragebögen tendenziell zu positiv aus. Sie glauben, dass sich die Auftraggeber freuen, wenn das Testergebnis positiv ist. In anderen Situationen werden negative Bewertungen abgegeben, weil man meint, „Fehler“ finden zu müssen, oder weil man sich als besonders kritisch darstellen will.

Das alles passiert meist unbewusst. Daher sollten solche Interviews oder Fragebögen von erfahrenen Psychologen durchgeführt bzw. entworfen werden.

Online Panels

Manche Firmen bieten Tests über so genannte Online Panels an. Dabei greifen sie auf Testpersonen zurück, die sich via Internet zu Tests bereit erklärt haben und diese dann selbstständig online durchführen. Anschließend beurteilen sie die Site in einem Formular. Das Vorgehen scheint zunächst verlockend. Rekrutierung der Testpersonen, Durchführung der Tests und Auswertung online – sehr effizient, schnell und kostengünstig. Doch es gibt zwei schwerwiegende Nachteile:

  • Menschen, die sich bei Online Panels registrieren, sind meist solche mit überdurchschnittlichem Interesse an Computern und am Internet. Somit finden sie viele Probleme nicht, die weniger erfahrene Benutzer haben werden.

  • Es gelten dieselben Einschränkungen bei der Arbeit mit Fragebögen wie bei der Evaluation (siehe oben).

Fokusgruppen

Bei Fokusgruppen-Untersuchungen (Focus Groups) setzt man fünf bis zehn Personen zusammen und diskutiert mit ihnen die Erwartungen und Gefühle gegenüber der Marke, dem Produkt oder der Site. Damit lassen sich bewusste Erwartungen der potenziellen Benutzer herausfinden. Nicht herausfinden lässt sich, wie die Benutzer tatsächlich mit der Site umgehen werden. Deshalb sind Fokusgruppen-Untersuchungen im Rahmen von Webprojekten nur sinnvoll, wenn sie zu Beginn der Konzeption durchgeführt werden.

Virtueller Rundgang/Walkthrough

Bei einem Virtuellen Rundgang oder Walkthrough durch die Website testen mehrere Personen gleichzeitig. Dazu drucken Sie einzelne Seiten aus und legen sie einer Gruppe von (fünf bis acht) Testpersonen vor. Sie bitten diese aufzuschreiben, was sie von der jeweiligen Seite und ihren Funktionen erwarten und worauf sie klicken würden, um eine bestimmte Aufgabe zu lösen. Haben alle zu Ende geschrieben, können Sie gemeinsam über die Seite diskutieren. Das Vorgehen ähnelt einem Usability-Test im Trockenen.

Der größte Haken ist, dass Sie herausfinden, was die Benutzer glauben, was sie tun würden. Was sie tatsächlich tun merken Sie nur, wenn Sie einen Usability-Test durchführen.

Die Durchführung ist schnell (45 Minuten für alle Testpersonen), die Auswertung dauert dafür umso länger. Deshalb sollten auch nicht mehr als acht Personen teilnehmen.

Card Sorting

Mit dem so genannten Card Sorting testet man die geplante Struktur (Informations-Architektur) einer Site. Das heißt, diese Methode wird zu Beginn der Konzeptionsphase eingesetzt.

Es gibt zwei Anwendungen des Card Sorting:

–> Begriffe einordnen
Dabei werden alle Begriffe für die vorgesehenen Inhalte der Website jeweils auf eine eigene Karteikarte geschrieben. Der Stapel wird gemischt, und einem Benutzer bzw. einer kleinen Gruppe von Benutzern übergeben. Sie sollen die Karten in Kategorien gruppieren und für die Kategorien jeweils einen Überbegriff vorschlagen. Manchmal werden die Begriffe von den Benutzern jeweils auch mit einer Note für ihre Wichtigkeit versehen.

Wichtig ist bei dieser Anwendung des Card Sorting, keine Kategorienamen vorzusehen (wie „Über uns“ oder „Service“), denn damit wird bereits eine Struktur vorgegeben. Sinn der Übung ist aber, die Struktur zu finden, die den meisten Benutzern sinnvoll erscheint.

–> Struktur testen (Aufgaben stellen)
Eine andere Einsatzmöglichkeit ist, die bereits ausgearbeitete Struktur einer Site mit Karten nachzubilden. Jeder Menüeintrag kommt auf eine Karte, und alle Begriffe, die in einem gemeinsamen Untermenü sind, landen in einem Stapel, wobei der Oberbegriff ganz oben liegt. (z.B. „Über uns“ ganz oben, darunter „Angebotspalette“, „Geschichte“, „Mitarbeiter“, „Kontakt“ darunter).

Einem Benutzer wird nun eine Aufgabe gestellt (z.B. „Finden Sie die Telefonnummer der Kundenbetreuung!“), und er muss aus den Kartenstapeln den Begriff heraussuchen, unter dem er auch auf der Website suchen würde.

Schnelltests

Immer wenn Sie sich bei der Konzeption oder Produktion einzelner Seiten nicht sicher sind, ob sie von den Benutzern verstanden werden, machen Sie einen Schnelltest. (Seien Sie misstrauisch gegenüber Ihrer eigenen Arbeit!) Schnelltests sind die informellsten Tests. Drucken Sie die Seite aus oder skizzieren Sie sie auf Papier. Gehen Sie damit zur nächsten erreichbaren Person – ihrem Schreibtischnachbarn, einem Freund, wer immer gerade in der Nähe ist. Fragen Sie Ihr Testopfer, was es glaubt, dass die Seite machen soll. Falls es das nicht weiß, ändern Sie die Seite.

Dazu noch Zitat von Steve Krug:

Testen funktioniert immer. Selbst mit dem schlechtesten Test mit dem falschen Benutzer finden Sie etwas heraus, wodurch Sie Ihre Site besser machen können.

Lesen Sie das Buch Don´t make me think von Steve Krug, wenn Sie noch nicht hundertprozentig von der Notwendigkeit von Usability-Tests überzeugt sind, Genaueres über deren Ablauf wissen wollen oder noch Argumente brauchen, um Ihren Auftraggeber oder Chef zu überzeugen. Das Buch ist knapp, präzise und macht wirklich Spaß. Wenn Sie nur noch ein Buch zum Thema lesen, sollte es dieses sein.

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(c) Jens Jacobsen 2003

Bei Weiterleitung oder Zitat bitte Quellenangabe („Quelle:
benutzerfreun.de-Newsletter Juli 2003“).

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