Befragung: Lesende wollen gesiezt werden – Newsletter 7/2021

Sprache ist etwas, über das wird immer gern gestritten. Zwei aktuelle Streitthemen habe ich im letzten Newsletter aufgenommen: Duzen/Siezen und Gendern. Dazu gab es eine Abstimmung, wie hier im Newsletter und im Blog die Ansprache in Zukunft sein soll. Die Ergebnisse waren versprochen, und hier sind sie:

Zunächst ein dickes Dankeschön an alle, die mitgemacht haben! Insgesamt waren es 101 Personen. 55 Prozent haben sich als männlich, 43 Prozent als weiblich eingestuft. Divers gab eine Person an, eine Person wollte ihr Geschlecht nicht angeben.

Diagramm Teilnehmende Befragung
Bei den 101 Befragten waren Männer und Frauen annähernd gleich verteilt (55 zu 43 Prozent).

Klar entschieden: lieber Siezen

Fangen wir mit dem Einfachen an: Sie, die Sie den Newsletter abonniert haben oder den Blog lesen, werden weiter gesiezt.

Geduzt werden wollten 16 Prozent, gesiezt werden 23. Beides ist für 61 Prozent in Ordnung – damit ist die Lage klar: Sie werden weiter gesiezt. Das ist übrigens auch die Entscheidung, welche die Buch-Verlage getroffen haben, mit denen ich arbeite: In den Fachbüchern wird weiter gesiezt, das erscheint meinem Lektor zufolge den Lesern professioneller.

Diagramm Befragung Duzen oder Siezen
In Summe haben 85 Teilnehmende (84 Prozent) kein Problem damit, gesiezt zu werden.

Die blanken Zahlen sind interessant, noch interessanter sind die Kommentare, die Sie als Teilnehmende an der Befragung gemacht haben. Zum Thema Siezen/Duzen waren es 5.

Eine Kollegin schrieb, sie duzt seit Jahren auf ihrer Website und hätte keine schlechten Erfahrungen damit gemacht.

Der Schuh-Hersteller Josef Seibel duzt seit Mai ebenfalls auf seiner Website, wie ein Teilnehmer anmerkte.

Ein Hochschullehrer meinte, er würde das Hamburger Sie (Siezen & Vorname) im Umgang mit den Studierenden verwenden.

Eine Leserin empfahl: „Ich denke, man kann auch in sich selbst reinhorchen. Will ich meine Kunden duzen und möchte ich von ihnen geduzt werden?“

Und schließlich noch ein letzter Kommentar:

Seit über 25 Jahren arbeite ich in einer kommunalen Behörde in der IT. Im Unterschied zum Anfang meines Berufslebens wird zunehmend […] das Du ‚flächendeckend‘ genutzt. Das empfinde ich zum Teil als ‚Zwangs-Duzen‘. Meiner Meinung nach wird dadurch die Unterscheidung zwischen Duzen und Siezen aufgehoben und auf diese sprachliche Möglichkeit, die Vertrautheit einer Beziehung auszudrücken, verzichtet. Das finde ich schade!

Umstritten: Richtig Gendern

Jetzt also zum noch spannenderen Thema: dem Gendern. 25 der 35 Kommentare zur Umfrage bezogen sich auf dieses Thema.

Der Begriff gendern

Eine Klärung muss ich noch nachreichen: Das Wort „gendern“ kommt vom englischen „gender“, was das soziale Geschlecht ist. Es geht also gerade nicht ums biologische Geschlecht (englisch “sex”). Und im Deutschen wird “gendern” vor allem gebraucht, um die geschlechtergerechte Sprache zu beschreiben.

Ein Kommentar hatte mich bereits überzeugt: Darin hieß es, “gendern” würde man immer, auch wenn man z.B. nur die männliche Form verwendet. Das leuchtet mir ein, das ist wie mit der Usability: Es gibt immer eine, nur kann sie eben nicht so gut sein. Mit dem Gendern sieht das der Duden aber z.B. anders. Im Duden-Handbuch 2020 steht:

Wir verwenden den Ausdruck gendern gleichbedeutend mit ‚Sprache geschlechtergerecht gestalten‘.

Ob das sinnvoll oder gar formal korrekt ist, sei dahingestellt. Ich persönlich finde es aber gut, in diesem unübersichtlichen Gebiet eine Orientierungshilfe von Menschen zu haben, die sich intensiv mit Sprache beschäftigen. Daher folge ich dem gern.

Umfrageergebnisse

Einen klaren Gewinner gibt es nicht bei der Frage, wie Sie gern angesprochen werden möchten: 34 Prozent der Befragten möchten Konzipierende genannt werden, ebenso viele Konzepter:innen. 19 Prozent bevorzugen die männliche Form – fragt man nur diejenigen, die sich nicht als männlich eingestuft haben, sind es lediglich 11 Prozent.

Diagramm Befragung bevorzugte Ansprache gendern
Bei den männlichen Befragten ist Konzipierende der klare Gewinner, bei allen anderen Konzepter:innen. Zwei Befragte meinten, sie würden eher von “Konzeptioner:innen” sprechen, nicht von “Konzepter:innen”.

Addiert man alle Schreibweisen, die eine Art von Hervorhebung nutzen, dann kommt man auf 48 Prozent der Befragten, die sich eine solche wünschen (also KonzepterInnen, Konzepter*innen, Konzepter:innen und Konzepter(innen)).

Und wie wichtig ist den Menschen das Thema? 51 Prozent der Befragten ist es mehr oder weniger wichtig, 28 Prozent ist es mehr oder weniger unwichtig. Hinzu kommen 21 Prozent Indifferente.

Diagramm Befragung Wichtigkeit Gendern
Fast einem Drittel ist das Thema Gendern nicht so wichtig.

Goldgrube Kommentare

Sehr spannend waren für mich auch die vielen Kommentare zu dieser Frage. Erstmal ein großes Lob an alle, die mitgemacht haben: Ich bin hoch erfreut über das Niveau, auf dem dieses strittige Thema diskutiert wird.

Ich habe alle sorgfältig durchgelesen und empfand alle als hilfreich. Eine kleine Auswahl:

3 Befragte meinten, der Lesefluss sollte nicht leiden unter dem Gendern.

2 Männer meinten, ich hätte mich zu weit aus dem Fenster gelehnt:

Eine Aussage Ihres Artikels ist sehr zweifelhaft: ‚Ich vermute, dass man mit dieser Meinung bald ziemlich alleine steht.‘ Laut einer aktuellen Umfrage lehnen 65 % der Deutschen die Gendersprache ab. Bei der vorletzten Umfrage waren es noch 59 %. Leider habe ich die Quelle nicht mehr parat.

Diese Umfrage habe ich recherchiert, die Welt am Sonntag hat sie bei infratest in Auftrag gegeben. Dabei wurden 1.198 Personen befragt. Mehr Infos dazu hier: Weiter Vorbehalte gegen gendergerechte Sprache.

Wissenschaftliche Studien gibt es nach wie vor leider nicht viele. Eine ältere, aber sehr interessante, habe ich noch gefunden: Der Einfluss generisch maskuliner und alternativer Personenbezeichnungen auf die kognitive Verarbeitung von Texten. Darin kommen die Autorinnen zum Schluss, dass vor allem Männer meinen, gegenderte Texte seien schlechter verständlich – die Texte aber dennoch genauso gut verstehen wie nicht-gegenderte. Ja, das ist nur eine Studie, aber genauso ist die oben zitierte Umfrage der Welt nur eine Umfrage.

Noch ein kritischer Kommentar:

Es gibt durchaus Bereiche, wo man explizit betonen will, dass Frauen ebenfalls gemeint sind, z.B. ‚Professorinnen‘ oder ‚Stimmbürgerinnen‘. Denn das gab es vor nicht allzu langer Zeit nicht. Ich finde jedoch die Anrede ‚Frau Professor Müller‘ durchaus stimmig und sprachlich besser als ‚Frau Professorin Müller‘. Was mich an der Gendersprache stört, ist die Zerstörung des bisherigen Sprachgefühls. Z.B: ‚Die Schweiz hat 7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner.‘ Also zusammen 14 Millionen? Und warum werden die Kinder nicht explizit erwähnt? Und die Zwitter etc.?

Und abschließend stellvertretend für viele weitere differenzierte Meinungen:

Ich finde Sprechpausen im Gehörten immer noch merkwürdig und kranke im Geschriebenen daran, dass es oft grammatikalisch inkorrekt für die männliche Form ist – ‚Wir reden von Konzepter:innen‘, da fehlt das ’n‘ für ‚wir reden von Konzeptern‘. Vor 3 Jahren fand ich Gendern übrigens umständlich und überflüssig. Die Kommunikationskollegen in meinem alten Unternehmen hatten gute Argumente (wenn man fragt ‚Wer wird Bundeskanzler‘, kommen nur Männernamen – ‚Wer wird Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler‘ ergibt Frauen- und Männernamen), und nach einem Projekt an der Uni mit ‚Studierenden‘ fand ich auch Partizipien normal. Hingegen: NDR Info (kein Medium für SEHR Junge) macht jetzt Sprechpausen, ich finde es auch nach mehreren Wochen noch merkwürdig.

Und was mache ich jetzt?

Für mich persönlich ist das Thema für die nächsten Monate, vielleicht Jahre, abgeschlossen: Ich sieze weiter und werde bei den Texten darauf achten, geschlechtsneutrale Formulierungen zu verwenden. Fällt mir keine ein, nutze ich den Doppelpunkt. Damit komme ich der größten Summe von Befragten entgegen und ich persönlich finde die Lösung auch in Ordnung.

Meine Befragung war nicht repräsentativ, und von den über 2.000 Menschen, die den Newsletter bekommen, haben nur 5 Prozent teilgenommen. Ich persönlich finde den Anteil aber ganz ordentlich und mir genügt das als Orientierung.

Wenn Sie selbst für Ihre Site, Ihren Newsletter und Ihre Kommunikation generell festlegen wollen, wie Sie Ihre Zuhörerschaft ansprechen, dann sehen Sie sich an, wie andere in Ihrem Umfeld das tun. Und beherzigen Sie den Kommentar einer Teilnehmerin, den ich hier zum Abschluss nochmal bringe:

Ich denke, man kann auch in sich selbst reinhorchen.

Ich freue mich über weitere Kommentare im Blog – weitere Beiträge dort oder im Newsletter zu diesem Thema wird es aber in nächster Zeit nicht geben, so spannend das Thema bleibt.

4 Gedanken zu „Befragung: Lesende wollen gesiezt werden – Newsletter 7/2021“

  1. Lieber Jens (ich bin eine Freundin des Dutzens 😉 )

    das ist eine sehr interessante Umfrage.
    Du schreibst dass du bei den Texten darauf achten wirst, geschlechtsneutrale Formulierungen zu verwenden. Mir ist aufgefallen dass alle deine Vorlagen, die du zum Download anbietest nicht „gegenderd“ sind. Liegt das daran dass die Vorlagen noch aus einer Zeit stammen wo du noch nicht darauf geachtet hast?
    liebe Grüße
    Mady

    Antworten
    • Hi Mady,
      ja, genau so ist es: die Vorlagen sind alle schon älter und ich werde sie nach und nach anpassen, wenn ich sie sowieso überarbeite. Das kann sich aber noch etwas hinziehen, da die Vorlagen und das Blog neben der eigentlichen bezahlten Arbeit gepflegt werden müssen. Und die alten Blogbeiträge werde ich nicht ändern – die reichen ja bis ins Jahr 2002 zurück…
      Liebe Grüße, Jens

      Antworten
  2. Lieber Jens,

    vielen Dank für die interessanten Einblicke in das Thema. Allerdings kann das Gendern deiner Domain benutzerfreun.de eine echte Herausforderung werden 😉

    Viele Grüße
    Sofian

    Antworten

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