Newsletter 03/2012 – Warum wir kaufen, was wir kaufen

Im letzten Newsletter ging es darum, dass wir Produkte kaufen, die viel mehr Funktionen haben, als wir jemals brauchen (Newsletter 02/2012 – Mehr ist mehr). Aber warum tun wir das? Ein Erklärungsansatz neben der dort erwähnten Verlustaversion ist, dass wir mit Produkten, die sehr kompliziert wirken, anderen Menschen etwas signalisieren:

  • Wir zeigen, dass wir uns ein teures Produkt leisten können – denn jeder weiß, dass komplex aussehende Produkte teurer sind.
  • Wir zeigen außerdem, dass wir so schlau sind, mit solch einem komplexen Produkt umgehen zu können – auch wenn das nicht einmal in jedem Fall stimmt (siehe Fernbedienungen, deren ganze Funktionen kaum jemand kennt).

Wem diese Argumentation zu einfach scheint, dem empfehle ich das Buch „Spent“ von Geoffrey Miller. Und allen anderen auch. Das Buch hat mich beeindruck wie lange keines mehr. Auch wenn Miller manchmal für mein Gefühl etwas zu wenig differenziert – seine Argumentation ist immer nachvollziehbar. So öffnet er dem Leser die Augen für viele scheinbar irrationalen Verhaltensweisen von uns Menschen in der modernen Welt.

Ohne Evolution ist alles nichts

Den Spruch des Evolutionsbiologen Theodosius Dobzhansky, „Nothing makes sense except in the light of evolution“ zitiert Miller nicht. Er baut aber genau darauf auf. Miller führt unser Verhalten konsequent zurück auf die Evolution des Menschen. Das hat nichts zu tun mit schlecht einparkenden Frauen oder nicht zuhörenden Männern, sondern bewegt sich durchgehend auf hohem naturwissenschaftlichen Niveau.

Handicap als Vorteil

Eine wichtige Theorie, die Miller bemüht, ist die Handicap-Theorie. Ein Pfau mit großem Schwanz hat einen gravierenden Nachteil im „Kampf ums Dasein“: Der Schwanz stört beim Laufen, vor allem aber beim Fliegen – und beim Fliehen. Je größer der Pfauenschwanz, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er gefressen wird.
Nun liegt es nahe, zu argumentieren: Der Pfau hat den aufwändigen Schwanz, obwohl er ihn behindert. Die Pfauenfrauen stehen einfach auf bunte, große Schwänze. Doch dann bleibt die Frage: Warum finden die Pfauenfrauen das so attraktiv?

Pfau von hinten
So wird das nichts mit der Partnersuche.

Die Handicap-Theorie sagt: Eben weil der Schwanz den Pfauenmann behindert, finden die Frauen diesen attraktiv. Denn wenn sie einen Pfau treffen, der ein beeindruckendes Rad schlagen kann, zeigt das, dass er sehr kräftig und schnell sein muss, wenn er trotzdem bisher noch allen Fraßfeinden entkommen ist.

Der bunte Schwanz ist also ein Signal für gute Gene. Für die sexuelle Selektion ein eindeutiger Vorteil. Paaren sich Pfauenfrauen also bevorzugt mit den Pfauen, die ein beeindruckendes Rad schlagen, dann werden sich damit nicht nur die Pfauen besser fortpflanzen, die eben solche Räder schlagen, sondern mittelbar eben auch die, die eine Genausstattung mitbringen, die sie schneller und kräftiger macht als ihre Mitpfauen.
Bei Miller heißt diese Theorie der evolutionären Psychologie übrigens „costly signalling theory“ – frei übersetzt Theorie der teuren Signale (eine deutsche Übersetzung des Buchs gibt es bisher leider nicht).

Selbstvermarktung ist alles

Miller führt viele menschliche Verhaltensweisen auf vergleichbare Signal-Mechanismen zurück. Dabei bleibt es nicht ganz so einfach wie beim Pfau, vor allem weil der Mensch in einer komplexen Gemeinschaft lebt. Darin senden wir Signale nicht nur an potenzielle Partner, mit denen wir Nachwuchs zeugen könnten. Es geht auch darum, Menschen Dinge zu zeigen, die uns wichtig sind. So können wir Gleichgesinnte erkennen. Es geht zum Beispiel um Signale für Offenheit, um Signale für Zuverlässigkeit oder um Signale für Intelligenz.

Spannend wird es vor allem, weil Miller mit dieser Theorie gut erklären kann, warum unsere Kaufentscheidungen teilweise scheinbar vollkommen irrational sind. Warum kauft jemand ein Auto wie den Geländewagen Hummer, der extrem teuer und hässlich ist, in kaum eine Parklücke passt, viel zu viel Benzin verbraucht und noch dazu häufig Pannen hat? So ein Auto wird gekauft, weil es extrem teuer ist. Seine Hässlichkeit macht ihn auffällig, und so erfüllt er seine Aufgabe als Signal hervorragend.

Aber man muss nicht ganz so extreme Beispiele nehmen: Warum kauft man etwa einen Oberklasse-PKW, der deutlich teurer ist als ein Mittelklassewagen, der den gleichen Zweck erfüllt? Nicht weil er weniger Benzin verbraucht – er verbraucht mehr. Nicht weil er sicherer ist. Vielleicht weil man ihn „schöner“ findet. Oder „wertiger“. Aber warum findet man ihn schöner? Miller meint: weil man damit signalisiert, dass man ihn sich leisten kann. Und mit einem Geländewagen oder einem lauten, schnitten Sportwagen signalisiert man noch dazu, dass man aggressiv und draufgängerisch ist – was evolutionär schon immer ein Vorteil bei der Partnerwahl war.
Will man dann nach erfolgreicher Partnerwahl signalisieren, dass man sich verantwortungsvoll um seinen Nachwuchs kümmern wird, ist es Zeit für den Kombi.
Das alles ist hier stark verkürzt, und ich kann das nicht so gut erklären wie Miller. Aber einmal über die Argumente nachzudenken, lohnt sich für jeden, finde ich. Auch wenn seine Argumente nicht alle neu sind: So gut auf den Punkt gebracht habe ich das noch nie gelesen.

Verbesserungsvorschläge für die Gesellschaft

Mit Sozialdarwinismus hat Miller übrigens nichts am Hut. Er träumt von einer besseren Gesellschaft, in der Statussymbole weniger wichtig sind. Er macht teilweise süße Vorschläge, wie man mit Second-Hand-Produkten glücklich wird oder seine Besitztümer entrümpelt. Wer die aber naiv nennt, der macht es sich meiner Meinung nach zu einfach. Denn dran ist an allen seinen Ideen etwas.

Übrigens kommen auf der anderen Seite weder Marx noch Buddha, Gandhi oder Marcuse bei Miller gut weg. Er ist Kapitalist und verteidigt „den Markt“. Nur möchte er uns die Augen öffnen dafür, welchen Gesetzen unser Konsumverhalten folgt. Und das ist auch der Punkt, an dem jeder viel lernen kann, der sich selbst, sein Unternehmen oder seine Produkte bekannt machen bzw. verkaufen will.

Gamifikation – virtuelle Pfauenfedern

Wer sich am häufigsten bei einem Ort anmeldet, wird bei Foursquare dessen Mayor (Bürgermeister).
Wer sich am häufigsten bei einem Ort anmeldet, wird bei Foursquare dessen Mayor (Bürgermeister) und bekommt eine virtuelle Krone.

Ein Aspekt, der bei Miller nicht vorkommt, den ich aber auch interessant finde: Die Badges, die man bei Anwendungen wie Foursquare bekommt, sind nichts als virtuelle Pfauenfedern. Alle diese schönen Auszeichnungen sind eigentlich nichts wert – der Ansatz von Spielen, daher spricht man von Gamifikation.

Genauso wenig sind hübsche Avatar-Bilder wert, die man sich bastelt oder kauft. Noch extremer sind die Avatare, die man bei Second Life verwendet (ja, das gibt es noch). Sie dienen ausschließlich dazu, den anderen Nutzern einen Eindruck von sich selbst zu vermitteln. Dabei muss dieser Eindruck nichts mit seiner tatsächlichen Gestalt zu tun haben.

Auch die Profilbilder auf Facebook oder Xing gehören zu diesen Signalen. Wer sich mit Anzug und Krawatte darstellt, sendet andere Signale als jemand, der auf dem Foto im T-Shirt im Sessel fläzt.

Alle diese Signale haben keine direkten Nutzen, sie signalisieren aber etwas. Mit ihnen sagen wir etwas darüber, was uns wichtig ist, welche Orte/Produkte etc. wir gerne mögen.

Was denken Sie? Welche Signale finden Sie nützlich, welche störend?

Links

Geoffrey Miller: Spent. Sex, Evolution and Consumer Behavior > bei Amazon

6 Gedanken zu „Newsletter 03/2012 – Warum wir kaufen, was wir kaufen“

  1. Hmm! Ausgerechnet mit dem Hummer willst du mich überzeugen… Dieses Signal finde ich ja extrem störend. Was den Pfau betrifft: Konrad Lorenz hat einen ähnlichen Fall, die Schwingen des Argusfasans, als Irrweg der Evolution gedeutet. Es kann also auch sein, dass die Pfauendamen mit ihrer Vorliebe für große Räder einfach eine rein zufällige und sinnlose Sackgasse der Evolution beschritten haben. Andererseits empfinden ja auch wir die Pfauenräder als schön. Das Ästhetische scheint einen Wert an sich darzustellen, der neben allem Nützlichen existiert und ganz direkt die Lebensqualität verbessert, einfach durch Wahrnehmung der Reize. Wenn man dem unbedingt einen evolutionären Sinn unterlegen will, liegt der vielleicht darin, dass Ästhetik auf spielerische Weise die Sinnesorgane schärft.

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    • Der Herr Lorenz ist nun nicht mehr nicht ganz aktuellster Stand der Forschung, würde ich sagen. Wo du aber natürlich Recht hast ist, dass man bei aktuell bestehenden Merkmalen nie sagen kann, ob sie eine evolutionäre Sackgasse sind – das stellt sich erst im Lauf der Jahrhunderttausende heraus.
      Was ich aber eben gerade so überzeugend fand ist Millers Ansatz, warum wir manche Dinge ästhetisch finden: Sie lassen eine Aussage über die evolutionäre Fitness zu.

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  2. Die Deutung von Miller findet sich, wie ich gestern im Radio gehört habe, auch schon bei Darwin selbst, ist also auch nicht ganz neu. Ich bleibe skeptisch. Um Signale wie die des Hummers zu erklären, muss man nicht gleich die biologische Evolution bemühen. Genau den gleichen Mechanismus gibt es doch in der Gesellschaft, in der Kultur: das Statussymbol halt. Man symbolisiert einen höheren Status, um genau den in der Gesellschaft zu erringen. Oft wird eine solche Investition von der Gesellschaft belohnt. Und dass ausgerechnet vergrößerte Autoscooter und Renntraktoren dafür herhalten müssen (die übrigens häufiger von Frauen als von Männern gefahren werden, m. W.), könnte einfach daran liegen, dass sie ihren Herstellern besonders viel Profit verschaffen und deshalb besonders stark und verführerisch beworben werden. Sie symbolisieren auch andere Dinge, nach denen viele Menschen (Frauen zumal) sich sehnen: Sicherheit, Unverwundbarkeit, Stärke, Autonomie, geschützte Privatheit auf öffentlichen Wegen…

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  3. @Jens J. Korff: Ja, Miller baut auf Darwin auf. Allerdings hat er viele eigene Experimente durchgeführt, die seine Thesen belegen. Was das Schöne an dem Buch ist, ist, wie er damit Dinge wie Statussymbole schlüssig erklären kann. Das ist also sozusagen eine Synthese aus Darwin, Psychologie und Soziologie.
    Der Knackpunkt ist, warum sind die Autos/Uhren/Whiskeys so teuer? Natürlich steckt ein Wert dahinter, natürlich werden sie stark beworben, aber ein wichtiger Aspekt ist: Sie müssen so teuer sein, damit sie als Statussymbol funktionieren.
    Schau‘ doch mal in das Buch rein, es lohnt sich!

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