Freud & Leid von Templates und Hompagebaukästen – Newsletter 4/2017

Ohne Website geht es schon lange nicht mehr, ob Großkonzern oder Tante-Emma-Laden. Und die Qualität im Web hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Sites großer wie kleiner Unternehmen machen zumindest die ganz groben Usability-Fehler nicht mehr und sie sehen großteils ordentlich aus.

Das war vor 15 Jahren anders, als die erste Auflage meines Buchs Website-Konzeption herauskam. Jetzt ist gerade vor wenigen Tagen die neueste Auflage erschienen, und verglichen mit der 1. Auflage hat sich viel getan. (Mehr zum Buch sowie eine Verlosung am Ende dieses Newsletters.)

Screenshot Websites um 2000
Um das Jahr 2000 sahen Websites so aus. Das waren durchaus gute Beispiele damals.

Freud von Vorlagen

Heute ist es viel einfacher, eine ästhetisch ansprechende Site zu erstellen. Sowohl für Profis wie auch für Laien. Neben der vielen Erfahrung, die wir alle gemacht haben ist ein Grund dafür, dass es viele ganz hervorragende Vorlagen (templates) gibt. Manche Webdesigner rümpfen jetzt die Nase. Vorlagen? Das ist was für Laien.

Da bin ich anderer Meinung. Vorlagen sind etwas für Leute, deren Kerngeschäft nicht auf  ihrer Website abläuft. Abhängig ist fast jedes Geschäft von der Website – wenn ich nicht weiß, wann Tante-Emma offen hat, gehe ich vielleicht gar nicht aus dem Haus, sondern bestelle beim Lieferservice des Supermarkts. Wenn die Website der Aktiengesellschaft mich nicht gut informiert, dann kaufe ich vielleicht die Aktien der Konkurrenz. Aber weder Aktien noch ein Kilo Zucker kaufe ich auf der jeweiligen Website. Eine solche Informationssite braucht nicht viel und es ist an sich gar nicht so schwierig, solch eine Site gut zu konzipieren, zu gestalten und umzusetzen.

Und Unternehmen, deren Website nur ein paar wichtige Informationen transportieren muss, wollen meist nicht viel Geld ausgeben für ihre Site. Daher beauftragen sie eine billige Agentur, den Neffen oder einen freiberuflichen Programmierer. Auch hier gibt es natürlich gute Website-Ersteller, aber auch sehr viele schlechte. Schlecht sind sie, weil sie sich entweder nicht die Mühe gemacht haben, zu lernen, wie man gute Sites erstellt. Oder weil sie ihr Geschäft machen, indem sie möglichst schnell möglichst viele Sites erstellen.

Bevor ich also jemanden beauftrage, der mir individuell eine schlechte Site baut, nutze ich lieber eine Vorlage, die mir unindividuell eine gute Site verschafft. Genauso kaufe ich mir lieber einen Stuhl aus Industrieproduktion, als dass ich ihn selbst aus Holz und Nägeln ohne Fachwissen zusammenzimmere.

Außerdem ganz wichtig: Man kann Individualität so schätzen, wie man will: Die Standards setzen nun einmal andere. Wie der Experte Jakob Nielsen so schön sagt:

Die meiste Zeit verbringen Ihre Nutzer auf anderen Sites.

Wenn man sich an Standards hält, dann hat man eine gute Chance, eine Website zu erstellen, die gut benutzbar ist – auch ohne viel Hintergrundwissen und ohne viele Nutzertests.

 

Screenshot Standard-Layout heutiger Websites
Das Blog NoVolume hat es mit dieser Grafik in der Bildmitte auf den Punkt gebracht – viele heutige Sites sind identisch aufgebaut: Horizontale Navigation, großes Foto, kurzer Text, drei Icons mit kurzen Texten darunter.

Leid von Templates

Mit der größte Nachteil von Vorlagen liegt auf der Hand: Sie sind dafür gemacht, mehrfach genutzt zu werden. Und so sehen die Sites, die mit demselben Template umgesetzt werden, auch unweigerlich alle ziemlich ähnlich aus. Und schlimmer noch, die Vorlagen sehen einander selbst schon recht ähnlich – denn es verkauft sich, was gut aussieht und was man eben gerade so hat.

Screenshot Vorlagen templates.com
Sites wie templates.com bieten tausende von professionellen Vorlagen. Alles professionell, aber alles austauschbar.

Allerdings: Dieses Problem betrifft keineswegs nur Templates, im Gegenteil. Auch Websites, die in einem langwierigen Prozess konzipiert, gestaltet und liebevoll von Hand gecodet werden, sehen heute meist austauschbar aus. Auch bei Unternehmen, bei denen Geld keine Rolle spielt. Entscheider wollen einfach eine „moderne Site“. Und die sieht dann eben so aus, wie Sites heute eben so aussehen. Etwas Mut wäre hier angebracht – aber den kann man auch bei der Template-Auswahl beweisen.

Den Mut bringen viele aber nicht auf. Denn wer andere Wege geht, der kann auch stolpern. Den ersten Eindruck der Besucher Ihrer Website, den bestimmt ganz klar eines: die Gestaltung. Eine Website, die schlecht aussieht, schreckt ab. Man kann damit natürlich auch kokettieren und Trash-Design zum Prinzip erklären. Das funktioniert aber nur für die wenigsten Sites und kaum auf Dauer.

Screenshot LingCars.com
Der Fiebertraum eines Web-Designers: lingscars.com. Und doch hat diese Site etwas. Und sie hebt sich ab vom Einerlei.

Die größte Gefahr beim Einsatz von Vorlagen

Die größte Gefahr, wenn Sie mit einem Template arbeiten, liegt aber aus meiner Sicht an ganz anderer Stelle: Vorlagen bringen eine riesige Zahl von Gestaltungsvarianten und technischen Möglichkeiten mit. Denn so verkaufen sich Vorlagen am besten. Vorlagen für eine Handvoll Dollar bieten heute Seiten mit riesigen Bildern, mit Gallerien, mit Bild-Slidern/Diashows, mit 50 Icons auf verschiedene Art und Weise animiert, Kontaktformulare, Karten, Textboxen in allen Größen und Farben, ja sogar ganze Shops.

Das ist wunderbar und sieht in den Vorlagen-Shops auch wunderbar aus. Man findet hier in kürzester Zeit einige Templates, die einem bestens gefallen und mehr mitbringen, als man jemals zu hoffen wagte. Das aber ist gerade das Problem.

Denn was ich in solchen Fällen häufig sehe: Man hat sich für die hervorragende Vorlage entschieden, installiert sie mit allen Demo-Inhalten und fängt dann an, die Blindtexte durch die eigenen zu ersetzen. Wenn Sie so etwas hören, sollten bei Ihnen alle Roten Lampen angehen. Was dann herauskommt, ist eine Site, die hervorragend geeignet ist, ein Template zu verkaufen. Nur eben enthält sie statt Blindtexten und Standardfotos Ihre Inhalte. Das widerspricht allem, was ich seit Jahren versuche, über Website-Konzeption zu vermitteln: Am Anfang stehen Sie als Sitebetreiber mit dem, was Sie erreichen wollen mit Ihrer Site. Dann kommt Ihre Zielgruppe. Dann legen Sie Inhalte und Funktionen fest. Und erst dann kommen Gestaltung und Programmierung. Die eben beschriebene Arbeit mit Vorlagen zäumt das Pferd von hinten auf – und dementsprechend schlimm ist auch das Erlebnis.

Vor einigen Jahren meldeten sich oft verzweifelte Site-Betreiber bei mir, die unglücklich waren mit ihrer Site, weil sie technisch nicht sauber lief oder weil sie unmöglich aussah. Heute melden sich fast nur noch Site-Betreiber, die eine wunderschöne Site haben, die technisch einwandfrei läuft – aber leider überhaupt nicht funktioniert. Und sie wissen nicht warum. Das liegt ganz einfach daran, dass solche Sites nur nach ästhetischen Gesichtspunkten gebaut werden, ohne einen Gedanken daran, welche Struktur, welche Inhalte oder Funktionen für sie Nutzer wichtig sind.

Ich habe in den letzten Jahren immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Templates, die man kauft, ästhetisch hervorragend aussehen. Aber wenn man die dann mit echten Nutzern im Usability-Labor testet, stellt man fest: Sie funktionieren nicht. Denn die Besucher der Site bekommen ihre Fragen nicht beantwortet. Sie fühlen sich nicht ernstgenommen – es geht doch eigentlich um sie. Sie interessieren sich im Grunde wenig für den Betreiber der Site, sie interessieren sich vor allem dafür, ihre eigenen Probleme zu lösen. Und dabei helfen ihnen schöne Fotos von irgendwelchen Menschen nicht, keine toll animierten Icons, keine wundervoll gestalteten Texte – so ästhetisch as alles auch ist.

Und was ist mit Homepage-Baukästen?

Bei Template rümpfen viele Profis die Nase, bei Homepage-Baukästen lachen sie. Jahrelang haben sie das zu Recht getan. Aber inzwischen lässt sich mit diesen Diensten auch ganz ordentlich arbeiten – seien es die speziellen Dienste, die Website-Eistellung per Drag & Drop anbieten (wie Jimdo und Squarespace) oder seien es die Angebote der großen Hoster (wie 1&1 und Strato). Die Ergebnisse sind meist auch nicht schlechter als beim Einsatz von Vorlagen, wenn auch  noch ein bisschen weniger individuell. Und sie haben  die gleichen Vor- und Nachteile.

Homepage-Baukasten Strato
Mit wenigen Klicks die eigene Website zusammenklicken – das versprechen Homepage-Baukästen, hier bei Strato.

Die Goldene Regel beim Verwenden von Templates & Homepage-Baukästen

Es spricht nichts dagegen, eine Vorlage zu nutzen. Allerdings bringt Ihnen ein Website-Template lediglich die Grundlagen der Gestaltung und der Programmierung bzw. der Baukasten nimmt diese ihnen ab. Was  Ihnen das aber nicht bringt, ist Ihr Konzept. Das müssen Sie immer noch selbst machen (eventuell in Zusammenarbeit mit jemandem, der sich mit Website-Konzeption auskennt).

Berücksichtigen Sie daher die einzige wirklich elementare Regel bei der Arbeit mit Templates & Baukästen: Machen Sie sich erst ein Konzept für Ihre Site und setzen Sie dann Ihre Site mit Hilfe des Templates dem Konzept nach um. Sobald Sie anfangen, Bilder zu suchen oder Überschriften zu schreiben, weil die im Template gerade auf der aktuell betrachteten Seite stehen und da super aussehen, dann haben Sie einen Fehler gemacht. Sie haben das Kommando ans Template abgegeben. Das Kommando müssen aber Sie behalten, damit eine Site entsteht, die Ihren Zielen entspricht und Ihre Zielgruppe anspricht.

In jedem Fall nützlich: Buch zur Website-Konzeption

Cover Website-Konzeption Buch Jens Jacobsen
Seit ein paar Tagen erhältlich: Die neue Auflage des Buchs Website-Konzeption.

Für welche Technik Sie sich bei der Umsetzung auch entscheiden – die Grundlagen der Website-Konzeption sind bei der Planung jeder Site unentbehrlich.

Unter allen, die ihre eigenen Erfahrungen und ihre Meinung zum Thema Templates und Homepagebaukästen im Blog, auf Twitter oder Facebook beisteuern,  verlose ich drei Mal die Neuauflage des Buchs Website-Konzeption – druckfrisch.

Diese ist vor wenigen Tagen erschienen und behandelt alles rund um die Konzeption von Websites, die ankommen, weil sie von Anfang an den Nutzer in den Mittelpunkt stellen. Mehr dazu was sich getan hat seit der 7. Auflage hier im Blog.

Ich bin gespannt auf alle Kommentare!

9 Gedanken zu „Freud & Leid von Templates und Hompagebaukästen – Newsletter 4/2017“

  1. Sehe ich fast genauso: Vorlagen ja – aber selbst erstellte.

    Gekaufte sind meist aufgebläht und beinhalten Funktionen, die in den meisten Fällen gar nicht gebraucht werden. Jetz kann man auf österreichisch sagen „frißt kein Heu“ – aber mir gefällt das einfach nicht. Ich bin sehr für reduziertes Design: so viel wie notwendig aber so wenig wie möglich.

    Vorlagen ja weil m.E. Webseiten immer zumindest ähnlich aufgebaut sein sollten. Besucher sollten bestimmte Inhalte oder Funktionen an gewohnter Stelle finden um ohne Zeitverlust das zu finden, wonach sie suchen.

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  2. Halte Vorlagen für ein spannendes Thema, das noch weitere Aspekte als die hier angesprochenen bietet.
    So sind selbst erstellte (also nicht gekaufte) Vorlagen in Redaktionssystemen auch im Hinblick auf Ihre Benutzung durch die Redakteure spannend. Z.B. wie kann ich die Nutzung der für die Website verfügbaren Bilder so konfektionieren, dass es für die Content-Lieferanten der Seite auch angenehm funktioniert.

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  3. Wow, sehr schöner Artikel.
    Egal ob ich WordPress Schulungen oder eine Einführung in ein Homepage-Tool gebe, nie fehlt die Betonung sich zuerst Gedanken zu Sinn und Zweck der Website, zum optimalen Besucher (Persona) und zu den Prozessen zum Pflegen der Inhalte zu machen. Überfrachtete Allzweck-Themes sind meistens nur die teurere und schlechtere Wahl, als einfache kostenlose Themes mit klarem „Auftrag“.

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  4. Der Artikel gibt mir Argumente und mehr Selbstbewusstsein, wenn ich ein neues Website-Projekt mit einem Konzept beginne. Fertige Templates nutze ich ungern, weil meist so viele Features abgeschaltet werden müssen, dass es nervt. Außerdem fällt es beim eigenen Coden leichter, sich nicht vom Template vereinnahmen zu lassen.
    Andererseits ist es wichtig, neue Trends im Design und in den Funktionalitäten im Auge zu behalten, damit das Prozedere vom letzten Jahr in diesem Jahr nicht altbacken wird. Also: Lernen, Lernen, Lernen: JQuery, Ajax, CSS3, HTML5, PHP7, MySQLi.
    Ansonsten ist mir auch in letzter Zeit öfter untergekommen, dass ich den Leuten lieber einfache HTML-Sites empfehle, denn Redaktionssysteme wie Joomla oder WordPress haben für Seiten, auf denen sich nichts tut, zu hohe laufende Kosten für Updates.

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  5. Danke für die interessanten Informationen!
    Vorlagen, wieso nicht? Natürlich entsprechend verändert sollen diese ja in erster Linie sinnvollen Content enthalten und dem Mehrwert des Unternehmens dienen.
    Ich glaube kaum dass der Urlaubsgast der auf der Website des Hotels nach seinem Urlaubszimmer sucht in erster Linie sich Gedanken über Design und Layout macht. Er setzt voraus dass dies stimmig und der Zeit angepasst ist und hat in erster Linie seinen (Urlaubs-)mehrwert im Sinn.
    Wozu soll ich enorm viel Zeit aufwenden um mühevoll Seiten zu generieren wenn ich fast denselben Effekt mit einem sinnvollen Template in Minuten erreiche!
    Danke Jens für die immer wieder wichtigen aktuellen Informationen zum Thema Webdesign!

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  6. Guter informativer Blogbeitrag!

    Ich bin ein Freund von Vorlagen muss ich sagen, denn warum „das Rad jedes Mal neu erfinden“?! Bei meiner Vorgehensweise mache ich mir zunächst Gedanken in der Konzeption. Sprich, welcher Content, welche Bilder, welche Struktur, welche Navigationspunkte etc. und versuche nach dieser Phase eine passende bzw. im Grundaufbau ähnliche Vorlage zu finden und diese entsprechend anzupassen.

    Meine Philosophie ist dabei einfach, die Vorlage muss zum Content (Anforderungen des Kunden) passen und nicht der Content zur Vorlage.

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