
Der taz-Aufsichtsrat,
von links nach rechts
Johannes Rauschenberger,
Claudia von Braunmühl,
Hermann-Josef Tenhagen
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Liebe Genossinnen und Genossen,
ich bin Jahrgang 1963. Für mich war die taz immer da. Sie gehört zum Leben. Ohne die taz
möchte man nicht sein. Und die Vorstellung, dass es eine taz nicht geben könnte, ist fremd.
Sogar in dem Kloster und Tagungshaus, in dem ich vor über 20 Jahren Zivildienst leistete,
brachten die Gäste regelmäßig die taz mit. Manche auch die radikal.
Damals, Anfang der Achtzigerjahre, war die taz wichtig. Dann wurde sie irgendwann unverzichtbar.
Für mich persönlich im Frühjahr 1986. Über die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl
konnte man nirgendwo sonst ähnlich Gescheites lesen wie in der taz. Und der Umzug
nach Berlin einige Monate später gab meiner Entscheidung für ein taz-Abo auch noch den
für ein studentisches Budget unverzichtbaren praktischen Reiz. Die taz hatte einen Lokalteil.
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1989, als die Mauer fiel, war die taz schon eine Institution. Und sie war schnell. Beides ist
sie geblieben, eine unverzichtbare Institution und schnell. Ich selbst bekam diesen Charakter
der Zeitung schon an meinen ersten Arbeitstagen in der taz im Januar 1991 zu spüren. Der
zweite Golfkrieg stand vor der Tür. Als es so weit war, spannte die taz alle Kräfte an. Der
frisch gekürte Ökoredakteur Tenhagen schrieb Kurzmeldungen über den Libanon
zusammen, damit unsere Experten mit der Kriegsberichterstattung vorn sein konnten. Ich
lernte viel über den Irak und war glücklich, dass ich damals noch nicht in meine alte WG
zurückkonnte. Der Bekannte, in dessen leere Erdgeschosswohnung ich übergangsweise
zog, hatte einen Kabelanschluss mit CNN. Das brachte dem Jungjournalisten bei der Morgenkonferenz
Vorteile.
Unverzichtbar zu sein, das verschafft der taz ihre Daseinsberechtigung. Und für dieses Ziel
erfindet sich die Zeitung regelmäßig neu. Dafür hat sie mit dem Ressort "Wirtschaft und Umwelt"
zusammengelegt, was zusammengehört. Sie hat die mörderische braune Pest in
Deutschland ans Licht gezerrt und die alles umstülpende Globalisierung beschrieben, als
andere noch die Absicherungskämpfe der Siebzigerjahre führten.
Wer, wenn nicht die taz, könnte heute die Debatte um die Vermachtung der Medienlandschaft
führen, wer, wenn nicht die taz, könnte beim Thema Karstadt/Quelle auch die ökologischen
und nicht nur die ökonomischen Konsequenzen der Einkaufszentren auf der
grünen Wiese zum Thema machen.
Zum Thema machen heißt hier immer: das Handeln der Akteure dem Mythos des Sachzwangs entreißen, heißt
zeigen, dass Alternativen möglich waren und Entscheidungen getroffen wurden. Und natürlich zu zeigen, wer
denn diese Entscheidungen traf.
Dabei hat die taz mit den Jahren immer weniger Schwarzweißmalerei gebraucht. Nicht Firmen sind böse und
ihre Arbeitnehmer gut, nicht der Staat macht es richtig, noch etwa macht der Markt es richtig. Stattdessen:
Konkrete Menschen verfolgen ihre eigenen Interessen, das muss die taz beschreiben und kann und soll sie
bewerten. Dieses genaue Hinschauen hat die taz für ihre Leser noch wertvoller gemacht. Diese kluge, genau
hinsehende Zeitung gilt es zu erhalten. Dafür muss die Genossenschaft gesund und schlagkräftig sein.
Als Journalist sollte man immer konkret bleiben. Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick in die tägliche Praxis
werfen. Was hat die Zeitung in den vergangenen Wochen unverzichtbar gemacht?
Erstens: Mut statt Diplomatie. Die Berichterstattung zum Tschetschenienkrieg nimmt keine Rücksicht auf
Männerfreundschaften und diplomatische Leisetreter. Korrespondent Klaus-Helge Donath berichtet, wie sich
Russland im Krieg verändert. Und Autor Helmut Höge stöbert die Tradition des tschetschenischen Grauens in
der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts auf.
Zweitens: der scharfe Blick. Am Dienstag nach der Wahl in Brandenburg und Sachsen werden nicht nur die
braunen Flecken auf der ostdeutschen Landkarte akkurat abgearbeitet, es findet sich in der Zeitung auch
Otfried Nassauers Bericht über die Entwicklung der weltweiten Rüstungsexporte, ein Stück Recherche, das man
im deutschen Blätterwald sonst nirgends findet.
Drittens: der ästhetische Zugriff auf ein politisches Thema. Zum Tag der Deutschen Einheit wartet die taz mit
einem erhellenden Bildvergleich damals/heute auf. Mit wenigen Bildern schafft es die Foto-Redaktion, Aufbruch
und Trostlosigkeit nach 13 Jahren Einheit einzufangen. Die schönste Bildkombination ist sicher das Eingangstor
der "Gartensparte Einigkeit"
Schönebeck. Aus brüchigen Zäunen und einem fast schon wieder modern zu
nennenden Logo 1991 ist im Jahr 2003 ein sorgfältig gestrichenes Tor mit properen Zäunen dahinter und einem
Begrüßungsschild in altdeutschen Lettern geworden - auch das ist die deutsche Einheit.
Diese Zeitung zu ermöglichen ist eine fantastische Aufgabe für uns, die Genossenschaft.
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