Wie leben wir 2030? – Newsletter 08/2016

Wenn wir nur in die Zukunft blicken könnten! Manche wünschen sich das aus privater Neugier, manche aus beruflichem Interesse. Wenn wir wüssten, wie die Nutzer in zehn Jahren ticken, dann könnten wir heute unsere Websites, Apps, Dienste und Geschäftsmodelle darauf ausrichten. Und das nächste Facebook, What’sApp oder zumindest Instagram gründen.

Und wir könnten vor allem dafür sorgen, dass die Zukunft – zumindest was den Umgang mit IT-Technik betrifft – eine wird, auf die wir uns freuen können.

Vielleicht sollten wir jemanden, der sich richtig auskennt, beauftragen, für uns in die Zukunft zu blicken? Der Witz ist: Das haben wir alle längst getan. Die meisten von uns wissen es nur nicht.

Mit unseren Steuergeldern haben wir den Foresight-Prozess des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert. Experten aus IT, Wirtschaft, Materialwissenschaft, Physik, Soziologie, Biologie, Chemie und vielen anderen Bereichen haben dabei zusammengearbeitet, um Prognosen für die nächsten 14 Jahre aufzustellen.

Vierzehn Jahre – das ist ganz schön viel und gleichzeitig recht wenig. Vor 14 Jahren wurde der Euro eingeführt, George W. Bush war amerikanischer Präsident und die Elbe trat in der Jahrhundertflut über die Ufer. Das iPhone und mit ihm die Smartphone-Revolution begann erst vier Jahre später. Sind 14 Jahre nun eine lange Zeit oder doch eher eine kurze?

Der sogenannte Foresight-Prozess

Der Foresight-Prozess, wie ihn das Forschungsministerium nennt, hat nichts mit Glaskugeln oder Bauchgefühl zu tun. Es ist eine wissenschaftliche Methodik, um systematisch Zukunftsthemen zu identifizieren und zu bewerten.

Zunächst sammelten die Bearbeiter Ideen. Dazu sichteten sie wissenschaftliche Fachliteratur, aber auch Blogs und Nischenpublikationen. Sie trugen in verschiedenen Workshops Ideen dazu zusammen, was uns in Zukunft an Technik, aber auch an Einstellungen, Wünschen und sozialen Normen erwarten wird. In mehreren Schritten wurden die Ergebnisse zusammengefasst, ausgesiebt und bewertet. Dabei wurden Experten für die jeweiligen Fachgebiete einbezogen, aber auch kreative Köpfe aus anderen Bereichen, um ein möglichst breites Spektrum möglicher Ideen zu bekommen.

Die Ergebnisse können wir alle nun in drei umfangreichen Veröffentlichungen nachlesen.

Diese Ergebnisbände können Sie sie kostenlos als PDF herunterladen. Es lohnt sich, alle drei zu lesen – oder zumindest die für einen persönlich am interessantesten Abschnitte zu überfliegen.

Im Folgenden eine ganz kurze Beschreibung, was die drei Bände jeweils bringen – zusammen sind es immerhin 616 Seiten (mit Anhang).

Gesellschaftliche Trends und Herausforderungen

Cover Veröffentlichung Studie BMBF, Band 1Im ersten Schritt wurden gesellschaftliche Trends und Herausforderungen identifiziert. Das Ergebnis waren 60 „Trendprofile“ zu gesellschaftlichen Entwicklungen und 7 Themenkomplexe mit gesellschaftlichen Herausforderungen. Diese finden sich im Band 1.

Die Gesellschaftstrends kommen aus den folgenden drei Bereichen:

  1. Gesellschaft/Kultur/Lebensqualität
  2. Wirtschaft
  3. Politik und Governance

Man sieht schon an diesen Kategorien: Hier geht es nicht um reine Technik, es geht auch nicht nur ums Web, nicht um Apps oder um digitale Dienste. Es geht um all das zusammen. Und vor allem darum, welche Einstellungen die Menschen dazu haben. Was sie von der Zukunft erwarten, wie sie leben wollen.

Von diesen Trendprofilen ausgehend haben die Experten sieben breite gesellschaftliche Herausforderungen ausgemacht:

  1. Bürgerinnen und Bürger als Akteure im Forschungs- und Innovationssystem
  2. Lernen und Arbeiten in einer smarten Welt
  3. Neue Treiber und Akteure im globalen Innovationswettbewerb
  4. Neue Governance globaler Herausforderungen – vom Globallabor Stadt zu neuen Formen der multilateralen Zusammenarbeit
  5. Neue Dimensionen des Wachstums und die Balance zwischen Nachhaltigkeit, Wohlstand und Lebensqualität
  6. Neue Herausforderungen zwischen Transparenz, Post-Privacy und Schutz der Privatsphäre
  7. Plurale Gesellschaft auf der Suche nach Zugehörigkeit und Distinktion

Was mit dem letzten Punkt gemeint ist, dürfte nicht jedem gleich klar sein: Es geht um das Grundbedürfnis von uns Menschen, zu einer Gruppe dazu zu gehören und gleichzeitig dem Wunsch, ein Individuum zu sein und als solches wahrgenommen zu werden. Aber keine Sorge, auch dieser Abschnitt ist wie alle anderen leicht lesbar und für Laien problemlos verständlich.

Generell behaupten die Autoren nicht, die Zukunft zu kennen. Sie zeigen fast immer mögliche Entwicklungspfade auf. Das heißt, sie entwerfen mehrere Szenarien, die sie für denkbar halten. Beim Thema Privatsphäre etwa beschreiben sie drei mögliche Entwicklungen:

Erstens: Es kommt zu einem weitgehenden Kontrollverlust über die eigenen Daten. Konzerne (und Regierungen) sammeln, was sie bekommen können, die Menschen nehmen das weitgehend protestlos in Kauf.

Zweitens: Die hypertransparente Gesellschaft verwirklicht das Ideal von einer Gesellschaft, in der sich niemand verstecken muss, in der jeder frei ist und alle Informationen über jeden und alles für jeden zugänglich sind.

Drittens: Maximaler Datenschutz. Technische Weiterentwicklung, eine Sensibilisierung der breiten Öffentlichkeit und die Bereitschaft, sich für den Schutz der eigenen Daten einzusetzen, haben dazu geführt, dass jeder jederzeit weiß, was mit den eigenen Daten passiert.

Man sieht: Diese drei Szenarien beschreiben nur mögliche Wege – es scheint unwahrscheinlich, dass eines von diesen so eintreten wird. Aber die Szenarien helfen, zu sehen, wohin die Entwicklung gehen könnte.

Innovationen in Forschung und Technologie

Cover Veröffentlichung Studie BMBF, Band 2Wer sich noch stärker für Technik interessiert, der sollte zum zweiten Band greifen. Er beschreibt, welche Bereiche aus Forschung und Technologie identifiziert wurden, die in den nächsten Jahren besonders relevante Ergebnisse für die praktische Anwendung versprechen.

Die Themenfelder sind:

  1. Biotechnologie
  2. Dienstleistungen
  3. Energie
  4. Gesundheit und Ernährung
  5. Informations- und Kommunikationstechnologie
  6. Mobilität
  7. Nanotechnologie
  8. Photonik
  9. Produktion
  10. Zivile Sicherheitsforschung
  11. Materialwissenschaft und Werkstofftechnik

Unser Leben in der Zukunft

Cover Veröffentlichung Studie BMBF, Band 3Der dritte und letzte Band bringt die Ergebnisse beiden vorigen zusammen. Es wurden neun Bereiche herausgegriffen, bei denen sich die gesellschaftlichen Herausforderungen mit den Techniktrends verbinden. Zu diesen werden viele kurze Geschichten aus der Zukunft erzählt.

Diese Geschichten kommen aus den folgenden neun Bereichen:

  1. Deutschland Selbermachen
  2. Selbstbeobachtung und Wohlergehens-Kompetenz
  3. Arbeitskollege Computer
  4. Bildung für alle(s)
  5. Lokal handeln – global kooperieren
  6. Datenintensive Governance
  7. Gemeinsam experimentieren für Zukunftslösungen
  8. Kollaborativ-Wirtschaft
  9. Privatsphäre im Wandel

Dadurch werden die zuvor beschriebenen Entwicklungen lebendig. Man liest, welche Auswirkungen die beschriebenen Trends haben und was die technischen Entwicklungen mit uns Menschen machen.

Dabei werden die Autoren immer schön konkret, man kommt auf viele Ideen, welche Dinge man in Zukunft gerne hätte, welche man entwicklen könnte und worauf man persönlich achten sollte.

Wer nur einen der drei Bände liest, der sollte sich diesen vornehmen. Hat man den durch, dann kann man immer noch die interessantesten Themen in den anderen beiden Bänden nachlesen.

Die Geschichten lesen sich flott und angenehm, nur wenn man zu lange am Stück liest, ermüden die teilweise etwas flach geschriebenen Texte – aber der Text soll ja kein literarisches Werk sein, sondern ein Blick in die Zukunft.

Herunterladen können Sie die Ergebnisbände hier: BMBF-Foresight-Berichte: So sieht die Welt im Jahr 2030 aus – VDI Technologiezentrum GmbH

Und wer nur ganz wenig Zeit hat oder gerne bunte Bilder sehen will, der kann eine 33seitige Broschüre beim Forschungsministerium herunterladen (PDF, 2,7 MB)

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