Die 7 Grundsätze für gute User Experience – Newsletter 12/2014

Seit 12 Jahren schreibe ich den benutzerfreun.de-Newsletter, aber auch, wer erst seit ein paar Ausgaben dabei ist, der weiß, dass ich darin nicht schimpfe.
Ich äußere höchstens sachlich fundierte Kritik – das versuche ich jedenfalls. Aber heute musste ich mich sehr zurückhalten, mit dieser Tradition nicht zu brechen.

Ich halte mich für einen geduldigen Menschen anderen Menschen gegenüber. Anders kann man schlecht als Berater oder Trainer arbeiten. Aber Computern gegenüber bin ich wenig geduldig. Vor allem, wenn ich weiß, dass man Manches auch besser machen könnte.

Und natürlich komme ich regelmäßig auf solche Seiten im Web, bei denen ich mir das denke. Fast jeden Tag – dabei ist mir bewusst, dass es eine Berufskrankheit ist, Kleinigkeiten zu kritisieren und immer etwas zu finden, was man (jedenfalls meiner Meinung nach) benutzerfreundlicher umsetzen könnte.

Aber so richtig ärgern muss ich mich zum Glück selten. Und: In den letzten 12 Jahren hat sich viel getan. Sehr viel. Das Web war 2002 schon wichtig, aber heute läuft ohne Web nichts mehr. Und glücklicherweise muss ich heute niemandem mehr erklären, was Usability ist und warum die so entscheidend ist.

Tatsache ist aber: Wir machen heute so viel mehr online als vor 12 Jahren. Das heißt, immer mehr Dinge müssen online funktionieren und das auf immer mehr unterschiedlichen Geräten. Diese beiden Faktoren führen dazu, dass wir noch immer nicht im Usability-Nirvana leben.

Besonders schade ist: Noch heute machen viele Betreiber von Website genau die gleichen, vollkommen vermeidbaren Fehler wie vor 12 Jahren.

Diese Frustration hat sich bei mir gestern und vorgestern entladen, als ich versucht habe, einen Flug zu buchen. Diese Erfahrung war so niederschmetternd, dass ich zunächst einen erbosten Newsletter schreiben wollte, in dem ich die Fehler einzeln vorführe.

Aber das ist wenig hilfreich für Sie Leser. Daher möchte ich meine Energie ins Positive wenden und ich beschreibe, wie Sie die 7 schwerwiegendsten Fehler vermeiden, die man bei Konzeption, Umsetzung und Betrieb einer Website machen kann.

Es wäre ein guter Vorsatz fürs nächste Jahr, diese nicht mehr zu machen. Denn im Alltag können diese Fehler jedem von uns passieren. Mit so einem Vorsatz kommen wir einen kleinen Schritt voran Richtung Usability-Nirvana.

1) Die schnelle Lösung bleibt

Meine Buchungs-Odyssee begann bei einem Reiseportal. Auf einem anderen als dem, das ich sonst meist nutze – mein bisheriges ließ eine Buchung von Gabelflügen nicht zu (oder ich habe die Funktion dort nicht gefunden).

Die Eingabe hat reibungslos funktioniert – man merkt, hier sind die Ergebnisse von etlichen Usability-Tests eingeflossen.

Auch die Kreditkartenangaben etc. waren kein Problem. Es fehlte nur noch der Klick auf „jetzt kostenpflichtig buchen“. Und damit begann das Drama. Es passierte einen Moment nichts, dann erschien eine Seite mit der dürren Meldung:

Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte gehen Sie zurück zur Homepage.

Sonst nichts. Keine Hilfestellung, keine Entschuldigung, keine Erklärung.

Gut, also nochmal alles eingegeben. Ergebnis: Ich landete bei der gleichen Seite. Und der dritte Anlauf – ja, ich habe einen dritten unternommen, ich wollte wirklich dringend buchen – beim dritten Anlauf bin ich nicht so weit gekommen. Da erschien zwischendurch die Meldung, die Fluglinie hätte, gerade während ich gebucht habe, die Preise geändert.

War zumindest mal eine Erklärung, ich war wieder etwas beruhigt. Kontrollierte die Preise. Die hatten sich nicht geändert. Aber vielleicht lag das an meiner speziellen Auswahl, und es wurde nur generell an den Preisen für den Flug etwas geändert.

Das vermeintlich schöne Ende: Nun ging die Buchung durch. Zunächst.
Ich bekam eine Abschlussmeldung und auch eine Bestätigungsmail. Wunderbar – dachte ich.

Fazit: Verfolgen Sie immer mit, wo noch Dinge fehlen

Solche Seiten wie die „Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte gehen Sie zurück zur Homepage“ sind typische Seiten, wie sie im Projekt schnell mal angelegt werden, weil irgendjemand feststellt, dass sie nötig sind.

In Ihrem Projekt sollten Sie dafür sorgen, dass jeder, der so ein Provisorium erstellt, dieses an zentraler Stelle dokumentiert. Und dann sollten Sie gegen Ende des Projekts sicherstellen, dass alle diese Provisorien aufgelöst und in eine saubere Lösung überführt wurden.

2) Fehlende technische Tests

Dass sich Dinge in der Datenbank ändern ist normal. So ist es normal, dass sich Preise und Verfügbarkeiten von Flugtickets ändern. Das heißt, das muss man von Anfang an mit berücksichtigen. Muss sich überlegen, was in der Zeit passiert, wenn ein Kunde eine Buchung/einen Kauf beginnt und sich währenddessen der Preis ändert.

Die saubere und kundenfreundliche Lösung wäre: Der Kunde kann zu den Konditionen abschließen, zu denen er den Prozess begonnen hat.

Fazit: Immer so viel wie möglich testen. Und nicht nur zum Launch.

Wer das nicht so umsetzen will, der muss aber zumindest durch technische Tests sicherstellen, dass der Kunde weiß, was passiert und dass er seinen Prozess abschließen kann. Idealerweise ohne alle Informationen nochmal neu eingeben zu müssen.

Und damit das funktioniert, muss man ausführlich testen. Dabei geht es nicht um Usability-Tests. Es geht um ganz einfache Tests der Funktionalität. Die sind nicht aufwendig und die kann jeder durchführen, der ein paar Minuten Einweisung bekommen hat. Das Kostenargument, was manchmal gegen Usability-Tests angeführt wird, gilt hier noch viel weniger.

Wer eine komplexe Website betreibt, der muss diese Tests mit allen erdenklichen Kombinationen von Möglichkeiten durchführen. Und das nicht nur einmal, wenn die Seiten online gehen, sondern regelmäßig, mit allen aktuellen und alten Versionen aller üblicher Browser und Geräte.

3) Unachtsamkeit

Bevor ich meine Buchungs-Odyssee weitererzähle, eine kleine weitere Anekdote. Diese zeigt, dass es auch mit sehr geringer technischer Komplexität peinlich werden kann, wenn Sie nicht ausreichend testen.

In einem Projekt von mir war auf Kundenseite eine der größten und bekanntesten deutschen Werbeagenturen beteiligt.

Ich wollte mir ansehen, was die so machen und habe deren Website besucht. Und sah: nichts. Einfach eine weiße Seite. Ich testete einen anderen Browser und sah nun immerhin eine Lade-Animation. Die verschwand aber nicht.

Erst mit dem dritten Browser konnte ich die hübsch animierten Inhalte (HTML5) auf der Seite bewundern.

Fazit: Nach jeder kleinen Änderung alles überall testen

Ja, ich war auf dem Mac unterwegs, offensichtlich arbeiten die Kollegen in der Agentur auf einer anderen Plattform. Aber so eine Darstellungspanne darf heute einfach nicht mehr passieren.

Sie sollten Ihre Site auch dann auf allen Geräteklassen mit allen üblichen Browsern testen, auch wenn die aktuelle Änderung scheinbar eine Kleinigkeit ist.

4) Unklare Fehlermeldungen

Weiter also mit meiner Buchungs-Geschichte: Am Tag nach meiner nervenaufreibenden Flugbuchung bekam ich folgende Mail:

Sehr geehrte Kundin, sehr geehrter Kunde,
Wir bedauern Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir Ihre Reservierung in Ihrer Buchungsanfrage < insert PNR here> mangels Zahlung nicht aufrecht erhalten konnten und ersatzlos zurückgenommen haben.
Bitte versuchen Sie erneut eine Buchung mit einer alternativen Kreditkarte oder per Sofortüberweisung vorzunehmen.

Interessanterweise war die persönliche Ansprache mit Namen, wie sie die Buchungsbestätigung vom Vortag noch hatte, verschwunden. Und offenbar war auch hier die Programmierung nicht ordentlich getestet, das „< insert PNR here>“ zeigte es deutlich.

Was war passiert? Irgendetwas hatte nicht geklappt mit der Zahlung. Was sollte ich tun? Die Mail machte mir nur den Vorschlag, was Anderes auszuprobieren.

Fazit: Erklären Sie, was los ist

Es kann ja sein, dass die Kreditkartenfirma nur meldet: „Geht nicht“. Aber als Unternehmen muss man seinem Kunden dann Hilfestellung bieten: Erklären Sie ihm, was passiert ist, so gut Sie können. Erklären Sie, aus welchen Gründen Sie keine genaueren Infos geben können, wenn das der Fall ist.

Und listen Sie typische Ursachen für solche Probleme auf.

Dann geben Sie Tipps, was der Kunde unternehmen sollte. So konkret wie möglich. Und geben Sie immer eine Kontaktmöglichkeit an mit persönlicher Hilfestellung – also am besten E-Mail und Telefonnummer des Supports.

5) Nicht fehlerfreundlich

Ich habe mich dann entschieden, nicht beim Buchungsportal, sondern bei meiner Bank nachzufragen, weil ich mich dunkel erinnert habe, dass es so etwas wie Limits gab. Und tatsächlich: Das Problem war, dass die Kreditkartenfirma (oder meine Bank?) das Limit, was ich in der Woche über die Karte laufen lassen kann, so stark begrenzt hat, dass man keinen teuren Flug damit buchen kann.

Ich habe keine Ahnung, wie hoch die Limits im Schnitt so sind bei Kreditkarten, aber ich gehe davon aus, dass ich kein Einzelfall bin. Daher gehe ich davon aus, dass solche Probleme regelmäßig auftreten, bei den vielen Buchungen, die über so ein großes Portal am Tag laufen.

Fazit: Mögliche Fehler vorhersehen und abfangen

Ideal ist es natürlich, wenn Sie solche Fehler von vornherein verhindern können. Da müsste man in dem Fall mit demjenigen zusammenarbeiten, der die Abwicklung der Kreditkartentransaktion macht.

Wenn das nicht möglich ist, dann könnte man z.B. bei typischen gefährdeten Transaktionen darauf hinweisen. Also zum Beispiel bei Buchungen über 1.500 €, die über Kreditkarte gezahlt werden sollen, bei Kunden, die eine solche Zahlung noch nie bei diesem Unternehmen getätigt haben. Diese Einschränkung verhindert, dass man unnötig viele Nutzer mit unnötig vielen Hinweisen belästigt, kann aber den anderen helfen.

Und wenn man feststellt, dass es doch noch zu viele sind, dann sollte man zumindest in der Mail mit der Fehlermeldung darauf hinweisen, was die häufigsten Ursachen für solche Probleme sind – und wie man diese am besten behebt.

6) Böse Überraschungen

Nach meiner Erfahrung mit dem Buchungsportal war ich verärgert und habe mir den gleichen Flug auf der Website der Fluglinie direkt angesehen. Und festgestellt, dass dieser hier nur 10 Cent teurer war.

Also habe ich die Buchung nun hier durchgeführt – ja, die Lust auf Urlaub war mir immer noch nicht vergangen, im Gegenteil. Und das Limit habe ich bei meiner Bank anheben lassen.

Auch auf der Site der Fluglinie merkte man, dass wir im Jahr 2014 sind: Die Usability der Site war gut bis sehr gut.

Die böse Überraschung kam am Schluss: Als es ans Bezahlen ging, wurden mir 6 Varianten angeboten.

  • Kreditkarte
  • Debitkarte
  • Firmen-Kreditkarte
  • Firmen-Debitkarte
  • Sofortüberweisung
  • Paypal

Der Haken: Alles außer den Debit-Karten und der Sofortüberweisung kostete 35 Euro Gebühren.

Ich habe also erstmal recherchiert, was genau eine Debit-Karte ist – mir war nicht klar, ob die maestro-Karte eine ist oder ob ich meine Kreditkarte auch als solche ausgeben kann. Die Antwort: nein.

Ich habe also noch recherchiert, wie genau die Sofortüberweisung geht. Dazu brauche ich meine online-Banking-Pin – die ich nicht dabei hatte.

Also habe ich zähneknirschend die 35 Euro gezahlt.

Fazit: Die schlechte Nachricht lieber gleich überbringen

Ja, es kann sein, dass ich die Buchung vielleicht nicht direkt bei der Fluglinie gemacht hätte, wenn ich gewusst hätte, dass ich da 35 Euro mehr zahle. Ihr wäre also dieser eine Umsatz von mir entgangen. Aber so hat es nun dazu geführt, dass ich sicher nie wieder dort direkt buchen werde – sie haben dauerhaft einen Kunden verloren. Und ihren Markeneindruck bei mir beschädigt.

Es gibt sehr wenige Geschäftsmodelle, die so auf kurzfristige Gewinne angelegt sind, dass es sich lohnt, die Kunden auf diese Art und Weise zu gewinnen.

7) Gewinnoptimiert, nicht nutzerorientiert

Ich bin mir gar nicht mehr sicher, ob die letzte Station meiner Irrfahrt tatsächlich die letzte war oder ob sie vor der Sache mit der teuren Zahlung kam – aber egal.

Jedenfalls ganz am Ende des Prozesses kam die Frage, ob ich meinen Sitzplatz reservieren möchte. Ich dachte erst, wunderbar, kann ich jetzt schon einchecken, drei Monate vor dem Flug, das ist ja ein Service.

Dann habe ich gesehen: Die Sitzplatzreservierung kostet 25€ pro Person und Flug, 90€ „mit mehr Beinfreiheit“ – für meine drei Flüge für 2 hätte ich also nochmal 150 € drauflegen sollen (oder 270, wenn ich meine Beine mal ausstrecken will). Für etwas, was es früher umsonst gab.

In der Pressemitteilung der Fluglinie (die ich dann recherchiert habe) wird das als „neuer Service“ verkauft – klar kann ich jetzt vorher reservieren, aber ich muss auch dafür zahlen. Mache ich das nicht, habe ich möglicherweise am Ende das Nachsehen, wenn meine Mitreisenden weniger knauserig sind und reserviert haben.

Das heißt: Entweder ich zahle, und ärgere mich, dass ich gezahlt habe. Oder ich zahle nicht und ärgere mich drei Monate lang, dass mir gerade andere vielleicht die Plätze wegreservieren und ich am Ende nicht nur 13 Stunden beengt sitze, sondern auch noch neben einem Fremden statt neben meiner Frau.

Das Argument „das machen alle so“ zählt übrigens meiner Meinung nach nicht. Wenn dem alle gefolgt wären, dann hätten wir heute noch Flash-Intros vor jeder Website. Das war vor zehn Jahren auch etwas, von dem mir Kunden gesagt haben: „Flash-Intros? Das machen alle so.“
Heute ist glücklicherweise allen klar, dass diese Intros einfach nur genervt haben.

Fazit

Ich hoffe, diese Geschichte hat gezeigt, dass ich für zufriedene Nutzer mehr brauche als eine gute Usability. Denn die Bedienung der Sites war fehlerlos, deren Usability hoch.

Das finde ich wunderbar, und ich kann es nur unterstützen, Sites so intensiv zu testen, dass so etwas möglich ist. Das ganze Geld ist aber schlecht investiert, wenn man nicht die folgenden 7 Grundsätze für eine gute User Experience berücksichtigt:

  1. Provisorien dokumentieren & beseitigen
  2. regelmäßig & ausführlich technisch testen
  3. auch kleine Änderungen sorgsam testen
  4. klar und lösungsorientiert über Probleme kommunizieren
  5. Fehler voraussehen & bei der Lösung helfen
  6. von Anfang an mit offenen Karten spielen
  7. nutzerzentriert, nicht kurzfristig gewinnorientiert denken

Mir ist klar, dass das betriebswirtschaftlich nicht immer gehen mag – aber als Richtschnur des eigenen Handelns nehme zumindest ich mir das für 2015 fest vor!

Und Sie?

2 Gedanken zu „Die 7 Grundsätze für gute User Experience – Newsletter 12/2014“

  1. Sehr schöner Artikel. Auch ich habe den Eindruck, dass besonders im Backend-Bereich (z.B. Anbindung an Payment-Dienstleister) noch viele Usability-Probleme lauern. Sie sind nur schwieriger zu entdecken, da sie nur schwer testbar sind (siehe zu geringes Kreditkarten-Limit) . Aber da sie meist Kernfunktionen der Anwendung betreffen, sind sie umso wichtiger für die UX. Hier können IMHO nur Tools helfen, die solche Fehlerfälle im Livebetrieb dokumentieren (tealeaf, etc.).

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