Wie Wahlkampf im Web wirkt – und wie nicht

Im September-Newsletter hatte ich mir vor zwei Tagen die Websites der im Bundestag vertretenen Parteien vorgenommen. Ich war überrascht, wie gut die Macher bei Barack Obama abgekupfert haben.

Was unberücksichtigt blieb, ist der Auftritt der Parteien in den Sozialen Netzwerken. Bei Obama machte dieser einen großen Teil seines Erfolgs aus. Meike Laaff schreibt auf taz.de, dass die Politikberater auch auf Twitter, Facebook, MeinVZ und Youtube Obamas Tricks kopiert haben. Aber Laaff meint: „Trotzdem ist der Onlinewahlkampf aller Bundestagsparteien gerade dabei, gehörig zu floppen.“

Sie macht als Grund aus, dass keine Kommunikation zwischen Wählern und Parteien stattfindet. Und sie hat Recht. Der Punkt ist aber: Kann diese Kommunikation überhaupt stattfinden? Liegt es an den Medienberatern der Parteien, die einfach noch immer nicht kapiert haben, wie eine ordentliche Social-Web-Kampagne aussieht?

Ich meine nein. Denn Politik in Deutschland funktioniert anders. Wissen Sie, wie Ihre Kollegen wählen? Haben Sie ein Fähnchen für Merkel oder Steinmeier oder Westerwelle oder sonstwen in Ihrem Garten? Kennen Sie Leute, die als Wahlkampfhelfer arbeiten? Ich muss alle Fragen vereinen. Ebenso geht es allen, mit denen ich gesprochen habe. Das ist natürlich vollkommen unrepräsentativ. Ebenso unrepräsentativ wie mein Besuch bei Freunden in den USA im Mai 2008. Obama war überall. Von jedem Haus hing eine Fahne, unzählige Stoßstangen verkündeten „Yes, we can!“. Sehr viele Menschen, mit denen ich dort sprach, schwärmten von Obama. Politik war ein privates Thema, nicht nur ein öffentliches.

Aber es liegt nicht nur an den Deutschen. Es liegt vor allem auch an den Themen. Worum genau geht es im aktuellen Wahlkampf? Worüber streiten die Kandidaten? Gibt es große Themen, für die die Parteien deutlich unterschiedliche Lösungsansätze haben? Geht es um die Machthaber gegen die Veränderer?
Ich meine nicht. Und das ist natürlich nicht förderlich fürs Mitmachen, ob online oder offline. Wer das Gefühl hat, es geht nur um Abstufungen oder um Detailfragen, der hat wenig Leidenschaft. Der hat wenig Energie, um eine Partei oder einen Kandidaten zu unterstützen.

Nur wen ein Thema emotional betrifft, nur der tut was. Davon profitiert zum Beispiel die Piratenpartei. Das ist der Grund, warum sich viele für sie engagieren. Klar wissen die Piraten, wie man sich im Web bewegt. Aber das hilft lediglich. Voraussetzung für das Engagement ihrer Unterstützer ist, dass sie die Themen der Piraten persönlich wichtig finden.

Einige lohnende Einblicke in die online-Kampagnen der Parteien gibt Robin Meyer-Lucht auf Carta. Er zeigt, was aus Sicht der Parteien derzeit funktioniert und was nicht. Mein Gefühl ist: Man mobilisiert vor allem Menschen, die den Parteien sowieso schon sehr nahe standen. Die Hürde, sich zu engagieren kann mit Sozialen Medien deutlich gesenkt werden. Aber ganz wichtig ist dabei der persönliche Bezug. Der ist zum Beispiel da, wenn ich für ein Wahlplakat spende, das in meinem Viertel geklebt wird. Und genau das läuft wohl recht gut derzeit.

Einmal wieder ist das Fazit für Konzepter: Kenne Deine Inhalte und kenne Deine Zielgruppe.

Links

Eine Onlinebefragung von Facit Digital mit 260 Internetnutzern kam zu ganz ähnlichen Ergebnissen bei der Qualitätseinschätzung der Websites von Parteien wie ich im Newsletter. Die Ergebnisse im Überblick sind frei zugänglich, eine Zusammenfassung der Studie gibt es nach kostenloser Registrierung.
Die Slogans der Parteien vergleicht slogans.de.
Erkenntnisse zum Mitmachwahlkampf von Robin Meyer-Lucht auf Carta. Unbedingt lesen!
Informationswege für Wähler, herausgefunden von Fittkau & Maaß. Das Internet ist dafür wichtiger als Fernsehen.
Ein Blick auf die gedruckten Parteiprogramme aus gestalterischer Sicht von praegranz.de.

edit (7.9.2009):
Der Schriftsteller Maxim Biller antwortet im Magazin der Süddeutschen Zeitung vom 27.8.2009 auf die Frage, ob er wisse, was seine Freunde wählen: „Die Deutschen sprechen über solche Sachen nicht, weil man hier immer alles für sich behalten will. Wenn einer sagt, was er wählt, dann drückt er damit etwas aus, eine Haltung zum Leben. Und ich gluabe, dass in Deutschland die meisten Menschen Angst haben, dass andere wissen, was sie denken.“

edit (9.9.2009):
Jakob Nielsen beschreibt in seiner aktuellen Alertbox-Kolumne, welche Usability-Probleme entstehen, wenn man seine Inhalte auf externe Sites wie Youtube stellt und auf seiner eigenen Site einbindet.

edit (23.9.2009):
Und noch ein Nachtrag: Die Financial Times beschreibt, wie die von ihr so genannte Ökoszene das Web zum Protest gegen Politiker nutzt: Die Mausklick-Aktivisten.

1 Gedanke zu „Wie Wahlkampf im Web wirkt – und wie nicht“

  1. Anwendungstechnik, Inhalte und Interesse wecken gehören auch bei den ‚Social Networks‘ zusammen. Ersteres mag beherrscht werden, der Rest kann auch auf einen Wahlkampf hin nicht herbeigezaubert werden. Was ist den an der gegenwärtigen Politik ’social‘ und was soll daran ‚Network‘ sein? Ich spreche jetzt schon nur von der Kommunikation. Ich betrachte, wenn ich mich überhaupt in dieser Weltgegend aufhalte, die Politik Deutschlands, der Schweiz und Österreichs aus genau dieser Kommunikationsperspektive. Von unten hinauf schaue ich auf die Auguren der Politik und wundere mich immer wieder, dass diese nicht einmal mehr von oben herab schauen. ‚Social Networks‘ sind keineswegs frei von Hierarchien, wie uns das die Netzwerke machmal glauben machen. Aber man muss sich im Netz solcher Hierarchen bewusst sein und auch mal in der Vertikalen kommunizieren, damit man unten verstanden wird und wenn möglich sogar noch etwas Interessantes von diesen fernen Welten dort unten zurück bekommt. Das setzt unterschiedliche ‚Tonarten‘ und vor allem Kenntnis des ‚Social Networks‘ voraus. Ud zwar durch die Exponenten, nicht die Politstrategen. Soweit mein Auge oder Ohr reicht, erlebe ich Parteichefs, Ministerpräsidenten, andere Landes- und Verbandsfürsten, Chefbeamte, Generalsekretäre und andere mehr, die sich vor allem als grossartige Fassadenmaler präsentieren. Sie malen bunte Bilder, übermalen Risse in den Fassaden bis das Haus einstürzt. Und haben selbst dann noch die richtig und fein gewählten Worte und langen Sätze, die niemanden belasten und auch niemanden gross bewegen. Was bitte schön – Obama-Begeisterung hin oder her – soll denn hier noch gezwitschert und genetztwerkt werden? Und jetzt eben doch noch einmal: wo bleiben die Inhalte? Ist das Umreden von Unterlassungssünden, das jahrelange Feilschen um auswuchernde Gesetze und Regulierungen überhaupt noch Inhalt oder nur noch Machtgeplänkel unter Ausschluss der sowieso ignorierten Masse? Gerade in dieser Masse gibt’s Hierarchien. Nicht für jede Gruppe reicht es zu melden, dass man gerade den Latte Macchiato rührt oder das Parteiprogramm so aussieht, wie es sowieso schon immer ausgesehen hat. Die ‚Social Networks‘ wandeln sich bereits ohne viel Gezwitscher. Von den Belanglosigkeiten wendet man sich ab. Ganz ohne Inhalt wird in einer übersättigten Gemeinschaft bald Leere eintreten – oder man sucht sich die Inhalte wieder selbst und anderswo.

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