Soziale Medien – weghören hilft nicht

Was kann schon passieren?

Wie bei jeder anderen Kommunikation auch kann es bei der Kommunikation im Web 2.0 Katastrophen geben – auch wenn Sie selbst diese gar nicht aktiv betreiben.

Das BP-Desaster

Ein Beispiel ist BP. Nach dem Öl-Desaster im Golf von Mexiko versuchte die PR-Abteilung, den Image-Schaden klein zu halten. Doch das gelang kaum. Zunächst versuchte man, wenige Presseerklärungen abzugeben und abzuwarten. Erst gut einen Monat nach dem Unfall hat das Unternehmen begonnen, Soziale Medien für die PR zu diesem Thema zu nutzen. Aber auch das kam bei den Nutzern nicht gut an.

Das Tech-Magazin Wired nennt als Hauptgrund dafür, dass die Nutzer im Social Web Offenheit erwarten – ganz wie im persönlichen Umgang mit Menschen. BP vermied es jedoch, sich für die gewaltige Umweltverschmutzung zu entschuldigen oder gar Schuld einzugestehen. Das ist aus rechtlicher Sicht nachvollziehbar, führte aber zu noch schärferen Reaktionen in Twitter und Blogs. In Youtube tauchten Videos auf, die sich über den Konzern lustig machten, so etwa „Super Mario: BP Oil Spill Edition“.

Das Youtube-Video Super Mario: BP Oil Spill Edition
Das Youtube-Video Super Mario: BP Oil Spill Edition » bei Youtube ansehen

Dann kaufte BP Suchwörter wie „oil spill“ auf Google, Bing und Yahoo und zeigte auf den Trefferseiten der Suchmaschinen prominent Links zu Informationen an, was BP tut, um das Ausmaß des Schadens zu begrenzen. Doch das kam auch nicht gut an – der Vorwurf war, BP investiere mehr darin, das eigene Image zu retten als das eigentliche Problem zu lösen.

Verstärkt wurde dieser Eindruck durch die Fernseh-Spots, die BP dann schaltete. Insgesamt sollen diese laut Wired 50 Millionen Dollar gekostet haben – auch dies ein Argument der Gegner, die BP vorwerfen, nur auf den schönen Schein bedacht zu sein. BP hat im Jahr 2000 Millionen von Dollar ausgegeben, um sich ein neues Image als umweltschützender Energiekonzern von morgen zu geben – mit einigem Erfolg. Doch dieser ist jetzt vollkommen dahin und das lässt sich in den nächsten Jahrzehnten wohl kaum wieder beheben, wie etwa die Zeitschrift New York schreibt.

In Twitter und auf zahllosen Blogs hagelt es seit Wochen negative Kommentare. In Youtube stehen viele Videos, die ätzenden Spott über BP ausgießen.

Natürlich kann auch kein noch so virtuoser Social-Media Experte verhindern, dass nach einer Katastrophe wie dieser schlecht über ein Unternehmen geredet wird. Das Beispiel BP zeigt aber, wie man durch ungeschickte Kommunikation den Imageschaden noch vergrößern kann. Und es zeigt vor allem, dass die heftige Kritik weltweit Gehör findet, auch wenn sie teilweise nur von einzelnen Menschen ausgeht. Wer einen treffenden Tweet schreibt, einen guten Blogartikel postet oder ein bissiges Video hochlädt, der kann sicher sein, dass er von Menschen auf der ganzen Welt wahrgenommen und vor allem verlinkt wird. So verbreitet sich seine Botschaft in Minuten lawinenartig von Freund zu Freund durch alle Sozialen Netzwerke.

Die gemeinsame Arbeitsgruppe der US-Regierung und BP hat übrigens mehr Geschick bewiesen. Zehn Tage nach dem Unfall hatte sie eine Website, einen Twitter-Account, eine Facbook-Seite und nutzte Youtube intensiv – und vor allem professionell.

Der Kommunikationsberater Klaus Eck (Korrektur 12.8.2010 nach einem Hinweis von Klaus Eck) kommt zu einem ganz anderen Fazit der PR von BP als Wired sieht es differenzierter: Er sieht einen „holprigen Start“ und kritisiert, dass auf die vielen Kommentare bei Facebook nicht eingegangen wird, obwohl hier viel mehr Menschen aktiv sind als bei Twitter. Generell attestiert er BP aber anfangs einen guten Umgang mit den Sozialen Medien. Allerdings setzt er sich in einem späteren Beitrag ebenfalls sehr kritisch mit der PR des Unternehmens auseinander. (Den Link zu seinemn Blogeintragägen finden Sie auch am Ende dieses Textes).
Nachtrag (27.6.2010): Ich habe seitdem auch weiterhinsonst niemand anderen gefunden, der die Arbeit von BP in Ordnung findet. Techcrunch z. B. berichtet am 26.6.2010 ebenfalls nur negativ.

Weltkonzern Nestlé gibt klein bei

Der Lebensmittelkonzern Nestlé setzt im Jahr 75 Milliarden Euro um und beschäftigt weltweit über 278.000 Menschen. Im März 2010 deckte die Umweltschutzorganisation Greenpeace auf, dass Nestlé Palmöl (etwa für Schokoriegel) von einer Firma bezieht, die dafür illegal den indonesischen Regenwald abholzt – und damit die letzten Lebensräume des Orang-Utan zerstört.

Nachdem der Konzern die Verträge mit dem Lieferanten nicht vollständig kündigte, startete Greenpeace eine Kampagne, bei der Social Media die Hauptrolle spielte. Entscheidend war vor allem ein Video, bei dem ein Kitkat-Käufer plötzlich statt dem Schokoriegel, in den er genüsslich beißen will, einen Orang-Utan-Finger in der Hand hält. Das Video wie auch die anderen Informationen von Greenpeace verbreiteten sich schnell über Youtube, Facebook und Twitter – Links dazu wurden millionenfach per Mail verschickt.

Nestlé versuchte, die Kritik zum Verstummen zu bringen und ließ die Videos bei Youtube wegen „Urheberrechtsverletzungen“ löschen. Die lagen aber mittlerweile auf vielen anderen Sites und verbreiteten sich so weiter.
Die Kritik auf Nestlés eigener Facebook-Seite für Kitkat wurde so stark, dass Nestlé sie schließlich vom Netz nahm. Deren 750.000 registrierte Nutzer merkten so, dass der Konzern an einem Dialog mit ihnen nicht interessiert war.

Die Kritik auf Blogs, Twitter, Youtube aber auch zunehmend in traditionellen Medien wurde letztlich so groß, dass Nestlé schließlich klein beigab und die Verträge mit dem Palmöl-Lieferanten kündigte.

Facebook-Seite von Kitkat
Die Facebook-Seite von Kitkat nahm Nestlé nach zu viel Kritik vom Netz.

Machtverschiebung

Der Journalist und Podcaster Thomas Knüwer analysiert in seinem Blog sehr gut, wie sich das „Campaigning“ geändert hat (Link am Ende des Textes). Waren früher spektakuläre Aktionen nötig, genügen heute Kreativität und gute Vernetzung. Es gibt sogar Organisationen, die sich fast ganz auf die Arbeit im Internet beschränken, wie etwa CampAct.de. Auf dieser Site kann man sich schnell über Themen wie Atomkraft, Klimawandel oder Sozialkürzungen informieren – sehr gut gelöst sind die „5-Minuten Infos“. Hier werden auch komplexe Sachverhalte in einem griffigen Text zusammengefasst, den man in fünf Minuten gelesen hat. Am Schluss stehen die Forderungen der Organisation und der Aufruf, diese durch Teilnahme zu unterstützen und den Link an seine Freunde zu verschicken.

Lehren für Betreiber kleiner Sites

Schadenfreude gegenüber BP oder Nestlé ist fehl am Platz, und auch die Verantwortlichen bei BP etwa hätte ich nicht beraten wollen dabei, wie sie besser kommunizieren. Aber klar ist: Man muss heute viel vorsichtiger vorgehen als früher. Aussitzen funktioniert nicht mehr. Je größer ein Unternehmen, desto mehr Menschen interessieren sich dafür. Und desto leichter gerät es in die Kritik.

Je mehr der folgenden Eigenschaften auf Ihre Kunden zutreffen, desto wichtiger ist für Sie das Thema Soziale Medien:

  • jung
  • technikinteressiert
  • untereinander in starkem Austausch
  • es sind viele

All diese Faktoren machen es wahrscheinlicher, dass sich ein verärgerter Kunde in Sozialen Netzen äußert und dass diese Äußerung sich dort weiterverbreitet.

Links

Der Bericht von Wired zu BPs PR (englisch):
www.wired.com/epicenter/2010/06/bps-social-media-campaign-going-about-as-well-as-capping-that-well

PoynterOnline über die Social Media-Aktivitäten der gemeinsamen Arbeitsgruppe von US-Regierung und BP (englisch):
www.poynter.org/column.asp?id=101&aid=182885

Klaus Eck über die Arbeit von BP mit Sozialen Medien:
http://klauseck.typepad.com/prblogger/2010/05/bp-setzt-in-der-krisenpr-auf-transparenz.html
Und dann nochmal etwas später:
http://klauseck.typepad.com/prblogger/2010/05/bp-2-die-mundpropaganda.html

Die Kritik bei Techcrunch:
http://techcrunch.com/2010/06/26/bp-pr-bpglobalpr/

Guter Beitrag in der Zeitschrift New York über das Image, das sich BP gerne geben will und unseren Umgang mit der Abhängigkeit vom Öl:
http://nymag.com/news/politics/powergrid/66794/

Eine gute Chronik der Fehlentscheidungen von Nestlé:
www.absatzwirtschaft.de/content/communicat/news/ein-weltkonzern-scheitert-an-social-media;70121

Hervorragender Beitrag von Thomas Knüwer, der die PR von Nestlé untersucht:
www.indiskretionehrensache.de/2010/05/viele-viele-bunte-yes-men-wie-sich-aktivismus-durch-social-media-verandert/

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